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Lukas starb mit 15 JahrenMutter warnt vor der tödlichen Gefahr einer Blutvergiftung

Lesezeit 6 Minuten
Andenken_Lukas_Sepsis

Lukas verstarb innerhalb weniger Stunden an den Folgen einer Blutvergiftung.

Köln – In der Woche, die für Maria alles verändern sollte, war noch der Schulfotograf in der Klasse ihres Sohnes gewesen. Auf dem Bild trägt Lukas, 15 Jahre alt, diesen roten Kapuzenpulli, den er so mochte. Er verschränkt die Arme und zeigt sein unverfälschtes Grinsen. Niemand ahnt, dass er nur wenige Tage nach diesem Bild um sein Leben kämpft – und letztlich nicht einmal zwölf Stunden nach Auftreten der ersten Symptome an einer Blutvergiftung (Sepsis) stirbt.

„Lukas war ein unglaublich starker Junge“, erzählt seine Mutter Maria, 44. Gerade bereitet sie sich auf den ersten Jahrestag nach dem Tod ihres Sohnes vor. Ob das möglich ist? „Nicht wirklich, manchmal kann ich es ja selbst noch nicht glauben“, sagt sie. Sie wollen Luftballons steigen lassen, am Grab. Alle, die Lukas mochten, dürfen kommen. Alle, die weiter über ihn reden, ihn nicht vergessen wollen. Lukas hatte viele Freunde.

Sepsis ist die dritthäufigste Todesursache

Etwa 70.000 Menschen sterben laut Sepsis-Stiftung allein in Deutschland pro Jahr an einer Blutvergiftung. Damit ist die Sepsis die dritthäufigste Todesursache in Deutschland – die wenigsten wissen das. „Die Sepsis als Todesursache ist vielen bis heute nicht im Bewusstsein“, sagt der Vorsitzende der Sepsis-Stiftung, Prof. Konrad Reinhart. Das läge auch daran, dass sie selten benannt werde. „Es heißt schnell, jemand sei an einer Lungenentzündung oder Grippe verstorben“, sagt er, „dabei ist die Ursache oft eine Sepsis, die aus der Entzündung heraus entstand.“

Eine Blutvergiftung ist keine Vergiftung im herkömmlichen Sinn, vielmehr ist sie eine körperliche Abwehrreaktion gegen eine Infektion, die sich gleichzeitig auch gegen das eigene Gewebe und die Organe richtet. Der Körper versucht, Bakterien im Blut zu bekämpfen und schädigt sich dabei selbst. Gerade, wenn die Sepsis-Symptome nicht früh genug behandelt werden, kann das zu Schock, Multiorganversagen und Tod führen.

Lukas kam schlapp von der Schule nach Hause, hatte Schmerzen

Am Tag, der alles verändern sollte, kam Lukas schlapp und fiebrig von der Schule, seine Beine schmerzten, der Kopf wummerte. Noch am Mittag zuvor hatte er als Jugendschiedsrichter ein Fußballturnier gepfiffen, er war topfit gewesen. „Ich habe ihm gesagt, er solle sich erstmal hinlegen“, erinnert sich seine Mutter. Als sein Puls hochschoss, sich kleine Flecken auf der Haut bildeten und sich kalter Schweiß auf seiner Stirn bildete, fuhr sie mit ihm in die Notaufnahme.

Pneumokokken, Typ 23b. Daraus war bei Lukas eine Sepsis entstanden, gegen die sich sein Körper nicht wehren konnte. Ein Notfall.

Das gesamte Krankenhausteam kämpfte um sein Leben. 

Doch als die ersten Blutergebnisse da waren, versagten bei Lukas bereits die ersten Organe. Seine Mutter war bei ihm, als er am 29.9.2017 um 2.50 Uhr seinen letzten Atemzug tat. Drei Tage später wäre er 16 geworden.

Ein Drittel aller Patienten stirbt an einer Sepsis

Ein Drittel bis die Hälfte der Patienten stirbt – wie Lukas – an einer Sepsis. „Wir fordern einen nationalen Sepsis-Plan, eine breite Aufklärungskampagne“, sagt Mediziner Reinhart, das Krankheitsbild habe bislang keine Lobby gehabt. Gefährlich sei, dass die Symptome oft nicht frühzeitig richtig erkannt würden – von Laien nicht, aber auch von medizinischem Personal. Anders als viele vermuteten, beginne eine Sepsis nicht immer mit einem roten Streifen auf der Haut. Sie äußert sich im Grunde immer erst einmal mit Fieber. Bei Erwachsenen kommt oft eine mentale Veränderung, bis hin zur Verwirrung hinzu. Kinder können schläfrig oder apathisch werden.

Die Atmung wird schwer und angestrengt, oft geht das mit einem hohen Puls und Herzrasen einher. Später kann ein Blutdruckabfall hinzukommen, junge Menschen wie Lukas kompensieren das aber lange. Auch Schüttelfrost kann in 10 bis 20 Prozent der Fälle hinzukommen.

Wie kann ich mich vor einer Blutvergiftung schützen?

Prof. Reinhart sagt, es handle sich immer um einen Symptom-Komplex. „Wenn also zwei dieser Symptome zusammen kommen“, rät er, „sollte medizinisches Fachpersonal aufgesucht werden. Und das möglichst bald, denn „jede Stunde, die ohne Behandlung vergeht, steigert das Sterberisiko bei einer Sepsis um zwei Prozent.“

Wer die Anzahl an Infektionen verringert, die der Körper durchmacht, senkt auch das Risiko, an einer Sepsis zu erkranken. Deshalb sind Impfungen und Hygienestandards ein wichtiger Schritt zur Verringerung der Sepsis-Toten. Auch durch eine schnellere Diagnose und die Einführung flächendeckender Behandlungsstandards ließe sich die Anzahl erheblich reduzieren. „Mit diesen Maßnahmen könnte es möglich sein, die Anzahl der durch Sepsis verursachten Todesfälle in Deutschland um etwa 15.000 bis 20.000 pro Jahr zu verringern“, ist sich Prof. Reinhart sicher. Dies sei eines der Hauptziele seiner Stiftung.

Wer ist bei einer Sepsis besonders gefährdet?

Besonders junge und besonders alte Menschen, solche, die eine Chemotherapie oder eine Organtransplantation hinter sich haben, sind gefährdeter, an einer Sepsis zu versterben, als andere. Auch Lukas gehörte zur Gruppe der Hochrisiko-Patienten. Hätte Maria das gewusst, wäre sie sofort nach der Schule mit Lukas in die Klinik gefahren.

Im Alter von zwei Jahren hatte man Lukas nach einem Wohnungsbrand die Milz entfernen müssen. Er war lange in der Klinik gewesen, hatte etliche Operationen über sich ergehen lassen – und sich dann zurückgekämpft. „Dieser Junge wollte leben!“, sagt seine Mutter. Sie hatten ihr gesagt, dass er ohne Milz infektanfälliger sei als andere Kinder. „Nicht aber, dass wir bei Infekten sofort handeln müssen, weil eine Sepsis für ihn lebensgefährlich werden kann.“

Sie versteht nicht, dass zum Beispiel Diabetiker eine Schulung bekommen, Aspleniker, also Menschen ohne Milz, aber nicht. Dabei gibt es schätzungsweise 60.000 Menschen ohne Milz in Deutschland. „Es fehlt ein Bewusstsein für das Krankheitsbild der Sepsis allgemein, aber vor allem für Hochrisiko-Patienten“, sagt seine Mutter. „Lukas hat so hart um sein Leben gekämpft, er wollte leben, daher wünsche ich mir, dass solche Kinder in Zukunft besser, intensiver geschützt werden.“

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Abschied von Lukas: Der Todestag jährt sich

Heute brennt zu jeder Mahlzeit der Familie eine Kerze für Lukas. Maria fertigt die Kerzen selbst. Sie und die Geschwister sprechen viel über ihn, den Sohn, den Bruder. In der Wohnung ist er sehr präsent, überall hängen Fotos. Lukas als Jugendschiedsrichter bei Fußballturnieren, Lukas mit Freunden, Lukas im Kreise seiner Familie. Lukas´ Zimmer ist so, wie er es an seinem letzten Tag verlassen hat, unverändert, „er war so gut in der Schule, kein Chaos, so ordentlich“, sagt seine Mutter. Sie hat nach seinem Tod in seine Sachen geschaut, „aber da war nichts Überraschendes, alles war da, wo es hingehörte.“

Sein Tod kam so plötzlich. 500 Menschen kamen zu Lukas´ Beerdigung im vergangenen Jahr. Bei den Luftballons zum Jahrestag werden sie noch einmal gemeinsam an ihn denken. Jetzt wäre er bald schon 17 geworden.

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