Vater mit Depressionen erzählt„Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“

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Der Autor und Journalist Benjamin Maack leidet seit Jahren unter Depressionen. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben. 

  • In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
  • Im Februar geht es um das Thema psychische Gesundheit.
  • In dieser Folge berichtet der Autor und Familienvater Benjamin Maack als Betroffener über Depressionen.

Köln – Benjamin Maack leidet unter Depressionen und hat in seinem Buch „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“ schonungslos aufgeschrieben, wie sich die Krankheit für ihn anfühlt und wie es ihm in der Psychiatrie erging. Er ist 42 Jahre alt, lebt und arbeitet als Autor und Journalist in Hamburg und hat zwei Kinder. Im Interview erzählt er, wie es ihm heute geht.  

Herr Maack, Sie schreiben in Ihrem Buch sehr offen über Ihre Depression und den Aufenthalt in einer Klinik. Wie schwer ist Ihnen diese Entscheidung zu so viel persönlicher Offenheit gefallen? 

Benjamin Maack: Das ist mir gar nicht schwer gefallen. Vielleicht, weil ich auf dem Dorf aufgewachsen bin, wo Geheimnisse, die keine waren – weil jeder hinter vorgehaltener Hand darüber sprach und urteilte – die erfolgreichste Unterhaltungsshow der Gemeinde war. Mir war auch relativ schnell klar, dass es wichtig ist, dass nicht nur ich offen darüber reden darf, sondern auch meine Frau. Ich habe in der Klinik viele Menschen erlebt, die ihre psychische Erkrankung zum Geheimnis machten oder machen müssen.

Wird eine psychische Erkrankung schlimmer, wenn man nicht darüber sprechen kann? Das ist nicht nur für die Betroffenen schlimm, weil Depressionen in den dunklen, unausgesprochenen Ecken am besten gedeihen können. Das ist auch ein Problem für die engsten Angehörigen, die zum Endlager für all die Gefühle, Ängste und Irrheiten einer solchen Erkrankung werden. Und daran hängen ja auch die eigenen Gefühle, mit denen Angehörige zu kämpfen haben: Wie man selbst Angst hat, nicht weiß wie es weitergehen soll, wie man die erkrankte Person manchmal für ihre Depressionen hasst – und sich selbst dafür verachtet. Ich stelle mir das als eine unendlich große Belastung vor, wenn es kein Ventil dafür gibt. Deshalb haben meine Frau und ich früh besprochen, dass sie darüber reden darf, mit wem sie will, auch mal gehässig sein oder Witze machen darf. Ich glaube, es ist überhaupt wichtig, Depressionen nicht zu ernst zu nehmen oder gar zu dämonisieren, weil sie dadurch auf ein Podest gehoben werden, weil ihnen das Kraft gibt.

Sie haben trotz ihrer Krankheit lange funktioniert: Familienvater, erfolgreich im Job, viele Aktivitäten in den Tag gepackt und auch viel weggeschafft. Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt? Im Rückblick früh, vielleicht schon in der Jugend. Als ich in abgedunkelten Zimmern lag, als ich mit Bands auf Bühnen stand und die meiste Zeit das Publikum beleidigte. Mein erster Zusammenbruch kam vor etwa sieben Jahren. Aber da hatte ich mich selbst und mein gesamtes Erwachsenenleben so aufs Funktionieren programmiert, dass ich erst viel später merkte, wie schlimm es um mich steht. Eigentlich haben mir monatelang Psychologen und Psychiaterinnen, auch ein Freund, der Psychologe ist, gesagt, wie krank ich bin. Und ich immer so: ja, klar. Das ist lange einfach an mir abgeperlt, weil ich sehr lange gar kein Mitgefühl für mich empfinden konnte. Ich habe das alles immer abgetan. Heute merke ich, dass ich immer noch Momente habe, in denen plötzlich ein Gedanke zu meinem Mitgefühl durchbricht und ich denke: Ja, das ist schlimm, da musst du dir helfen, bzw. helfen lassen.

Das fehlende Mitgefühl für sich selbst hat Sie selbst dann noch begleitet, als Sie bereits in der Psychiatrie waren. Selbst in der Klinik fühlten Sie sich falsch und irgendwie nicht gut/schlecht genug. Als hätten Sie kein Recht, dort zu sein. Warum? Ich hatte schon immer das Gefühl, falsch zu sein, alles falsch zu machen. Nicht gut genug zu sein, wenn ich mich nicht bis aufs Blut selbst ausbeutete. Das machte mich im Job sehr gut, aber als Menschen kaputt. In der Klinik wurde dann aus „nicht gut genug“, „nicht krank genug“. Aus „nicht klug genug“, „nicht schnell genug gesund“. Und so weiter.

Haben Sie deshalb auch den Titel „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“ für Ihr Buch gewählt, weil Sie selbst in der Depression noch dachten, dass es Ihnen nicht schlecht genug geht?  Der Titel funktioniert in beide Richtungen. Einmal den Blick, den große Teile der Gesellschaft noch immer auf Depressionen haben: „Stell dich nicht so an. Mach mal eine Pause, dann geht’s schon wieder. Mach mal Urlaub, iss Schokolade, geh mal feiern.“ Viel schlimmer als der Blick der anderen auf das eigene Nicht-Funktionieren ist aber der eigene. Man selbst ist immer sein unbarmherzigster Beobachter. Das schlimmste, was jemand anders zu einem sagen kann, sagt man sich selbst ständig. Trotzdem sind diese Reaktionen von außen natürlich auch alles andere als hilfreich. Denn sie zementieren die Unbarmherzigkeit, die man sich selbst gegenüber hat, indem sie diese Innenansicht zu einer allgemeinen Sicht auf sich machen, einem Gefängnis. Kleinmachen der Person, der Erkrankung, Beleidigungen – die Depression liebt das alles. Das ist auch der Unterschied zwischen traurig oder schlapp oder müde sein und einer Depression: Die Depression ist wie eine Autoimmunerkrankung, dein eigener Kopf, deine eigenen Gedanken greifen dich an. Und das machen sie im schlimmsten Fall, um dich vollkommen zu zerstören.

Was war für Sie das Schlimmste an dieser Erfahrung?  Das Schlimmste gibt es eigentlich nicht so richtig. Aber etwas Gutes, dass am Anfang ein ziemlicher freier Fall war: Zu merken, dass das, was in deinem Kopf passiert, nicht die Realität ist. Dass der Kopf lediglich das Lesegerät für alles um uns herum ist. Und wir selbst mitentscheiden können, wie wir die Welt lesen. Ein Abgrund war das, weil ich mich am Anfang sehr daran geklammert habe, dass das, was mich da immer tiefer runterzieht, immerhin die Realität ist. Als ich langsam für mich verstanden habe, dass das nicht stimmt, war ich beim Fallen eine Zeit lang recht einsam. Ich musste neue Gründe finden. Und zum Glück waren das hilfreichere Gründe.

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Und was war das Beste?  Das Beste war und ist, dass ich seit meiner Erkrankung Glück empfinden kann. Das klingt absurd. Aber als meine Frau mich einmal fragte, ob ich eigentlich glücklich bin, sagte ich, ich sei ein unglücklicher Mensch, der mit Glück überschüttet wird. Das ist heute nicht mehr so.

Wie geht es Ihnen jetzt und wie leben Sie jetzt?  Es geht mir ganz gut. Manchmal wochenlang prima, dann kommt wieder ein Tal oder ein Absturz. Manchmal dauern die Stunden, manchmal Tage. Aber mittlerweile habe ich das so oft erlebt, dass ich mir auch in den schlimmsten Momenten glaubhaft machen kann, dass es irgendwo da hinten ein „besser“ gibt.

Wie klappt es mit Ihrer Familie? Ich bin im Moment so glücklich mit den Kindern wie ich es nie zuvor war. Es gelingt mir, die Momente mit ihnen zu genießen, statt mich immer woanders hin zu wünschen. Meine Frau und ich stehen im Moment wie alle anderen auch vor den Herausforderungen des Lockdowns. Dass es immer wieder passiert, dass man sich ärgert, weil der andere nicht funktioniert oder nervt. Niemand, selbst die besten Liebenden, sollten nicht so aufeinander rumhängen müssen. Man schaut einander an wie Käfer unter dem Mikroskop.

Und wie sieht es mit Ihrem Job aus? Ich arbeite wieder. Allerdings nicht mehr in einer Führungsposition und nur noch drei Tage in der Woche. Das ist ziemlich toll. Aber auch das ist im Lockdown schwierig, wenn man die Kolleginnen und Kollegen nicht hört, wird das Hallen der eigenen Gedanken manchmal ziemlich laut. Und die sind, glaube ich, nicht nur bei mir mitunter nicht besonders hilfreich.

Der Wunsch, sich aus dem Leben zu verabschieden, ist in Ihrem Buch verstörend prägnant. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert? Das kann natürlich recht verstörend sein. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, auch über diese Dinge offen zu sprechen. Denn die schlimmsten Gedanken lauern immer in den dunklen Ecken, in die man niemanden schauen lässt. Und die man allein mit seinen Depressionen leicht zu einem sehr schlüssigen Gespinst verweben kann. Ich glaube, dass Reden immer mehr hilft als Schweigen. Und ich bin mir sicher, dass Reden bei Depressionen Leben rettet. Solche Dinge sollte niemand mit sich allein ausmachen.

Spüren Sie diesen Wunsch noch und wenn ja: Wie halten Sie ihn im Zaum? Ja. Selten. Und noch seltener stark. Ich mache dann etwas, was ich „aus dem Kopf rauskommen“ nenne. Ich stelle mir eine Zahnpastatube vor, die ich mit aller Kraft leerdrücke und komme dann raus in die Welt. Versuche etwas mit den Kindern zu machen, zu häkeln oder höre statt Musik lieber ein Hörbuch. Manche Dinge, auch das musste ich auf die harte Tour lernen, kann man nicht in seinem Kopf lösen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Meine Kinder aufwachsen zu sehen. Bücher, Serien, Comics, Filme, Gespräche erleben und auch genießen zu können. Mein anderes, freieres Denken genießen, Ausflüge in meinem Kopf machen, die früher nicht möglich gewesen wären, weil ich mir das nicht erlauben konnte. Aus Angst und Selbstverachtung.

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