Neues Buch zu Trauer und Tod18 Menschen erzählen, wie sie mit dem Sterben umgehen

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Engeldarstellung auf dem Melatenfriedhof

  • Autorin C. Juliane Vieregge sprach für ihr Buch mit 18 Menschen über ihre persönliche Trauer und darüber, wie sie Trost fanden.
  • Schauspieler und Ex-Gefängnisarzt Joe Bausch, Kabarettist Jochen Busse, Schauspielerin Ulrike Bliefert und die inzwischen verstorbene Ilse Rübsteck, die den Holocaust erlebt hat, kommen zu Wort.
  • Es sind tief berührende Geschichten vom Tod der Eltern, Kinder oder Geschwister, von Suizid und Unfällen.

Wie gehen wir mit dem Tod eines geliebten Menschen um? Wie können wir die Lücke füllen, die der Verstorbene hinterlässt? Wie soll das Leben danach weitergehen? Fragen, die jeden betreffen, behauptet die Autorin C. Juliane Vieregge und fordert ihre Leser mit ihrem Buch auf: „Lass uns über den Tod reden“. Denn mit dem Reden fängt es an, wenn man sich mit Tod und Trauer auseinandersetzen will. 18 Menschen haben Vieregge ihre Geschichten erzählt – darunter der Schauspieler und Ex-Gefängnisarzt Joe Bausch, der Kabarettist Jochen Busse und die inzwischen verstorbene Ilse Rübsteck, eine Holocaust-Überlebende. C. Juliane Vieregge im Interview, wie sie mit diesen Geschichten dem Tod ein Gesicht gegeben hat – und wie Trauernde mit ihrem Verlust umgehen können.

Frau Vieregge, Ihr Buch trägt den Titel „Lass uns über den Tod reden“ – haben Sie das in dieser Form selbst schon zu jemandem gesagt?

So, wie es auf dem Titel steht, ist es mir glaube ich noch nicht über die Lippen gekommen. Aber mir gefällt es, wenn man die Dinge beim Namen nennt – auch, wenn es bei dieser ernsten Thematik vielleicht etwas salopp wirkt.

Sie hätten das Buch vermutlich nicht geschrieben, wäre der Tod für Sie ein ausreichend gewürdigtes Thema. Denken Sie, es liegt eine Art gesellschaftliches Tabu auf dem Wort? Ich wurde zwar kirchlich erzogen, aber mir fehlten abseits von Beerdigung und Gottesdienst Rituale und ihre Selbstverständlichkeit in dieser Situation. Was macht man, wenn jemand im Sterben liegt? Vor neun Jahren ist mein Vater verstorben, im Krankenhaus. Ich stand vollkommen unter Stress, war hilflos und hatte allergrößte Mühe, die jahrelange Sprachlosigkeit zwischen uns in dieser Extremsituation zu überwinden. Das ist mir nur teilweise gelungen. Ich habe tagelang am Bett meines Vaters gesessen, seinen Arm gehalten, habe versucht zu lesen oder einfach nur nachgedacht. Heute wünschte ich, ich hätte mehr Mut gehabt, die Dinge an- und auszusprechen, die zwischen uns standen. Stattdessen habe ich in diesen Tagen komplett neben mir gestanden. Für die Beerdigungsfeier habe ich mir sogar zwei Mal die gleichen Schuhe gekauft, weil ich mich einfach nicht mehr erinnern konnte. Nachdem die Hektik der organisatorischen Fragen und der Formalitäten hinter mir lagen und ich wieder zur Besinnung kam, habe ich angefangen, andere Leute zu befragen: Wie hast Du das gemacht? Was hast Du noch gesagt, getan? Spätestens da war die Idee zu dem Buch geboren: Das muss doch auch andere interessieren! Im Bekanntenkreis bekam ich unglaublich berührende Geschichten zu hören – es gibt so viele Geschichten, wie es Todesfälle gibt. Nur spricht man zu selten darüber. Obwohl der Gesprächsbedarf über das Thema „Tod“ da ist. Denn wer versteht es schon, dass ein geliebter Mensch einfach aufhört zu sein?

Sie haben für ihr Buch mit insgesamt 18 Menschen gesprochen, die auf unterschiedliche Art mit dem Tod zu tun haben – sei es beruflich oder privat. Welche Geschichte hat sie besonders berührt? Das hat jede auf ihre ganz eigene Art. Ich habe mich intensiv auf die jeweiligen Gesprächspartner vorbereitet, habe viel über sie und von ihnen gelesen, weil ich weit über das eigentliche Thema hinaus gefragt habe. Ausnahmslos alle haben während unserer Gespräche geweint, natürlich – weil der Schmerz eben wieder sehr präsent wird, indem man ihn thematisiert. Daraus sind dann diese sehr persönlichen, intimen Berichte entstanden. Es sind tief berührende Geschichten vom Tod der Eltern, Kinder oder Geschwister, von Suizid und Unfällen. Und durch jemanden wie Trauerredner Horst Walther, der mit seiner Frau ein Bestattungsunternehmen geführt hat, also beruflich täglich mit dem Tod konfrontiert war, wird deutlich: Trotzdem trifft es einen unvorbereitet, wenn die eigene Frau im Sterben liegt, wie in seinem Beispiel. In meinem Buch sagt er dieses treffende Zitat: „Wir haben über so vieles gesprochen im Leben, außer über den Tod, bis wir es mussten“.

Sie haben dem Tod in Ihrem Buch verschiedene Rollen zugeordnet und ihn als Auftraggeber, Versöhner, Weichensteller, Lebensbegleiter oder Lehrmeister bezeichnet. Warum? Je nachdem, wie der Tod in das Leben der Betroffenen einfällt, wird er ganz unterschiedlich wahrgenommen. Wie im Falle von Dokumentarfilmer Jan Schmitt – seine Mutter hat ihm nach ihrem Suizid über ihre Tagebücher offenbart, dass sie als Kind missbraucht wurde – kann der Tod als Auftraggeber fungieren. So hat Jan Schmitt das Trauma seiner Mutter in einem Dokumentarfilm aufgearbeitet. Katrin Sass oder Christopher Buchholz haben sich trotz einiger Zumutungen vollkommen mit ihren Eltern ausgesöhnt und von allem Groll verabschiedet. Für den Psychologen Hans Jellouschek oder für den Musiker Dieter Thomas Kuhn ist der Tod eher ein Lehrmeister geworden. Und bei wieder anderen hat der Tod die Weichen für das ganze Leben gestellt. Der Tod ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst es sind.

Buchtipp

Der Text von Ulrike Bliefert ist entnommen aus: C. Juliane Vieregge: „Lass uns über den Tod reden“, Ch. Links Verlag, 304 Seiten, 22 Euro

Gehen Sie mit Angehörigen von Verstorbenen anders um, seit sie selbst Erfahrungen mit dem Tod gemacht haben? Ich glaube schon, ja. Trauern ist etwas sehr Individuelles. Man sollte niemandem vorschreiben, wie viel Zeit das Trauern braucht, wie lange man sich krank und arbeitsunfähig dadurch fühlt. Vor allem, wenn Kinder sterben, beschäftigt das die Eltern ein ganzes Leben lang. Sätze wie: „Du musst jetzt aber mal loslassen!“ helfen niemandem, zumal manche gar nicht loslassen wollen. Ich hätte selbst auch nicht gedacht, dass ich so lange um meinen Vater trauern würde. Die Erfahrung, die ich gemacht habe, ist: Fragen tun gut. Fragen zeigen Interesse. Gut ist auch, ungefragt bei dem Trauernden vorbeizukommen, ohne Ratschläge und Anweisungen zu erteilen oder eine Gegenleistung zu erwarten.

Gibt es eine Art „Anleitung“ zu trauern - und gleichzeitig auch die Erinnerung an den Verstorbenen zu bewahren? Für mein Buch habe ich unter anderem mit dem Rechtswissenschaftler und Universitätsprofessor Arsène Verny gesprochen. Er hat seinen damals 19-jährigen Sohn Valerian durch einen Unfall verloren – „das schlimmste Unglück, was einem je passieren kann.“ Jeden Morgen schaut er heute auf ein Bild von ihm, zwinkert oder winkt ihm zu, wenn er das Haus verlässt, redet mit ihm. Er lässt seinen Sohn also weiterhin an seinem Tag teilhaben. Er hat sogar eine Stiftung mit dem Namen des Sohnes gegründet, sodass er auf diese Weise mit ihm verbunden bleibt. Bei Roland Kachler findet sich eine ähnliche Geschichte. Jemanden zu verlieren ist schlimm. Das ganze Leben verändert sich dadurch, die eigene Lebenszeit wird anders wahrgenommen. Man merkt möglicherweise: Ich habe viel Zeit mit Banalitäten verbracht anstatt mit den wirklich wichtigen Dingen. Ich versuche seitdem, die Begegnungen mit meinen Kindern möglichst zur Freude werden zu lassen, frei von Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Und sei es nur, dass ich ihnen kurz sage: „Schön, dass du da bist.“

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Ein prominentes Zitat auf Ihrem Buchcover ist: „Wer sich mit dem Tod beschäftigt, der stellt sich auch die entscheidenden Fragen des Lebens.“ Können Sie damit dem Tod am Ende vielleicht sogar noch etwas Positives abgewinnen? Ich empfinde ihn sogar gar nicht als negativ. Sich der Begrenztheit des Lebens bewusst zu sein hilft, sich auf die entscheidenden Fragen des Lebens zu konzentrieren. Das höre ich auch sehr häufig von Hospizmitarbeiterinnen: Wer sich mit Sorgfalt auf den Tod vorbereitet, lernt sorgfältig zu leben. Konkret heißt das für mich: Mir selbst Glauben schenken, dass das, was ich empfinde, stimmt. Und keine Zeit zu verplempern – etwa mit Grübeleien darüber, was andere über mich denken. Ein Leben ohne den Tod wäre wie eine Geschichte ohne Sonnenuntergänge, welke Blätter, Abschiede – ein Leben, wie bei den Teletubbies – mit viel zu viel rosa Pudding. Das würde man wohl keinen halben Tag aushalten.

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