Reisen trotz CoronaSo erleben Deutsche den Urlaub an der Nordsee

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Neuwerk Cuxhaven

Spaziergänger auf dem Weg zur Insel Neuwerk bei Cuxhaven

  • St. Peter Ording statt St. Tropez, Scharbeutz statt Mallorca: Viele Deutsche entdecken gerade das eigene Land.
  • Nord- und Ostsee sind bis Herbst so gut wie ausgebucht. Wer flexibel ist, hat noch die Chance auf einen Last-Minute-Urlaub.
  • Viele Urlauber sind überhaupt zum ersten Mal da, weil aus dem Türkei- oder Mallorca-Urlaub nichts geworden ist.

Die Typologie der deutschen Touristen ließ sich schon immer ganz gut am Verhalten beim Frühstücksbuffet ablesen, daran hat auch Corona nichts geändert. So gibt es Menschen, die sich am Eingang eines Hotelrestaurants an die Bodenmarkierung stellen, den Desinfektionsspender bedienen und sich die weißen Gummihandschuhe überstreifen, als würden sie gleich einen OP-Saal betreten. Und dann gibt es Menschen, einige wenige, die durch die Tür gehen, ihren Stammplatz ansteuern, und zielstrebig eine Kanne Kaffee ordern, während die Kinder sich schon an der Cornflakestheke bedienen.

Es ist neun Uhr morgens im Maritim Club Hotel am Timmendorfer Strand, einem wuchtigen 70er-Jahre-Klotz mit 189 Zimmern, viel Messing, grünem Teppich und dunklem Holz. Es ist Frühstückszeit für all die jungen Familien und rüstigen Rentner, die hier gleichermaßen etwas vom Tag haben wollen in diesem Urlaub, der so lange so ungewiss war. Seit Mitte Mai erst ist das Reisen an Schleswig-Holsteins Küsten wieder erlaubt, ohne Mindestbuchungsdauer oder Kapazitätsgrenzen, aber mit strengen Hygieneregeln, wie sie überall in Deutschland gelten.

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Hinweisschilder auch am Stand, wie hier in Kampen auf Sylt

Seit Mitte Mai sind sie also zurück, die Touristen an den Küsten, vor allem in der Lübecker Bucht an der Ostsee. Zwei Mal sorgte die Gemeinde Scharbeutz schon für Schlagzeilen, weil Strandabschnitte und Straßen wegen Überfüllung gesperrt werden mussten. Selten war das Fernweh größer als nach diesem Corona-Frühjahr im kollektiven Verzicht, nach Wochen voller Angst und Ungewissheit. Selten war die Sommersehnsucht so groß. Abstandsregeln, Wegbeschränkungen und Mundschutzpflicht sind der Preis, den Urlauber zahlen. Gerade auch in Deutschland, gerade in beliebten Urlaubsorten.

Und Scharbeutz ist so einer, seit Jahren schon. Weißer Sand, türkisblaues Wasser, die ruhige Bucht, die neue Promenade, moderne Ferienwohnungen, gute Autobahnanbindung – vieles spricht für diesen Teil der Ostsee. Es gibt Dünen- und Parkgolfanlagen, einen Hochseilgarten, ein Freibad, drei Kurparkhäuser, acht Campingplätze und den Hansa-Park um die Ecke. Die Gemeinde mit ihren zehn Ortschaften kommt inzwischen auf 800 000 Übernachtungen und bis zu 250 000 Tagesgäste pro Jahr. Dass Gästehäuser im Herbst ein Schild ins Fenster hängen mit der Aufschrift „Wir sind Ostern wieder da“, das gebe es längst nicht mehr, sagt André Rosinski, Chef der Tourismus-Agentur Lübecker Bucht. „Wir haben hier ganzjährig Saison.“

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Die Saison 2020 ist natürlich anders. Für Gäste, für Gastronomen, für Hoteliers und vor allem für Strandkorbvermieter. Überall im Ort weisen Schilder den Weg, Bodenaufkleber die Richtung und Flatterbänder die Ein- und Ausgänge. Nur ein Bereich braucht besonderes Fingerspitzengefühl: der Strand. Hier an der Lübecker Bucht kann der schnell zum Nadelöhr werden. Der Strand ist eng, in 40 einzelne Abschnitte mit Zugängen geteilt – und vollgestellt mit Strandkörben. Weil sich die meisten Urlauber am liebsten an den Promenaden-Abschnitten tummeln, kam es Corona-bedingt schon zu Sperrungen.

Gegen überfüllte Strände soll eine neue Web-App helfen

Ein wenig genervt vom Medienrummel rund um diese Maßnahmen ist Tourismuschef Rosinski dann schon. „Wir haben nicht zu wenig Platz – wir müssen die Menschen nur besser verteilen“, sagt er . Gegen überfüllte Strände soll vor allem eine neue Web-App helfen: Mit dem Strandticker können Touristen sich schon vor der Anreise informieren, wo noch wie viel Platz ist. 650 000 Seitenaufrufe zählte die Tourismusagentur in der ersten Woche.

Thomas Witting ist einer von denjenigen, die diese Strand-Ampel bedienen, im Moment noch manuell. Vier Mal am Tag gibt er per Whatsapp an die Tourismusagentur durch, wie voll es an seinem Strandabschnitt 35 in Haffkrug ist. Grün heißt: leer. Gelb heißt: Alle seine 80 Strandkörbe sind vermietet. Rot heißt: Auch an der Wasserkante liegen viele Urlauber. Witting, der den Strandkorbverleih schon in der vierten Generation betreibt und seinen Strand seit 50 Jahren kennt, sagt: „Die vollen Samstage waren schon immer das Problem.“ Den Strandticker findet Witting nützlich, auch ganz ohne Corona. Bald sollen Sensoren helfen, das Touristentreiben und auch den Autoverkehr langfristig digital zu steuern.

Platzprobleme an der Nordsee gibt es nicht

Überfüllte, enge Strände an heißen Tagen sind ein Phänomen, das der Ostseebucht vorbehalten ist, so wie das insgesamt mildere Klima ohne spürbare Gezeiten. 200 Kilometer weiter westlich, auf der Nordseehalbinsel St. Peter Ording, peitscht der Wind über den zwölf Kilometer langen und zwei Kilometer breiten Endlosstrand, der bei Ebbe nur noch endloser wirkt. Platzprobleme an der Nordsee gibt es nicht.

Ist das Wetter schlecht, so wie in der ersten Juliwoche, ist der Strand komplett überspült. „Das ist eben unser Problem in St. Peter Ording“, sagt Tourismuschefin Constanze Höfinghoff, „denn dann fällt genau der Bereich weg, wo sich der Ort am meisten entlastet.“ Denn Touristen gibt es in St. Peter Ording aktuell genau so viele wie ohne Corona: Hotels seien zu etwa 96 Prozent ausgelastet, Ferienwohnungen zu 98 Prozent, sagt Höfinghoff. „Die Nachfrage ist wirklich riesig, alles wird gebucht, jede einzelne Lücke im Kalender.“

Sowohl die Nord- als auch die Ostseehotspots spüren den Andrang, viele Urlauber sind überhaupt zum ersten Mal da. „Eigentlich wären wir in der Türkei, in Griechenland oder auf Mallorca“, sagt eine junge Mutter aus Siegen, die sich mit Mann und zwei Kindern die Regenzeit in der Fußgängerzone vertreibt. Jetzt sei es eben St. Peter Ording geworden, „weil hier noch etwas frei war.“

Angst vor Corona habe sie keine, sagt die Urlauberin. Es sei sogar so: „Ohne die Masken würde man es ganz vergessen.“

Freie Unterkünfte an Nord- und Ostsee

Auch in der Corona-Krise sind vor allem Ferienhäuser und -wohnungen an der deutschen Küste stark nachgefragt. In den Ferienorten an Nordsee und Ostsee seien die Unterkünfte für einen Urlaub in den Sommerferien zu 90 Prozent ausgelastet, teilte der Deutsche Ferienhaus-Verband mit.

Kurzentschlossene haben zwar noch die Chance auf einen Last-Minute-Urlaub – müssen aber flexibler sein, sagt Lars Schwarz, Präsident des Dehoga Mecklenburg-Vorpommern. Besonders gefragt seien die Unterkünfte in der ersten Reihe am Meer in den klassischen Touristenhochburgen wie Rügen, Usedom, Fischland-Darß und Kühlungsborn. „Dort gibt es nicht mehr überall etwas“. Das sei aber nicht ungewöhnlich: „Der Großteil der Buchungen kommt in diesen Orten von Stammgästen.“ Die hätten sich ihre Unterkunft für den Sommerurlaub 2020 schon weit vor der Corona-Pandemie gesichert. Restkontingente sind zwar oft noch vorhanden, diese können unter Umständen aber deutlich teurer sein.

Spontan-Buchenden empfiehlt Schwarz eine Kombination aus Stadt und Strand: „Greifswald, Schwerin, Rostock oder Stralsund sind beispielsweise alle nah am Strand, und da bekommt man garantiert noch Unterkünfte. Urlauber haben da nicht nur Kultur direkt vor der Nase, sondern kommen auch schnell zum Strand.“

Ein ähnliches Bild zeichnet sich an der Nordseeküste ab. „An den bekannten touristischen Hotspots sind die Beherbergungsbetriebe im Juli und August größtenteils sehr gut gebucht“, sagt Manuela Schütze von der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein. Das betreffe zum Beispiel St. Peter-Ording, Büsum und viele der nordfriesischen Inseln.

Für Kurzentschlossene lohne sich der Blick auf Buchungsportale, sagt Julia Lund, Sprecherin von Sylt Marketing. „Sylt ist in diesem Sommer bereits sehr gut ausgebucht. Aber wir können nicht sagen, es gibt keine Kapazitäten, denn es gibt immer wieder Stornierungen.“

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