Seit 30 Jahren gesperrtTschernobyl-Touristen dürfen erstmals in den Kontrollraum

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

Blick auf die Schutzhülle über dem zerstörten Reaktor vier in Tschernobyl (Archiv).

Tschernobyl – Ausgerüstet mit weißen Spezialanzügen, Atemgeräten und auf dem Kopf einen Helm tragend, dürfen Tschernobyl-Touristen in einen Raum, den über 30 Jahre lang niemand mehr betreten durfte. Heute liegt dort Staub auf dem Boden und den technischen Geräten. Besucher können die Knöpfe sehen, alte Bildschirme und rostige Armaturen, die einst die Mitarbeiter bedienten. An dem Ort, wo das größte Atomunglück seinen Lauf nahm. Am 4. April 1986 im Kontrollraum des Reaktor 4.

Wegen der hohen Strahlenbelastung müssen sich Touristen allerdings an Sicherheitsauflagen halten und dürfen nur wenige Minuten in den ehemaligen Kontrollraum, berichtet der „Telegraph“. Auch noch 33 Jahre nach dem Unglück wäre sonst die Strahlung zu stark.

Experten sind uneinig über die Zahl der Tschernobyl-Opfer 

Verursacht durch einen schiefgelaufenen Test, der die Steine ins Rollen brachte, die zur Explosion des Reaktors in Tschernobyl führten. Rund 50 Menschen starben durch die Strahlenkrankheit. Eine radioaktive Wolke zog bis nach Westeuropa und rund um das Kernkraftwerk Tschernobyl konnten keine Menschen mehr leben.

Alles zum Thema Wolodymyr Selenskyj

Die rund 50.000 Einwohner der nahegelegenen Stadt Pripyat mussten evakuiert werden. Wie viele Menschen genau an den Folgen der Atomkatastrophe starben, ist nicht klar. Das „UN Chernobyl Forum“ schätzte die Zahl der Krebstoten auf 4000. Laut einer Studie der atomkritischen Ärzteorganisation „Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW) seien aber  allein 112.000 Liquidatoren an den Folgen ihrer Arbeit gestorben. Für ganz Europa prognostiziert die Organisation 240.000 zusätzliche Krebsfälle bis 2056 wegen des Atomunglücks.

Touren sollen für Touristen nicht gesundheitsschädlich sein

Bisher konnten die Touristen nur die verwaiste Stadt anschauen und die neue Schutzhülle, die vor der Strahlung des havarierten Reaktors schützen soll. „Die, die mutig oder töricht genug sind, dürfen jetzt einen kurzen Blick auf den Ort werfen, an dem dieses tragische Stück Geschichte geschrieben wurde“, heißt es im Bericht des „Telegraph“.

Gesundheitsschädlich sollen die Touren nicht sein. Yaroslav Yemelianenko, der Direktor von Chernobyl Tours, dem größten Anbieter für Touren vor Ort, sagt gegenüber dem „Telegraph“: „Wenn die Touristen auf den ausgewiesenen Routen blieben, würden sie einer Strahlung von bis zu vier Mikrosievert ausgesetzt.“ Das sei weniger Strahlung als man innerhalb einer Stunde bei einem Transatlantikflug ausgesetzt sei.

Das Bundesministerium für Umwelt und nukleare Sicherheit (BMU) erklärt, dass es sich bei vier Mikrosievert um eine geringe zusätzliche Dosis handle, „die angesichts der üblichen natürlichen und sonstigen Strahlenexposition der Bevölkerung in Deutschland vernachlässigt werden kann". Das BMU weist aber darauf hin, dass sie die Bedingungen in der Anlage, die verfolgten Strahlenschutzmaßnahmen und die Einhaltung der Maximaldosis von vier Mikrosievert jedoch nicht beurteilen könnten. 

Das könnte Sie auch interessieren:

Laut „Telegraph“ variiert die Strahlenbelastung in Tschernobyl stark – am konzentriertesten sei sie in Pflanzen und am Boden. Für den Kontrollraum bedeutet es, dass vor allem der radioaktive Staub gefährlich ist. Ein Tourist, der gegen etwas stößt und den Staub aufwirbelt, könnte eine hohe Belastung abbekommen. Um dies zu vermeiden, würden Mitarbeiter Chemikalien sprühen, die den Staub am Boden halten.

Tourismus in Tschernobyl boomt und soll ausgebaut werden

Trotz der Gefahren boomt der Tourismus in Tschernobyl. Auch über 30 Jahre nach dem Unglück ist Pripyat eine Geisterstadt – verstrahlt und unbewohnbar. Doch die Besucher kommen. Die HBO-Serie über Tschernobyl hätte das Interesse an dem Unglücksort verstärkt. Immer mehr Menschen möchten sehen, wo sich die Katastrophe abgespielt hat. Laut „Daily Mail“ haben bereits in diesem Jahr 85.000 Menschen aus aller Welt den Unglücksort besucht.

Seit 2011 hat die Ukraine große Teile des verstrahlten Gebiets für Touristen geöffnet. Bereits im Juli hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Tourismusoffensive angekündigt. 21 neue Routen soll es geben – eine davon führt in den Kontrollraum des Blocks 4. Dort, wo die Katastrophe begann. (rha)

KStA abonnieren