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Warum ein Ort im Harz Esperanto spricht

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Herzberg – Wer in einer fremden Stadt den Ortskern sucht, folgt für gewöhnlich Wegweisern mit Aufschriften wie „Zentrum” oder „Altstadt”. In Herzberg halten Besucherinnen und Besucher jedoch besser nach „Urbocentro” Ausschau. Das heißt übersetzt Stadtzentrum und ist Esperanto.

Vor über 15 Jahren gab sich die Stadt den Namenszusatz „die Esperanto-Stadt”. Die Verbindung zwischen Herzberg und der künstlich geschaffenen Sprache reicht jedoch noch weiter zurück.

In Herzberg ist die Esperanto-Sprache allgegenwärtig. Schon auf dem Ortseingangsschild heißt es „Bonvenon” also „Willkommen”. Informationstafeln an Bäumen oder zur Geschichte der Stadt sind teilweise in der Sprache verfasst. In der Ortsbibliothek gibt es eine eigene Abteilung für Esperanto-Bücher. „Vor allem aus Spenden ist die Sammlung inzwischen auf 3000 Bücher angewachsen”, sagt der Vorsitzende der Esperanto-Gesellschaft Südharz (EGS), Peter Zilvar. Neben Sachbüchern über die Entwicklung der Esperanto-Sprache finden sich hier auch Übersetzungen, etwa von dem Kinderbuch Max und Moritz oder dem Koran.

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„Esperanto gibt uns Aufmerksamkeit”

Mit Esperanto hat die Stadt ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland und auch in der eigenen Region. „Bäder und Bergstädte gibt es im Harz bereits viele”, sagt Bürgermeister Christopher Wagner (SPD). „Esperanto gibt uns Aufmerksamkeit.” Selbst die Zeitung „New York Times” habe deswegen bereits über Herzberg geschrieben. Das touristische Potenzial von Esperanto sei allerdings überschaubar, sagt der Bürgermeister. Dafür sei das Thema zu klein. Doch warum inszeniert sich der kleine Harz-Ort dann als Esperanto-Stadt?

„Das ist aus der Stadt heraus gewachsen”, sagte Wagner. Bereits Mitte der 1950er Jahre gab es erste Esperanto-Unterrichtsstunden in Herzberg. 1976 gründete sich die EGS. Herzberger Schüler können die Sprache in Arbeitsgemeinschaften lernen und jährlich an einem einwöchigen Sprach-Austausch mit der Partnerstadt Góra in Polen teilnehmen. Zudem gibt es regelmäßig Kongresse und auch Fortbildungskurse für Lehrer in dem Ort, die auch internationale Gäste nach Herzberg locken. Der Döner-Imbiss in der Einkaufsstraße hat deshalb sein Angebot auf Esperanto übersetzt. Im Jahr 2006 stimmte der Rat für den Namenszusatz „Esperanto-Stadt”.

Für Frieden in der Welt

Inzwischen gibt es auch einen Esperanto-Platz sowie einen Zamenhof-Platz mit einer Büste des polnischen Esperanto-Erfinders Ludwik Lejzer Zamenhof. Er hatte die Sprache im 19. Jahrhundert kreiert. Nach Schätzungen sprechen bis zu zwei Millionen Menschen weltweit die Sprache. Der gelernte Augenarzt verfolgte das Ideal, mit einer neutralen Sprache zur Völkerverständigung beizutragen bis hin zum Weltfrieden. Das zeigt auch das Esperanto-Logo: Ein grüner, fünfzackiger Stern. Er stehe für Hoffnung und die fünf Kontinente, sagt der EGS-Vorsitzende Zilvar.

Auf jeden Fall hat Esperanto die Stadt um ein Café reicher gemacht: Im Jahr 2007 eröffneten Harald Schicke und seine Partnerin Song Jeong-ok in der Einkaufsstraße, also dem Urbocentro, das Esperanto-Café. Besonders auffällig sind ihre Speisekarten, die alle in Deutsch, Esperanto sowie in je einer weiteren Sprache verfasst sind. Das Paar verbindet mit Esperanto internationalen Austausch und Beziehungen. Sie selbst hätten sich auf einem Esperanto-Kongress kennengelernt. Nur wegen des Namenszusatzes „Esperanto-Stadt” seien sie nach Herzberg gezogen, um dort ein Café zu eröffnen.

Sprache entfaltet verbindende Wirkung

Wie viele Menschen nach Herzberg wegen der Verbindung mit der Sprache gezogen sind, kann die Stadt nicht beziffern. „Es kommt immer mal wieder vor”, sagt der Bürgermeister, in dessen Büroregal ein kleiner Esperanto-Wimpel steht. Trotz des überschaubaren touristischen Potenzials sei Esperanto ein wichtiger Teil der Stadt.

Die Mitglieder der Esperanto-Gemeinschaft würden sich beispielsweise ehrenamtlich an Stadtfesten beteiligen, sagt Zsófia Kóródy vom Interkultura Centro Herzberg - dem interkulturellen Zentrum. Zumindest in dem Harz-Ort entfaltet die Sprache damit die von seinem Erfinder angedachte verbindende Wirkung. Kóródy sagt: „Die Menschen hier betrachten Esperanto als Teil ihrer Gemeinschaft.”

© dpa-infocom, dpa:220124-99-828242/2 (dpa)

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