„Diese Generation hinterfragt den Sinn“Das Verständnis von Arbeit ändert sich radikal

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„Es geht nicht mehr nur ums Geld verdienen“, sagt Marius Kursawe über die arbeitende „Generation Y“. Worum dann?

  • Dienstwagen und Beförderungen reichen nicht mehr aus, um Arbeitnehmer zufriedenzustellen. Heute geht es vor allem um eine bessere Work-Life-Balance.
  • Auch der Wunsch nach Selbstbestimmung und Flexibilität wird größer. Auf der anderen Seite stehen ständige Unsicherheiten und immer neue Anforderungen. Beides wird in der Corona-Krise deutlich.
  • Wie verändert sich unser Verständnis von Arbeit gerade? Gehört der Vier-Tage-Woche die Zukunft? Oder dem Fünf-Stunden-Tag? Wir haben uns mit drei Menschen unterhalten, die es wissen könnten.

Köln – Wenn Marius Kursawe beschreibt, welches Problem der heutige Arbeitsmarkt in seinen Augen hat, dann vergleicht er ihn am liebsten mit einem Steckpuzzle für Kinder. Diesem Spiel, bei dem kleine Quadrate und Kreise in entsprechend geformte Schablonen gedrückt werden müssen. In seinem Vergleich sind die Bewerber die Formen und die verfügbaren Jobs die Schablonen – die plötzlich nicht mehr aufeinanderpassen. „Es ist für die Arbeitnehmer schwieriger geworden, ihren Platz in der Arbeitswelt zu finden“, sagt Kursawe. „Job und Bewerber passen oft nicht mehr zueinander.“

Kursawe hat zusammen mit seinem Kollegen Robert Kötter das Start-up „Work Life Romance“ gegründet, das Arbeitnehmer und Unternehmer auf der Reise in die Arbeit der Zukunft begleiten will. Die beiden organisieren Coachings, Seminare, Workshops. Zu ihnen kommen Menschen, die mehr Sinn und Freude im Berufsleben suchen und Firmen, die verhindern wollen, dass ihnen die guten Leute abspringen. Dienstwagen und Beförderungen reichten heute nicht mehr aus, um Bewerber zufriedenzustellen, sagt Kursawe. „Das Verständnis von Arbeit hat sich verändert.“ Und: „Es geht nicht mehr nur ums Geld verdienen.“

Neue Generation, neue Erwartungen?

Wenn man über die Veränderung der Arbeitswelt spricht, schreibt man Veränderungen häufig der sogenannten „Generation Y“ zu. Den Jahrgängen der 1980er- und 1990er-Jahre wird nachgesagt, dass sie ganz andere Erwartungen an einen Job mitbringen als die Generationen zuvor: Da fallen Schlagworte wie mehr Flexibilität, mehr Eigenverantwortung, mehr Freizeit und eine bessere Work-Life-Balance. „Diese Generation hinterfragt den Sinn ihrer Arbeit stärker“, sagt Karsten Berge. Er ist Vorstand der auf Digitalberufe spezialisierten Personalberatung Nelex; verdient sein Geld also damit, Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammenzubringen.

Gerade die flexible Gestaltung der Arbeit – sei sie nun räumlich oder zeitlich – habe für die Bewerber eine immer höhere Priorität. Wenn ein potenzieller Arbeitgeber zu unflexibel sei, würden Job-Angebote heutzutage schneller ausgeschlagen. Auch die Zahl der Jobwechsel habe in den vergangenen Jahren zugenommen. Die neue Generation sei risikobereiter als die vorherige. „Sie begreift Unsicherheit stärker als Chance. Die Dinge sind hier nicht so eingefahren wie früher. Es geht nicht darum, zehn Jahre im gleichen Beruf vor sich hin zu arbeiten.“

Fachkräfte sind selten – und haben die Wahl

Um diese Mitarbeiter zu gewinnen, haben Unternehmen lernen müssen, Zugeständnisse zu machen. Das hängt vor allem mit der jetzigen Struktur des Arbeitsmarkts zusammen: In den vergangenen Jahren hat sich das Kräfteverhältnis in vielen Branchen umgekehrt, der Arbeitgeber- ist zum Arbeitnehmermarkt geworden. Berge glaubt nicht, dass die Corona-Krise daran langfristig etwas ändern wird. Hochqualifizierte Fachkräfte, besonders in Digital- und Ingenieurberufen, sind rar gesät. Die Bemühungen der Unternehmen, geeignete Mitarbeiter für offene Stellen zu finden, werden gerne als „War of Talents“ bezeichnet – als Kampf um die besten Talente.

Der Markt habe den Bewerbern der vergangenen Jahre viele Möglichkeiten gegeben, sagt Andrea Hammermann. Sie forscht am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) zu den Themen Arbeitswelten und Arbeitsmarkt.

„Infolgedessen haben sich auch die Anforderungen an die Arbeitgeber verändert.“ Hammermann rät allerdings dazu, vorsichtig mit der Verwendung von Generationenbegriffen zu sein. Das suggeriere, dass es sich bei der aktuellen Entwicklung um Folgen eines Wertewandels handele – während die Forscher des IW die Entwicklung auf die veränderten Umstände zurückführen. „Der besondere Wert der Freizeit hängt zum Beispiel auch mit der guten wirtschaftlichen Lage zusammen“, sagt sie. „Wenn Arbeitslosigkeit und Existenznöte steigen, spielt er eine viel geringere Rolle.“

Betriebliches Miteinander bleibt wichtig

Viele Veränderungen der klassischen Nine-to-five-Jobs seien außerdem eine Reaktion auf Digitalisierungsprozesse: „Arbeitgeber und Beschäftigte versuchen die Chancen, die sich durch moderne Technologien ergeben, auch zu nutzen.“ Ausgerechnet die Corona-Krise hat hier einiges in Bewegung gebracht. Pandemie und Lockdown gelten als Sprungbrett für die Digitalisierung der Arbeitswelt. Nach einer Erhebung des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) arbeitete im März jeder zweite Berufstätige in Deutschland ganz oder teilweise im Homeoffice.

Wie stark sich das Arbeiten von zu Hause künftig in den einzelnen Unternehmen durchsetzen wird, hängt Hammermann zufolge von den Erfahrungen ab, die gerade gemacht werden. „Wenn die Firmenkultur das hergibt, die Teams weiter gut zusammenarbeiten und die nötige Infrastruktur vorhanden ist, spricht wenig dagegen.“ Für die Kreativität und das soziale Miteinander bleibe das betriebliche Miteinander aber auch künftig von Bedeutung.

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Gerade die zeitliche Flexibilisierung von Arbeit hat bereits in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Immer mehr Berufstätige arbeiten zu individuell vereinbarten Zeiten oder in Teilzeit. Die Teilzeitquote stieg in den vergangenen Jahrzehnten nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 18,5 Prozent im Jahr 1991 über 29,4 Prozent im Jahr 2000, 36 Prozent im Jahr 2010 auf 38,6 Prozent im Jahr 2019. Grund dafür ist laut IAB aber nicht etwa, dass die nachrückenden Generationen weniger arbeiten wollen. „Die Entwicklung geht darauf zurück, dass immer mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt getreten sind – die wiederum sehr häufig in Teilzeit arbeiten“, sagt Enzo Weber, der am IAB den Forschungsbereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen leitet.

Heißt die Zukunft Vier-Tage-Woche?

Dennoch gibt es immer wieder Vorschläge, Regelarbeitszeiten dauerhaft zu verkürzen. Linken-Chefin Katja Kipping, zum Beispiel, forderte kürzlich die Einführung einer flächendeckenden Vier-Tage-Woche bei gleicher Bezahlung. Auch Finnlands heutige Ministerpräsidentin Sanna Marin machte einst mit einem ähnlichen Vorschlag international Schlagzeilen. Vorstöße dieser Art fallen häufig im Kontext von Debatten darüber, ob durch die Digitalisierung nicht ohnehin zu viele Jobs wegbrechen werden, um genug Arbeit für alle zu haben. 

Andrea Hammermann sieht dieses Argument kritisch. „Die Diskussion, ob es künftig zu wenig Arbeit geben wird, haben wir schon in den 80er-Jahren geführt – und im 18. Jahrhundert, als der Webstuhl eingeführt wurde“, sagt sie. Auch mit Blick auf die Praxis sieht sie Probleme: Zum einen würde sich dadurch automatisch die Wertschöpfung der Wirtschaft verringern. Zum anderen führten zu hohe Teilzeitquoten in einigen Branchen schon heute zu Problemen, etwa in der öffentlichen Verwaltung. „Hier haben wir in anwendungsorientierten Projekten gesehen, dass das System an seine Grenzen stößt. Teilzeitkräfte arbeiten gern vormittags, aber nicht nachmittags. Das hat organisatorischen Folgen.“ Wenn etwa am Nachmittag nicht mehr genug Mitarbeiter da sind, um die anfallenden Aufgaben zu erledigen. Durch die gute wirtschaftliche Lage der vergangenen Jahre habe sich der Fachkräftemangel in einigen Branchen außerdem massiv verschärft. „Hier sind Arbeitgeber eher bemüht, ihre Angestellten von einer vollzeitnahen Teilzeit oder einer Vollzeitstelle zu überzeugen.“

Auch Fünf-Stunden-Tage sind eine Alternative

Dennoch gibt es Unternehmen, die mit kreativen Modellen den Ansprüchen der neuen Arbeitswelt gerecht werden wollen. Bei der Kölner Agentur Young& Hyperactive wird beispielsweise nur noch vier Tage und insgesamt 36 Stunden gearbeitet, bei gleicher Bezahlung. Die Bielefelder IT-Agentur Rheingans setzt dagegen auf Fünf-Stunden-Tage. Das Düsseldorfer Digitaltelefonie-Unternehmen Sipgate hat Überstunden verboten und dabei gleich noch die Chefposten abgeschafft, um Hierarchien abzubauen. In der Kölner Microsoft-Zentrale setzt man derweil auf Vertrauensarbeitszeit und –ort, für 450 Mitarbeiter gibt es nur noch 75 Arbeitsplätze. Unternehmen wie die Telekom bieten einige Führungspositionen auch in Teilzeit an – in sogenannten Führungstandems. 

Diese Formen des flexiblen und selbstbestimmten Arbeitens finden sich bei weitem nicht in allen Branchen. Nicht jeder Job eignet sich fürs Homeoffice oder variable Arbeitszeiten – es sind vor allem die hoch qualifizierten. Dort, wo meist einfache Arbeiten im Schichtbetrieb erledigt werden – sei es in der Produktion, dem Verkauf oder der Gastronomie – ist wenig Spielraum für zeitliche und räumliche Experimente.

Die Flexibilisierung der Arbeit wird trotzdem auch in Zukunft weiter zunehmen – und der Markt sich weiter wandeln. Das sagt Kursawe, das sagt Berge, das sagt Hammermann. „Arbeit verändert sich durch Technologie“, betont die IW-Expertin. „Die Frage ist, wie flexibel wir uns auf die neuen Technologien und Marktgegebenheiten einstellen können.“ Dabei gehe es um die Agilität von Organisationen – und um die Veränderungsbereitschaft eines jeden Einzelnen.

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