E-Bike BoomWieso immer mehr Radfahrer auf Elektroantrieb umsteigen

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E-Bike Hick

Mit dem E-Bike fährt Gundula Hick auch längere Strecken. 

Seit seinem elften Lebensjahr verbringt er einen großen Teil seiner Freizeit auf dem Fahrradsattel. Bis zu 10.000 Kilometer ist er im Jahr gefahren, sagt Sascha Beier. „Das wäre ein schwerer Schlag für mich gewesen, wenn ich das jetzt hätte aufgeben müssen.“ Im Winterurlaub 2020 hatte der 47-Jährige sich mit Corona infiziert. „Zwar nur mit einem milden Verlauf, aber auch Monate nach der Erkrankung konnte ich nichts mehr riechen und war noch sehr kurzatmig - mir fehlte einfach die Power.“ Beier verkaufte sein hochwertiges Rennrad und Mountainbike und kaufte sich mit dem Geld ein elektronisch unterstütztes Geländerad.

„Jetzt schaffe ich wieder alle Touren, die ich vor Corona gefahren bin“, sagt der Werkzeugmacher aus Bad Münstereifel. „Nur mit einem Tick weniger Belastung.“ Statt mit einer Pulsfrequenz von 165 würde er durch die elektronische Unterstützung mit einem Puls zwischen 145 und 150 die steilsten Berge hochfahren. „Und teilweise auch mit einer Schippe mehr Spaß“, sagt Beier: „Strecken, die früher wegen der Steigerungen sehr zäh waren, kann ich jetzt besser im Flow genießen.“

Fridays for Future trieb E-Bike-Boom an

Das erste Patent auf ein Elektrofahrrad mit Pendelantrieb wurde 1899 von dem Deutschen Albert Hänsel angemeldet – mit überschaubarem Erfolg. Dafür erleben die E-Bikes heutzutage einen späten, aber umso rasanteren Boom: Wurden im Jahr 2009 in Deutschland 150.000 Elektroräder verkauft, waren es 2020 schon zwei Millionen. E-Bikes machen mittlerweile ein Drittel des Fahrradmarktes aus.

Alles zum Thema Herbert Reul

„Vor vier Jahren ging es los“, sagt Lothar Könekamp, einer der Inhaber des „Radlager“ in Köln-Nippes. Ab da sei das E-Bike gesellschaftsfähig geworden: Man sah es auf der Straße, vor dem Haus der Nachbarn, bei Kollegen. Das Angebot reicht mittlerweile von Billig-Pedelecs für 1600 Euro bis High-Tech-Carbonräder um die 13.000 Euro. Im Herbst 2019 hätten die Fridays-for-Future-Demonstrationen die E-Bike-Käufe zusätzlich in die Höhe getrieben, sagt Könekamp. „Das Bewusstsein für die Umwelt hat noch einmal einen Schub bekommen

Hemmschwelle für längere Fahrten sinkt

Gundula Hick hat ihr erstes E-Bike vor ein paar Wochen gekauft. „Im Freundeskreis bin ich daraufhin ein wenig gefrotzelt worden“, sagt die 58-jährige Lehrerin und lacht. „Nach dem Motto altes Eisen und so.“ Das seien die eingefleischten Autofahrer gewesen. „Die Sorte, die sich dann ab und zu auf ihre Retroräder aus den 80er setzen und den Verkehr behindern, weil sie mitten auf der Straße fahren“, sagt die Kölnerin. Der Grund, wieso sie sich für 3000 Euro ein E-Bike angeschafft habe: „Ich möchte nicht mehr so viel Auto fahren und mich im Alltag mehr bewegen.“

Infobox: E-Bikes oder Pedelecs – wo ist der Unterschied?

E-Bike oder Pedelec? Umgangssprachlich wird beides synonym verwendet. Der Unterschied wird jedoch wichtig, wenn es zum Beispiel um die Regeln im Straßenverkehr geht. Mit welchem Rad darf man den Fahrradweg benutzen, wann muss man auf die Straße? Das Pedelec hat nur eine elektronische Unterstützung, die bis 25 km/h geht – alles darüber muss man sich selbst erstrampeln. Die Elektrounterstützung springt auch nur an, wenn man beim Anfahren selbst lostritt. Deshalb gelten Pedelecs im Straßenverkehr als Fahrräder. Bei dem klassischen E-Bike muss man nicht zwingend selber treten, sondern hat einen Motor mit Knopfdruck. Diese Kleinkrafträder sind eher selten und machen nur knapp ein Prozent alles „E-Bikes“ aus. Sie brauchen ein Kennzeichen und müssen versichert werden. Fährt man ein klassisches E-Bike, darf man nur auf dem Radweg fahren, wenn ein „Mofas frei“ Schild dies erlaubt.  

Mit dem Elektrorad falle die Hemmschwelle, auch längere Strecken zu fahren. Zur Arbeit in die Schule beispielsweise, durch die ganze Stadt, 15 Kilometer vom Beller Hof bis nach Mülheim. Auch Ausflüge mit Freunden seien geplant. „Ich pirsche mich da so langsam ran“, sagt Hick. Dabei sehe sie die Stadt mit anderen Augen. „Das ist krass, wie katastrophal oft die Fahrradführung und wie schlecht der Zustand der Radwege ist.“

Zahl der Pedelec-Unfälle steigt

Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Unfalltoten bei fast allen Verkehrsteilnehmern zurück, nur in einer Gruppe nicht: Zwischen Januar und November 2020 starben in Deutschland 137 Pedelec-Fahrer – 19 Prozent mehr als im Jahr zuvor. E-Bike-Fahrer machen mittlerweile ein Drittel aller Radverkehrstoten aus, dabei fahren nur rund ein Zehntel aller Radfahrer ein Elektromodell. In NRW sind im vergangenen Jahr fast 3900 E-Radler verunglückt, etwa 1200 oder 44 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Was die Unfälle insgesamt angeht, ist der Anstieg in der Region Köln und Leverkusen noch deutlicher: die Polizei registrierte vergangenes Jahr 152 Unfälle mit E-Bikes – 48 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der Schwerverletzten hat sich mehr als verdoppelt.

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„Die vielen Pedelec-Unfälle sind ein echtes Problem“, betont NRW-Innenminister Herbert Reul. Die Polizei habe dies zwar „auf dem Schirm“, etwa durch das Angebot spezieller Fahrsicherheitstranings. Aber die E-Biker müssten sich auch selbst kümmern. „Als Kind übt man doch wochenlang, bis man alleine Fahrradfahren kann - für Mofas, Motorräder und Autos gibt es Fahrschulen“, so Reul: „Warum sich nicht auch für Pedelecs Zeit nehmen und sich langsam ran tasten?“

Denn die meisten Unfälle würden durch eigenes Verschulden der Elektro-Fahrer verursacht, weiß Marjana Henne, Verkehrssicherheitsberaterin der Kölner Polizei. „Es liegt ein anderes Fahrverhalten vor – das Pedelec hat aufgrund des Akkus und des Motors ein ganz anderes Gewicht“, so Henne. Zudem verlängere sich der Bremsweg. „Das Bremsen wird auch als abrupt wahrgenommen. Wenn man das nicht kennt, kann man gegebenenfalls stürzen.“

E-Bikes sind wegen der Akkus, die je nach Fahrweise und Strecke meist zwischen 50 und 90 Kilometer lang halten, in der Kritik von Umweltschützern. Die Nachhaltigkeit hänge vor allem davon ab, wie sie genutzt werden und wie viele Pkw-Wege sie ersetzen, heißt es beim Freiburger Öko-Institut. „Bereits nach 165 bis 300 Kilometern, die man mit dem E-Rad statt mit dem Auto fährt, sind die CO2-Emissionen des Akkus ausgeglichen“, erklärt Manuela Weber vom Umweltbundesamt. Ein Pedelec brauche für eine Strecke von 10 Kilometern nur so viel Energie, als würde man 0,7 Liter Wasser bei Raumtemperatur zum Kochen bringen.

Mit dem E-Bike bergauf

Matthias Niewels hat schon vor neun Jahren sein erstes E-Bike gekauft, als die noch nicht in Mode waren. „Ich bin echter Veteran“, sagt der 56-Jährige aus Overath-Immekeppel im Bergischen Land: „Damals haben mich die Leute im Ort noch groß angeguckt, als ich mit dem Rad unterwegs war.“ In erster Linie habe er sich das Gefährt wegen der Fahrt zur Arbeit angeschafft. „Elf Kilometer, landschaftlich wunderschön, die Strecke ist wie ein kleiner Urlaub für mich“, sagt Niewels, Leiter der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Bergisch Gladbach.

Früher, mit dem „normalen Rad“, seien die Steigungen das Problem gewesen. Teilweise zwölf Prozent auf zwei Kilometern. „Oben angekommen war ich nass geschwitzt, so konnte ich nicht ins Büro gehen“, so Niewels. Heute, wo er sich bei der Fahrt auf die Anhöhen elektronisch anschieben lässt, fahre er an mindestens an zwei von fünf Arbeitstagen mit dem Rad statt dem Auto zur Redaktion. In der Summe von Hin- und Rückfahrt mache dies „etwa eineinhalb Stunden, die ich in der freien Natur bin“. Seine Frau habe er mittlerweile auch überredet, ein E-Bike zu kaufen, sagt Niewels. „Und vor zwei Jahren sind wir mit den Rädern von Salzburg über die Alpen nach Venedig gefahren. Ohne die elektronische Unterstützung, hätten wir dieses Abenteuer nie erlebt.“

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