Krisenmanager über Corona und die Folgen„Die Deutschen schwimmen derzeit im Geld“

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Eine Frau zählt Geldscheine. (Symbolbild) 

Frank Roselieb (51) ist seit 1998 Direktor und Sprecher des Krisennavigator – Institut für Krisenforschung. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Mitglied in Krisen- und Katastrophenstäben und berät in der Corona-Pandemie u.a. den Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Was die Corona-Krise mit einem Stromausfall im Münsterland zu tun hat, ob jetzt die große Euphorie kommt und warum die Deutschen gerade im Geld schwimmen, erzählt er uns im Interview.

Was für positive Veränderungen könnte eine Krise wie die Corona-Pandemie auslösen? 

Frank Roselieb: Pandemien zählen – ähnlich wie ein längerfristiger, großflächiger Stromausfall zum Beispiel im Münsterland im Jahr 2005 oder ein Bürgerkrieg mitten in Europa – zu den so genannten Extremrisiken. Weil sie selten vorkommen, dann aber erhebliche Folgen haben, kehren die Menschen nach der Krise vergleichsweise schnell wieder zu ihrem normalen Leben zurück. Sie setzen darauf, dass sich ein solches Ereignis „schon nicht so schnell wiederholt". Reaktanz nennen wir das in der Krisenforschung. Wirkliche Veränderungen sind daher auch nach Pandemien eher die Ausnahme. Hierfür braucht es so genannter Deja-vu-Ereignisse – also weiterer artgleicher Extremereignisse. Zuletzt war dies 2011 nach Fukushima der Fall, wodurch als epochale Veränderung die Energiewende ausgelöst wurde. Tschernobyl oder Krümmel reichten dafür noch nicht.

Nun haben viele Menschen große Solidarität gezeigt, auch das Impfen schreitet inzwischen gut voran. Ist nicht davon auszugehen, dass die Krise auch positiv nachwirkt?

Wir unterscheiden in der Krisenforschung Veränderungen auf der Mikroebene und solche auf der Makroebene. Veränderungen auf der Mikroebene gehen meistens recht schnell und sind vergleichsweise nachhaltig. Im Zuge der Schweinegrippe – mit einer Viertelmillion Infizierten allein in Deutschland – sind von 34 Millionen verfügbaren Impfstoffdosen damals mehr als 28 Millionen liegen geblieben. Bei Corona sieht das ganz anders aus. Die meisten Menschen haben ihre Impfskepsis abgelegt und erkannt, dass eine kleine Veränderung auf der Mikroebene viel Positives bewirken kann.

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Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor und Institutssprecher des Krisennavigator

Was war das in der Corona-Krise zum Beispiel?

In Unternehmen und Behörden wurden die längst totgesagten Videokonferenzen wiederbelebt. Die Einrichtungen sparen auch künftig beträchtliche Reisekosten und die Beschäftigten gewinnen Lebenszeit, wenn sie nicht mehr für eine zweistündige Besprechung oder ein halbtägiges Seminar quer durch Deutschland reisen müssen. Echte Veränderungen auf der Makroebene beobachten wir derzeit noch nicht. Beispielsweise machen uns die südostasiatischen Länder seit vielen Jahren vor, wie recht „fordernde“ bzw. „autoritäre“ Überwachungs- und Nachverfolgungs-Apps bei Infektionslagen großflächige Lockdowns verhindern können. Hierfür fehlt im politischen Raum in Deutschland derzeit noch die Bereitschaft zu entsprechenden Gesetzesänderungen.

Wie wirkt sich die existenzielle Unsicherheit in der Krise auf die Kultur des Ausgehens und Feierns aus? Wird ein Teil der Gesellschaft existenzialistisch-hedonistisch unterwegs sein, während ein anderer womöglich noch vorsichtiger und kontrollierter leben wird als bislang?

In Krisenzeiten aktivieren die Menschen unbewusst die drei „R“ für Resilienz, Redundanz und Robustheit. In der Corona-Pandemie hat insbesondere die Redundanz ihre Stärke ausgespielt: Weil das Fitnessstudio vorübergehend geschlossen war, wurde das Youtube-Video angeklickt und aus dem Wohnzimmer der Fitness-Parcours. Weil Theater- oder Konzertbesuche ausfielen, wurde gestreamt. Diese digitale Angebote können den persönlichen Kontakt natürlich nicht ersetzen. Daher wird es auch einen Restart der Clubs und Theater geben. Einen neuen Ballhaus-Boom wie in den 1920er Jahre erwarte ich nach der Corona-Pandemie nicht. Dafür sind die Alternativen heute einfach zu groß. Ebenso kann ich keine Anzeichen für einen neuen Hedonismus im Sinne von „Babylon Berlin“ erkennen. Hierfür waren die Einschränkungen durch die Pandemie noch nicht weitreichend genug.

Machen Krisen uns im Schnitt resilienter, solidarischer?

Die Resilienz eines Menschen, also seine Stehaufmännchen-Qualitäten, wird durch Krisenereignisse wie die Corona-Pandemie trainiert. Sie ist aber im Kern bereits Bestandteil der jeweiligen Persönlichkeit, unter anderem im Sinne von guter Gefühlsstabilität, ausgeprägtem Selbstbewusstsein und hoher Kontaktstärke. Mit anderen Worten: Die einzelnen Menschen haben durch die Corona-Pandemie gelernt, wieviel sie tatsächlich individuell aushalten können und nutzen dieses Wissens nun bei der Bewältigung zukünftiger Krisen.

Auch in puncto Solidarität?

Bei der Solidarität in Krisenzeiten sind die Befunde nicht ganz so eindeutig. Einerseits wissen wir aus den USA, dass sich dort bei Katastrophen wie dem Hurrikan Katrina die Menschen viel stärker als im sonstigen Alltag helfen. Andererseits zeigt das stärker werdende Problem der Impfvordrängler oder zuvor das der Maskenverweigerer in Deutschland, dass die Solidarität schnell an ihre Grenzen kommt. Eine Krise macht Notleidende nicht unbedingt zu besseren Menschen, öffnet aber den Blick auf Gleichgesinnte.

Machen Krisen gesellschaftliche Veränderungen  Stichwort: Notwendigkeit eines Umbaus ganzer Industriezweige für die Klimawende  leichter durchsetzbar? Oder nicht, da wir uns nach dem Bekannten sehnen, das Kontrolle verspricht?

Weder noch. Wirkliche Veränderungen erfordern zum einen Einsicht in die wahre Dimension des Problems und zum anderen echtes Problemlösungsbewusstsein – auch jenseits etablierter Vorurteile. Beim ersten Punkt sieht es bei der Pandemie und dem Klimawandel noch gut aus: Beides sind globale Ereignisse – weglaufen geht also nicht. Und es sind schleichende Krisen – man merkt erst im Laufe der Zeit, was da auf einen zukommt. Beim zweiten Punkt, dem Problemlösungsbewusstsein, unterscheiden sie sich beide Krisenfälle deutlich. Zwei Beispiele: Erstens ist es beim Klimawandel gut und richtig, dass viele gesellschaftliche Gruppen Alarm schlagen. Übertriebener Alarmismus hilft aber ganz und gar nicht. So überbieten sich Klimaforscher seit Jahrzehnten mit Fünf-Jahres-Prognosen, wann das Pol-Eis geschmolzen sein wird oder wann die Skiorte in den Alpen schneefrei sein werden. Wenn solche Prognosen dann nicht eintreten, verliert der Alarm seine Wirkungen und die Wissenschaftler werden unglaubwürdig.

In der Pandemie war das nicht der Fall...

Das klappt bei der Pandemie deutlich besser, vielleicht weil dort die Vielfalt unterschiedlicher Meinungen in der Wissenschaft deutlich stärker ausgeprägt ist. Zweitens haben die Pandemieforscher frühzeitig erkannt, dass die Krisenbewältigung nur im Schulterschluss mit der Wirtschaft gelingen kann. Diese muss die Impfstoffe entwickeln, produzieren und vertreiben. Bei vielen Klimaaktivisten fehlt es hier oft noch an der nötigen Einsicht für ein Miteinander statt Gegeneinander. Letztlich lösen auch beim Klimawandel nicht warnende Biologen oder demonstrierende Schulkinder das Problem, sondern findige Ingenieure in der Industrie durch ihre technischen Innovationen.

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Welche Implikationen bringt die für westliche Gesellschaften ungewohnt geballte Konfrontationen mit dem Tod mit sich?

In der Krisenforschung unterscheiden wir zwischen Krisen, die noch Möglichkeiten zum Verhindern einer negativen Entwicklung bieten und Katastrophen, bei denen die Wende zum Schlimmen bereits unabwendbar eingetreten ist. Der Verweis auf den Tod hat sich in der Krisenprävention als schlechter Motor für Veränderungsprozesse erwiesen. Erstens sehen die Menschen den Tod als unabwendbar an – ähnlich wie Katastrophen („Da kann man sowieso nichts machen“). Und zweitens glauben die Menschen den dramatischen Schilderungen beziehungsweise der Drohung mit dem Tod oft nicht, weil Krisenfälle und Katastrophen stets mehr Menschen überleben als daran sterben. Wenn der Tod in der Krisenkommunikation eingesetzt wird wie die Bilder mit den Leichentransporten in Bergamo im März 2020, dann nur zur kurzfristigen nachhaltigen Warnung – ähnlich wie beim Trafohäuschen. Als nachhaltig wirkendes Argument für exzessives Feiern oder größere Anerkennung für Pflegeberufe wird er kaum taugen.

Wie erklären Sie den Höhenflug der Börsenkurse während der Pandemie, in der Teile der Wirtschaft stillstanden?

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie sind zwar die Nominallöhne in Deutschland gesunken, unter anderem wegen Kurzarbeit und leicht zunehmender Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig haben die Einlagen der Deutschen auf Giro- und Tagesgeldkonten ein neues Rekordhoch erreicht. Die Deutschen schwimmen derzeit im Geld, können es aber in der Pandemie nicht ausgeben. Als Reaktion hierauf haben immer mehr Banken und Sparkassen die Freigrenzen für Negativzinsen stetig gesenkt. Um solchen Verwahrentgelten zu entgehen, bleibt Sparern oft nur der Aktienmarkt. Die hohe Nachfrage nach Wertpapieren treibt die Kurse. Gleichzeitig leiden große börsennotierte Industrieunternehmen nur wenig unter der Pandemie, werden also zudem positiv bewertet.

Was, wenn Sie an die Corona-Krise und den Umgang damit denken, macht sie hoffnungsvoll?

In der Gesamtbilanz hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass die Rahmenbedingungen zur Krisenbewältigung in Deutschland stimmen. Beispielsweise haben sich zu Beginn der Pandemie im März und April 2020 eine Viertelmillion Deutsche vom Auswärtigen Amt nach Hause fliegen lassen, auch solche, die bereits seit Jahrzehnten im Ausland leben. Sie wollten die Pandemie offenbar lieber unter der soliden deutsche Eiche als unter einer wackelige karibischen Palme aussitzen.

Und was eher nicht?

Bei uns werden Krisen noch immer mehr verwaltet als gemanagt. Mal wird das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – gegen alle Warnungen – mit immer mehr Stellen und Budgetmitteln ausgebaut, versagt dann aber mitten in der Pandemie – beispielsweise beim nationalen Warntag am 10. September 2020 – so kläglich, dass sogar der Präsident nach mehr als einem Jahrzehnt im Amt seinen Hut nehmen muss. Ein anderes Mal will das Bundesgesundheitsministerium mit viel Verwaltungspersonal und Steuergeld Schnelltests in Asien beschaffen und in Deutschland aufwendig verteilen.  Doch das bekamen dann Discounter wie Aldi oder Lidl dank professioneller Einkaufsabteilungen und eingespielter Logistik viel schneller und günstiger hin. Eine Trendwende weg von der Krisenverwaltung hin zum Krisenmanagement kann ich leider immer noch nicht erkennen. Bis auf weiteres fehlt uns wohl ein agiler Problemlöser wie Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Also jemand, der Krisen pragmatisch angeht, mutig unkonventionelle Wege wählt und weiß, was der einzelne Bürger oder der Unternehmer viel besser entscheiden und umsetzen können als ein „starker Staat“.

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