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Recht und OrdnungMord ist Absicht, Totschlag ist Versehen – stimmt diese Faustregel?

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Köln – Diese Unterscheidung höre ich oft. Eine andere geht so: „Bei Mord hat der Täter die Tötung geplant; bei Totschlag hat er im Affekt gehandelt.“ Das klingt nachvollziehbar. Trotzdem ist es falsch. Die Rechtslage bestimmt vielmehr, dass einem Tatverdächtigen sowohl bei einer Mordanklage nach Paragraf 211 des Strafgesetzbuches (StGB) als auch bei einer Anklage wegen Totschlags (Paragraf 212 StGB) der Vorsatz nachgewiesen werden muss. Er muss den Tod eines anderen Menschen beabsichtigt, sicher mit diesem gerechnet oder ihn jedenfalls „billigend in Kauf genommen haben“. Handelte er „nur“ fahrlässig, kommt auch „nur“ eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung in Betracht.

Mordmerkmale geben Aufschluss über Strafmaß

Tötet ein Mensch einen anderen vorsätzlich, macht er sich – sofern keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorliegen – wegen Totschlags strafbar. Wegen Mordes und damit mit lebenslanger Freiheitsstrafe wird bestraft, wer darüber hinaus mindestens eines der sogenannten Mordmerkmale erfüllt hat. Diese sind gesetzlich abschließend geregelt und werden in drei Gruppen aufgeteilt, wobei allgemein zwischen tat- und täterbezogenen Mordmerkmalen unterschieden wird.

Die täterbezogenen Mordmerkmale der ersten Gruppe haben gemeinsam, dass der Beweggrund als besonders verwerflich anzusehen ist. Kommt es dem Täter darauf an, einen Menschen sterben zu sehen, sei es aus Zeitvertreib, Angeberei oder schlicht Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens, dann handelt er aus „Mordlust“. Weitere Merkmale dieser Gruppe sind die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und aus Habgier. Darunter fällt zum Beispiel der Täter, der an das Vermögen eines anderen heran will, oder auch der Auftragskiller. Bei anderen verachtenswerten Motiven kann das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen werden: die Tötung eines Kindes, um dessen Mutter zu „bestrafen“, die Tötung aufgrund von Ausländerfeindlichkeit oder aus Blutrache.

Mord oder Totschlag – keine leichte Entscheidung

Die zweite Gruppe enthält tatbezogene Merkmale, die ein besonders gefährliches oder verwerfliches Vorgehen betreffen. Was der „geplanten Tat“ am nächsten kommt, ist das Merkmal der Heimtücke. Dabei wird als besonders verwerflich angesehen, dass der Täter eine Situation ausnutzt, in der das Opfer nicht mit einem Angriff rechnet und sich deshalb nicht ausreichend wehren kann. Heimtückisch handelt etwa, wer sein Opfer von hinten erschießt.

Wegen Mordes wird auch bestraft, wer sein Opfer grausam umbringt, ihm also größere Qualen zufügt, als es für die bloße Tötung erforderlich wäre. Hierunter fallen unter anderem das Verbrennen, das Verhungern lassen oder auch vorausgehende Folter. Ein Mordmerkmal verwirklicht ferner, wer gemeingefährlich vorgeht, also nicht kontrollieren kann, ob und wie viele andere Menschen er in Todesgefahr bringt. Das ist etwa bei Brandstiftern oder Bombenlegern der Fall. Die dritte Gruppe schließlich stellt wiederum täterbezogen auf das Ziel der Tötung ab. So wird derjenige wegen Mordes bestraft, der tötet, um eine vorausgegangene Straftat zu verdecken oder eine andere zu ermöglichen.

Ob Mord oder Totschlag vorliegt, ist in vielen Fällen also nicht so einfach zu sagen. Die einzelnen Mordmerkmale werden von der Rechtsprechung fortwährend ausgelegt. Die gesetzliche Regelung wird dennoch häufig als reformbedürftig angesehen. Kritisiert wird etwa die strenge Aufzählung der Fälle, in denen ein Mord anzunehmen ist. So müsste etwa eine Ehefrau, die – von ihrem Mann jahrelang körperlich misshandelt – keinen anderen Ausweg sieht, als ihn im Schlaf zu erschießen, nach geltender Gesetzeslage wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt werden.

Zum anderen wird kritisiert, dass die Formulierungen im Strafgesetzbuch teilweise noch aus der NS-Zeit stammten und von einer „Tätertypen-Lehre“ geprägt seien, die mit dem heutigen Strafrechtsverständnis nicht mehr vereinbar seien. Ob der Gesetzgeber sich dieser und anderer Probleme bei der Bestimmung des Mordes annimmt und wie er sie dann löst, ist offen. Bis dahin gilt: Nicht schon die bloße Absicht macht die Tötung zum Mord, sondern das spezielle Merkmal.

Dieser Text ist eine Folge unserer Rechtskolumne „Recht & Ordnung“. In dieser Serie schreiben Staatsanwältin Laura Neumann (Düsseldorf) sowie die Rechtsanwälte Pia Lorenz („Beck aktuell“), Martin W. Huff (ehem. Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln), Christian Solmecke (Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WBS.Legal) und Thomas Bradler (Verbraucherzentrale NRW, Leiter Markt und Recht). In ihren Kolumnen geben sie Auskunft zu oft kniffligen Fragen des Rechts, können aber keine Rechtsberatung bieten oder in konkreten Fällen den Gang zu einem Anwalt ersetzen. Haben Sie eine Frage an unsere Experten? Dann schreiben Sie uns eine Mail an: recht-und-ordnung@kstamedien.de

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