Recht und OrdnungWelche Informationen aus dem Internet darf ein Gericht nutzen?

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Kann alles, was ich bei Facebook teile, vor Gericht gegen mich verwendet werden?

  • In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
  • Dafür befassen sich eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und eine Jura-Professorin in ihrer Kolumne regelmäßig mit einem konkreten Fall.
  • Diesmal erklärt Martin W. Huff, welche Informationen aus dem Internet eine Richterin oder ein Richter vor Gericht in die Entscheidung einbeziehen darf.

Köln – Beginnen kann ich hier nur mit einer für Juristen typischen Antwort: Es kommt darauf an. Zunächst kommt es darauf an, wofür die entsprechenden Informationen verwendet werden sollen. Sucht ein Gericht beispielsweise nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, darf es auf die BGH-Homepage gehen, sich die Entscheidung herunterladen und verwenden. Allerdings muss das Gericht dabei sehr auf die Quelle achten.

Auch im Internet veröffentlichte Gesetze, Verordnungen und weitere amtliche Dokumente darf das Gericht verwenden und muss sie nicht mehr etwa bei der Stadtverwaltung anfordern. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Prozessparteien. Unsere Prozessordnungen, die den Ablauf von Gerichtsverfahren regeln, verlangen dann keinen Beweis für eine Tatsache, wenn sie „offenkundig“ ist. So formuliert es etwa Paragraf 291 der Zivilprozessordnung. Ein Beispiel aus dem Verkehrsrecht: Offenkundig ist es, dass bei uns die Ampeln von oben nach unten die Farben Rot, Gelb und Grün zeigen. Darüber muss in einem Gerichtsverfahren, in dem es auf die Ampelschaltung ankommt, kein Beweis erhoben werden.

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Martin Huff

Martin W. Huff, geboren 1959 in Köln, ist seit 2008 Geschäftsführer und Pressesprecher der Rechtsanwaltskammer Köln. 

Foto: Uwe Weiser

Martin W. Huff, geboren 1959 in Köln, ist seit 2008 Geschäftsführer und Pressesprecher der Rechtsanwaltskammer Köln. Er war lange Jahre Mitglied der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefredakteur der Neuen Juristischen Wochenschrift, der größten Fachzeitschrift für Juristen. Er befasst sich als Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Rechtsanwälte intensiv mit dem Medienrecht und dem Recht der Freiberufler. Er ist zudem Mitglied der Expertenrunde Recht der Stiftung Warentest. 

Nun stehen im Internet sehr viele Informationen, die zwar offen zugänglich, aber alles andere als offenkundig sind. Aber: Über die oben beschriebenen amtlichen Dokumente hinaus werden heute viele Tatsachen aus dem Internet als allgemein bekannt vorausgesetzt. Es gilt: Allgemeinkundig sind alle Tatsachen und Erfahrungssätze, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne weiteres Kenntnis haben oder über die sie sich aus allgemein zugänglichen Quellen unschwer unterrichten können. Und eine dieser Quellen ist heute das Internet.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat aktuell einen typischen Fall mit Hilfe des Internets entschieden (Beschluss vom 5.1.2021 – 2 RBs 191/20). In einem Bußgeldverfahren um das Überfahren einer roten Ampel kam es darauf an, wie genau die Kreuzung gestaltet war. Nunmehr hätten die Richter sich in einem aufwendigen Ortstermin an den „Tatort“ in Oberhausen begeben können. Doch sie fanden einen anderen Weg: Sie sahen sich in ihrer Beratung die Kreuzung über Google Maps an. Der Leitsatz des Gerichts lautet: „Die im Internet bei Google Maps oder Google Earth abrufbaren Luftbildaufnahmen können als Quelle für allgemeinkundige Erkenntnis zu örtlichen Gegebenheiten herangezogen werden“. Dabei muss freilich gesichert sein, dass die Bilder aktuell sind.

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Auf dieser Basis kamen die Richter zu ihrem Beschluss: „Die Luftbildaufnahme … der Ampelkreuzung kann bei Google Maps unter Benutzung der Zoomfunktion in derart hoher Auflösung abgerufen werden, dass die Fahrbahnmarkierungen, insbesondere die für den Betroffenen maßgebliche Haltelinie, und der dortige Standort der Lichtzeichenanlage deutlich erkennbar sind. Der Abstand zwischen Haltelinie und Lichtzeichenanlage ist kürzer als die aus der Vogelperspektive abgebildeten Pkws und beträgt in Relation hierzu jedenfalls nicht mehr als vier Meter.

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Bei diesem geringen Abstand ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Polizeibeamten mit ihrer jeweiligen Methode bereits drei Sekunden seit Beginn der Rotlichtphase gezählt hatten, bevor der durch Aufheulen des Motors zunächst phonetisch wahrnehmbare Pkw des Betroffenen für sie sichtbar wurde und die Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage passierte, zwangsläufig, dass die Rotlichtphase schon beim Überfahren der Haltelinie länger als eine Sekunde andauerte.“ Damit hatte der Betroffene keinen Erfolg mit seinem Argument, die Ampel habe erst ganz kurz rot gezeigt, als er sie passierte.

Wichtig ist für Richter, so wie hier geschehen, dass sie darlegen, warum sie die von ihnen herangezogenen Tatsachen für offenkundig halten. Alleine etwas aus Wikipedia zu zitieren, reicht nicht aus.

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