Urteil gegen AktivistinDarf man vor Gericht seinen Namen einfach nicht nennen?

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Ein vermummter Aktivist im Hambacher Forst

Ein vermummter Aktivist im Hambacher Forst.

Köln – Für die „Eule“ geht es aus dem Wald ins Gefängnis: Es ist der September 2018, die umstrittenen Räumungsaktionen im Hambacher Forst sind im vollen Gange, als Spezialkräfte der Polizei die junge Frau aus ihrer Hängematte holen. Von dort wird sie in eine Gefangenensammelstelle nach Aachen gebracht, sie soll sich heftig gewehrt haben. „Eule“ soll einen Polizisten getreten haben, eine Beamtin wird leicht an der Hand verletzt. Die Anti-Braunkohleaktivistin verbringt mehrere Monate in Untersuchungshaft in der JVA Iserlohn, Mitte Februar wird sie schließlich zu neun Monaten Jugendhaft verurteilt.

Wer „Eule“ wirklich ist, weiß niemand, zumindest niemand bei den Behörden und im Gericht. Die junge Frau verweigert konsequent ihre Identität, gibt weder ihren Wohnort, noch ihr Alter (sie ist zwischen 18 bis 22 Jahre alt) preis – und ihren Namen erst recht nicht. „Eule“ ist ihr Deckname in der Aktivistenszene, die seit Jahren den Hambacher Forst besetzt hält. 

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Aber geht das überhaupt? Darf man vor Gericht einfach seinen Namen nicht nennen? Um es vorweg zu nehmen: Ja, das ist möglich – aber relativ selten und mit größeren Schwierigkeiten verbunden. „Niemand ist verpflichtet, einem Gericht seine Identität zu nennen“, sagt Udo Vetter, Anwalt für Strafrecht. Das gelte genauso gegenüber den Polizei. „Man muss einen Personalausweis nicht dabei haben, sondern nur einen besitzen." Wer sich weigert, seine Personalien zu nennen, begeht keine Straftat. „Es handelt sich um eine Ordnungswidrigkeit, die kann maximal mit einem Bußgeld von 1000 Euro belegt werden“, erklärt Vetter.

Auch wenn die Justiz ohne Zwangsmaßnahmen auskommen muss, um einen Namen zu erfahren, kann die Identitätsverweigerung aber durchaus ernste Konsequenzen haben. Ein Druckmittel ist die Untersuchungshaft. Damit ein potenzieller Straftäter in U-Haft gesteckt werden kann, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Neben dem dringenden Tatverdacht, muss es einen Grund für die Haft geben. Im Fall von Identitätsverweigerung liegt der für Richter auf der Hand, wenn weder Name noch Adresse eines potenziellen Straftäters bekannt sind: Fluchtgefahr.

Staatsanwaltschaft Aachen kennt mehrere Fälle aus dem Hambacher Forst

So dürfte es auch im Fall „Eule“ gewesen sein. Laut Anwalt Udo Vetter würden die Straftaten, wegen derer sie jetzt vom Amtsgericht Kerpen verurteilt wurde, normalerweise nicht zu einer U-Haft führen. Es ging in dem Prozess um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung. Keine Rolle spielen darf die Verweigerungshaltung hingegen beim Strafmaß, schließlich hat jeder Angeklagte und jede Angeklagte das Recht, die Aussage vor Gericht zu verweigern – egal ob mit oder ohne Namen.

Die junge Aktivistin ist kein Einzelfall. In der Waldbesetzerszene im Hambacher Forst gehört die Anonymität zum guten Ton. Einen Ausweis trägt dort so gut wie niemand bei sich, oft verkleben sich Aktivisten die Fingerkuppen, damit keine Abdrücke genommen werden können. Nach Angaben der Aachener Staatsanwaltschaft haben solche Fälle rund um die Protestbewegung gegen die Braunkohle zuletzt zugenommen, ein rechtskräftiges Urteil gab es bisher allerdings nicht.

Anwalt Udo Vetter befürchtet Einschränkung der Freiheitsrechte

Für die Justiz ist der Umgang mit solch einem Verhalten nicht immer so einfach wie bei „Eule“. Da sie bereits in Untersuchungshaft sitzt, kann sie direkt von dort in die angeordnete Strafhaft gebracht werden – wenn das Urteil rechtskräftig werden sollte. „Schwieriger ist es bei Personen, die sich nicht in Untersuchungshaft befinden", sagt Jost Schützeberg, Pressesprecher der Aachener Staatsanwaltschaft. In solchen Fällen bekommt der Verurteilte eine Ladung, um die Strafe zu vollstrecken – sei es eine Geldstrafe oder eine Haft. Fast unmöglich, wenn weder Name noch Wohnort bekannt sind. Es würde dann ein Haftbefehl ausgestellt werden, in dem etwa mit einem Bild nach dem Straftäter gesucht wird.

Bleibt die Frage nach der Vorstrafe. Kommt eine nicht identifizierte Person nach der Haft wieder frei, gilt sie natürlich als vorbestraft – nur kann das eben nicht vermerkt werden. Im Normalfall hat die Polizei jedoch die Fingerabdrücke registriert, sollte der oder die Unbekannte also wieder straffällig werden, kann die neue Tat auf ihn zurückgeführt werden. Ansonsten würde die Identität wahrscheinlich nur durch einen Zufall bekannt werden. Dann ließe sich die Vorstrafe im Nachhinein im persönlichen Eintrag im Bundeszentralregister ergänzen.

Auch wenn Identitätsverweigerungen keine Seltenheit sind, kaum jemand ist dabei so konsequent wie „Eule“. So berichtet Jost Schützeberg von Fällen, in denen Verdächtige ihre Daten zwar zunächst nicht nannten, später aber umschwenkten. „Es muss eine tiefere innere Überzeugung dazugehören, so etwas durchzuziehen. Aus meiner Sicht bringt es nichts, dafür ins Gefängnis zu gehen“, sagt Udo Vetter. „Ich finde es aber beinahe unglaublich, dass diese Anonymität in der heutigen vernetzten Gesellschaft überhaupt noch möglich ist.“

Ob solche Fälle wie der von „Eule“ in Zukunft überhaupt noch möglich sind, ist offen. In der Europäischen Union sollen Fingerabdrücke im Personalausweis bald verpflichtend werden. Könnten Ermittler diese Daten abrufen, wäre ihr wirklicher Name nach einem Abgleich der Abdrücke feststellbar. „Es ist aber keineswegs ausgemacht, dass Strafverfolgungsbehörden das dann dürfen. Dadurch würde die persönliche Freiheit erheblich eingeschränkt“, meint Vetter.

Bei den Daten, die für die Lkw-Maut in Deutschland erhoben werden, ist die Abfrage durch Ermittler beispielsweise nicht möglich. Immer mal wieder wird diskutiert, ob die Regelung zumindest bei schweren Straftaten aufgeweicht werden darf.

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