Sport zu HauseHometrainer boomen – in welchen Fällen lohnt sich der Kauf?

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Moderne Rollen-Trainer lassen sich kabellos mit Smartphone oder TV verbinden und ermöglichen über Apps wie Zwift ein digitales Sporterlebnis.

Köln – Die Tage herkömmlicher Hometrainer sind gezählt. Diese irgendwie gar nicht sportlich aussehenden Fahrradergometer etwa, die in vielen Fitnessstudios stehen und in noch mehr Kellern verstauben, deren unbequemen Sättel wir gern mit den ebenfalls im hintersten Eck verstauten Gartenstuhlauflagen abpolstern und die wir in besonderen Enthusiasmus-Phasen ins Wohnzimmer vor den Fernseher schleppen, um gleichzeitig Tatort gucken und sportlich sein zu können, haben ausgedient. Sie werden abgelöst von deutliche schickeren (und teureren) Systemen, die zudem „digital“, „smart“ und „vernetzbar“ sind und uns „on demand“ oder per „Livestream“ in virtuelle Trainingswelten entführen.

Die Digitalisierung der Welt betrifft auch das Heimtraining, das ist seit einigen Jahren ein wachsender Trend. Doch aktuell, in Zeiten von auf Grund von Corona geschlossenen Fitnessstudios, Kontaktbeschränkungen und minimierten Freizeitmöglichkeiten erlebt dieser Trend einen wahren Turboschub. Viele der entsprechenden Geräte sind nur noch mit langen Wartezeiten zu bekommen und bei einigen Digital-Anbietern explodieren die Mitgliederzahlen.

WHO empfiehlt 150 Minuten moderate Belastung

Till Schramm ist Profi-Triathlet, unter-8:30-Stunden-Ironmen und somit eindeutig als Mensch mit dem Quäl-Gen ausgewiesen. Er ist eines jener wundersamen Exemplare unserer Spezies, die keine besondere Motivation brauchen, um viel Sport zu treiben. Die freiwillig weit jenseits der von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen 150 Minuten bei moderater Belastung trainieren. Einfach, weil es ihnen Spaß macht. Dieser Till Schramm also, der noch immer auf dem Rad sitzt oder sich die Sohlen seiner Laufschuhe durchrennt, wenn viele von uns längst den Kampf gegen den inneren Schweinehund verloren haben und auf dem Sofa lümmeln, ist in der neuen Welt des Heimtrainings vom Frischluft-Freak zum Rollen-Fanatiker geworden.

„Das Wetter muss schon sehr gut sein, damit ich auf dem Fahrrad noch draußen trainiere“, sagt der 35-jährige Kölner. Was kein Aufruf zur Natur-Vermeidung sein soll. Denn beim Trainingspensum des sechsmaligen Siegers über die Ironman-Distzanz, der zuletzt den Ostseemann in Glücksburg 2019 mit Streckenrekord von 8:24:11 Stunden gewann, bleibt noch genug Draußen-Sportzeit übrig. Als Hinweis auf den Reiz des digitalen zu-Hause-Sportelns darf seine Aussage aber durchaus dienen.

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„Das Heimtraining ist extrem effizient, da kann ich sehr konzentriert arbeiten“, sagt Schramm. Das war schon immer so, auch vor „smart“ und „digital“ und „vernetzt“. Aber jetzt macht ihm das auch noch Spaß. Auf seinem eigenen Rennrad, eingespannt in einen Smart-Trainer der neuesten Generation, radelt er vor einem großen Flatscreen durch virtuelle Welten, wo er zu jeder Tages- und Nachtzeit Trainingspartner trifft, mit denen er kommunizieren oder auch einfach nur um die Wette fahren kann. „Das ist toll, das ist multikulti mit internationalem Flair“, sagt Schramm. Auch sein sechsjähriger Sohn Theo macht auf dem eigenen Bike manchmal mit. Ihm gefallen die Dinosaurier in „Watopia“, der Fantasywelt in der App „Zwift“. „Das ätzende Rolle-fahren wird plötzlich zum Online-Familien-Sport-Erlebnis“, sagt Schramm.

Der Begriff „auf der Rolle fahren“ hat sich gehalten bei Triathleten und Radsportlern, obwohl die modernen Geräte nicht mehr mit einer Rolle funktionieren, auf die das Hinterrad des eigenen Fahrrades geklemmt wird. In die heutigen Smart-Trainer wird der Rahmen eines Fahrrades ohne Hinterrad eingespannt, die Kette läuft auf einem eigenen Ritzelpaket des Gerätes. Das ermöglicht eine genauere Leistungsmessung. Doch der eigentliche Clou der neuen Generation der Rollen-Trainer: Sie lassen sich kabellos mit Smartphone, TV oder Tablet verbinden und ermöglichen dem Trainierenden über Apps wie Zwift oder Sufferfest ein digitales Sporterlebnis.

380 Prozent mehr Neuanmeldungen

Marktführer Zwift gibt es seit 2014. Pressesprecher Chris Snook bestätigte auf Anfrage, dass man in den letzten Jahren ohnehin stark gewachsen sei: „Aber Covid hat den Trend beschleunigt.“ Seit April habe man bei den Neuanmeldungen eine Steigerung von 380 Prozent verglichen mit dem gleichen Zeitraum des Vorjahres verzeichnet. Insgesamt habe sich die Mitgliederzahl in den letzten zwölf Monaten verdoppelt.

Und: „Das Engagement jedes einzelnen Mitglieds ist stark gestiegen“, sagt Snook. „Wer sich 2020 neu angemeldet hat, verbringt 29 Prozent mehr Zeit „zwifting“ als diejenigen, die vor zwei Jahren eingestiegen sind.“ Und wer bereits im zweiten Jahr dabei ist, verbringe 59 Prozent mehr Zeit mit Zwift als im ersten Jahr. Dazu komme, dass die soziale Nutzung gestiegen sei, die Anzahl an verabredeten Gruppentrainings über Zwift habe sich verachtfacht. Wer sich sonst draußen zum gemeinsamen Radeln getroffen hat, dreht jetzt öfter mal zusammen eine Runde durch die virtuelle Zwift-Welt.

Peloton: Komplettes Fitnessstudio für zu Hause

Ein anderer großer Profiteur des Trends ist Peloton, gern auch als „Netflix der Fitnessbranche“ bezeichnet. Auf den ersten Blick ist Peloton ein besonders schick aussehendes Fahrradergometer – tatsächlich verbirgt sich hinter dem sehr teuren Gerät ein komplettes Fitnessstudio für zu Hause. Über die Peloton-App werden nicht nur Trainings auf dem Rad angeboten, sondern auch Yoga, Kraftübungen, Stretching oder Meditation mit verschiedenen Coaches.

Das kommt an, besonders in diesem Corona-Jahr: „Im März lag die Mitgliederzahl weltweit noch bei über 2 Millionen – inzwischen haben wir mehr als 3,6 Millionen Mitglieder“, sagt Martin Richter, der Geschäftsführer von Peloton Deutschland. „Im letzten Quartal haben sie über 77 Millionen Workouts absolviert. Das sind fast 21 Workouts pro Abonnement im Monat, und fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.“

Der Trend ist also deutlich. Aber macht er trainingswissenschaftlich auch Sinn? Wir haben bei Lars Donath nachgefragt, Professor für trainingswissenschaftliche Interventionsforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Der Vater dreier Kinder schwitzt gern im Keller auf seinem Ruderergometer, und am Abend vor unserem Gespräch war er mit 250 anderen Radlern anderthalb Stunden in der Zwift-Welt unterwegs. „Das ist niederschwellig, familienkompatibel und macht richtig Spaß“, sagt er.

Trotzdem rät er nicht per se dazu, sich teure Hometrainer zu Hause aufzustellen. Er sagt: „Zu Hause ist in der Regel zu Hause. Am Ort der Entspannung und Ruhe Sport etablieren zu wollen, das geht häufig nicht gut.“ Bei teureren Anschaffungen dauere es möglicherweise etwas länger, aber oft übernehme nach sechs bis zwölf Monaten eben doch wieder der Autopilot und das Gerät verstaube dann im Keller.

Experte vermutet, dass der Boom nach Corona vorbei ist

Wer auf Dauer erfolgreich zu Hause trainieren will, müsse sich Rituale schaffen. „Wenn man Trainingseinheiten immer wieder neu verhandelt und verschiebt, dann ist die Wahrscheinlichkeit das Handtuch zu werfen deutlich höher, als wenn man das ritualisiert immer zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort macht“, sagt Donath: „Deshalb ist ja das soziale Sporttreiben so erfolgreich, in einer Mannschaft, im Verein, da ist man verbindlich verabredet.“ Donath vermutet deshalb, dass auch der aktuelle Heimtrainings-Boom irgendwann wieder den alltäglichen Routinen zum Opfer fallen könnte. „Und dann werden eventuell die ganzen teuren Geräte zu Spottpreisen wieder verkauft.“

Kann sein. Muss aber nicht. Das Sporttreiben wird digitaler, eines aber ist wie immer: Sport tut gut. Sport macht stark und fröhlich. Und stressresistenter. Egal ob drinnen oder draußen, egal ob in Laufschuhen auf dem Waldboden oder auf dem Fahrrad vor einem Bildschirm. Sportwissenschaftler Lars Donath rät deshalb dazu, körperliche Aktivität zentral im Alltag zu verankern – auf dass sie Teil der eigenen Persönlichkeit werde: „Denn dann wird man immer irgendwas machen. Weil man merkt: Ich brauche das, um mich gut, gesund und fit zu fühlen, um besser einzuschlafen und ausgeglichen zu sein.“

Drei Hometrainer der neuen Generation

Smart-Trainer und Zwift

Wer mit Hilfe der App Zwift auf der virtuellen Südseeinsel Watopia mit dem Rad seine Runden drehen will, braucht ein internetfähiges Endgerät (Computer, AppleTV oder Smartphone/Tablet mit iOS 9.0 oder höher/Android 6.0 oder höher/Internet-Anschluss mit mindestens 3 MB/Sekunde) und dazu ein Rennrad, das mit einem interaktiven Smart-Trainer mit Direktantrieb (zum Beispiel Wahoo Kickr, Taxc oder Elite, ab etwa 600 Euro) gekoppelt wird. Die Nutzung von Zwift ist für sieben Tage kostenlos und wird dann mit 14,99 Euro pro Monat berechnet. Auch auf einem Laufband oder mit dem Mountainbike kann inzwischen „gezwiftet“ werden.

Peloton

Das digitale Fitnessstudio für zu Hause von Peloton ist gerade sehr hip, aber auch sehr teuer: Das „Exercise Bike“ gibt es ab 2145 Euro. Dazu kommen 39 Euro pro Monat für die Nutzung der Peloton-App (ohne Bike 12,99 Euro pro Monat). So kann auf dem Rad die Spinning-Stunde zu Hause absolviert werden – und für daneben gibt es Yoga, Kraft- oder Entspannungstrainings nach Anleitung.

Ruderergometer

Kommt einfach nicht aus der Mode: Das Ruderergometer von Concept 2 (ab 1025 Euro) ist schon lange auf dem Markt und während der Corona-Krise ebenso gefragt wie die neuen, interaktiven Geräte. Die Wartezeit aktuell: Acht bis neun Wochen. Der „Performance Monitor“ des Ergometers kann über Smartphone oder Tablet mit verschiedenen Apps (zum Beispiel ErgData, Krew oder Regatta) verbunden werden – so gibt es Zugriff auf Workouts, Trainingspläne oder Wettkämpfe.

Die Vorteile der Ruderbewegung: Viele Muskelgruppen des Körpers werden trainiert, besonders auch der obere Rücken, was bei Viel-am-Schreibtisch-Sitzern haltungsregulierend wirkt. Ruder-Olympiasieger Richard Schmidt, der schon viele Stunden seines Lebens auf einem Concept 2 verbracht hat, sagt: „Das ist sehr anstrengend und manchmal ein bisschen langweilig, aber für die Fitness einfach ideal. Beine, Rücken, Arme, Schultern sind involviert, das ist hart – aber eben auch gut.“ Das Anstrengungspensum kann dabei sehr individuell reguliert werden: Zum einen über verschiedenen Widerstandsstufen des eingebauten Windrades, zum anderen über die Intensität des eigenen Zugs. Damit ist das Ruderergometer für Menschen aller Altersklassen und Fitnessgrade geeignet.

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