StilkolumneWie begegnet man Menschen mit Handicap, ohne sie zu diskriminieren?

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Symbolbild Rollstuhl helfen

Soll ich helfen? Oder nicht? Und falls ja, wie soll ich fragen? Viele Menschen sind im Umgang mit Menschen mit Handicap unsicher.

  • Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  • Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  • Diesmal gibt Ingeborg Arians Tipps, wie man Menschen mit Handicap begegnen kann, ohne sie zu diskriminieren.

Köln – Manche Fragen der Höflichkeit und des Respekts sollte man aus Höflichkeit nicht beantworten ohne Rücksprache mit Menschen, denen sie gelten. Ich habe mich also für die folgenden Tipps bei jemandem vergewissert, der im Rollstuhl sitzt. Das Wichtigste mag zu banal scheinen, um es aufzuschreiben: Wer einem Menschen mit Handicap helfen möchte, sollte a) zuerst danach fragen, ob die Hilfe gewünscht ist, b) die Antwort abwarten und c) eine Ablehnung als völlig legitim ansehen. Offenbar geschieht dies nicht immer. Sonst müsste man es nicht eigens erwähnen.

Eine weitere Regel: Distanzzonen wahren, Hilfsmittel als persönliche Gegenstände betrachten. So wie ich nicht ungefragt in Ihre Handtasche greife, so hänge ich nicht einfach meine Garderobe an den Rollstuhl meines Gegenübers. Oder räume den Blindenstock hinter dem Stuhl eines Nichtsehenden im Restaurant einfach beiseite. Das sind Verhaltensweisen, die sich schlicht verbieten.

Zur Person

Ingeborg Arians 2

Ingeborg Arians

Foto: Michael Bause

Alles zum Thema Henriette Reker

Ingeborg Arians, geboren 1954, hat Sprachen und Volkswirtschaftslehre studiert und ist Dipl.-Übersetzerin für Französisch, Spanisch und Englisch. Von 1986 bis 2019 war sie Leiterin der Abteilung Repräsentation und Protokoll im Amt der Oberbürgermeisterin der Stadt Köln. In dieser Zeit arbeitete sie für insgesamt vier Oberbürgermeister und die amtierende OB Henriette Reker.

Gut gemeint ist nicht immer gut. Ich erinnere mich an einen Stehempfang, bei dem der Imbiss auf hohen Stehtischen angerichtet war. Einen tieferen Tisch hatten die Caterer für Menschen im Rollstuhl vorgesehen. Gut gedacht! Nur stand dieser Tisch zentral in der Saalmitte mit einem eigenen Lichtspot darauf. Das wirkte eher ausgrenzend als integrierend.

In der Kommunikation kommt es oftmals dann zu Friktionen, wenn man anstelle einer behinderten – zum Beispiel blinden oder gehörlosen Person – ihre Begleitung anspricht. Das kann auch die Ärztin oder der Pfleger sein, bei denen man sich während eines Krankenbesuchs nach dem Befinden des Patienten erkundigt, obwohl der im Bett vor einem liegt und ansprechbar wäre. Es dürfte einsichtig sein, dass dies als respektlos, ja vielleicht sogar als beleidigend empfunden wird. Eine gute Möglichkeit, um sich ein stilsicheres Verhalten klarzumachen, ist der Vergleich mit einem Dialog, bei dem ein Dolmetscher zum Einsatz kommt. Auch in diesem Fall rede ich mit der fremdsprachigen Person selbst. Der Dolmetscher ist der Mittler, nicht der Adressat meiner Rede. Er fungiert tatsächlich „nur“ als Brücke.

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Dringend zu vermeiden ist auch eine vermeintlich „einfache“ Sprache, mit der man dem Gegenüber das Verständnis erleichtern will. Da ist die Peinlichkeitsgrenze sehr schnell erreicht – und auch die Grenze zur Diskriminierung leicht überschritten. Umgekehrt gehört es sich, im Kontakt mit einem nichtsehenden Menschen das in Sprache umzusetzen, was diesem in der gegebenen Situation entgeht. Wenn er oder sie also in den Raum kommt, sollten Sie in die Begrüßung mit einflechten, wer noch alles zugegen ist – alles in einem praktikablen Umfang.

Generell gilt: Natürlichkeit ist Trumpf. Reduzieren Sie Ihr Gegenüber nicht auf seine Behinderung, sondern sehen Sie den ganzen Menschen mit all seinen Facetten und Fähigkeiten. Menschen mit Handicap sagen zurecht, sie wollten möglichst „normal“ behandelt werden – weder bevormundend noch bemitleidend. So sollte man auch Lob für einen Gehandicapten vermeiden; es ist zwar gut gemeint, impliziert jedoch, dass ich ihm/ihr dies oder das eigentlich nicht zugetraut hätte.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de

Umgekehrt sind die meisten Menschen nach meiner Erfahrung von sich aus hilfsbereit. Nur fällt es einem nicht immer gleich auf, wo Hürden für einen gehandicapten Menschen liegen und man freut sich, wenn man mit Selbstverständlichkeit um Hilfe gebeten wird. Natürlichkeit in der Sprache schließt ein, nicht zu verkrampfen und zum Beispiel die Redewendung „Auf Wiedersehen“ zu vermeiden, weil mein Gegenüber nicht sehen kann. Auch kann ich ganz normal von einem „Spaziergang“ sprechen, wenn ich mit einem Menschen im Rollstuhl unterwegs bin.

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