StilkolumneWie wir wirkliche eine Sprache finden, die uns verbindet

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Sprache Diversität

Die Gesellschaft ist divers. Wie finden wir eine Sprache, die alle verbindet?

Mein Leben lang habe ich die deutsche Sprache so verwendet, wie ich sie als Kind gelernt habe, und es hat sich niemand daran gestört. In letzter Zeit habe ich zunehmend das Gefühl, dass ich so nicht mehr sprechen darf. Immer neue Gruppen wollen mir vorschreiben, welche Bezeichnungen ich nicht mehr verwenden darf oder welche Endungen ich an die von mir verwendeten Wörter hängen muss. Solche Vorschriften sind für mich ein Ausdruck dessen, was Wolfgang Thierse kürzlich als „Identitätspolitik“ bezeichnet hat: Anstatt uns auf Gemeinsamkeiten (auch sprachliche) zu besinnen, lassen wir es zu, dass sich die Gesellschaft immer weiter in einzelne Ethnien, Gender, sexuelle Identitäten usw. spaltet. Machen wir es mit all den Sprachvorschriften nicht unmöglich, über das zu sprechen, was uns trotz allem verbindet?

Das ist eine große Frage für eine kleine Kolumne, aber auch hier geht es ja immer wieder einmal um sprachliche Diskriminierung, deshalb will ich versuchen, eine grundsätzliche Antwort zu geben.

Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist ein deutscher Sprachwissenschaftler, Anglist und Publizist. In unserer Stilkolumne „Wie geht's?“ schreibt er regelmäßig, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren.

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Das „Gemeinsame“, auch in der Sprache, ist oft eine Illusion, die sich daraus ergibt, dass man eine bestimmte Perspektive als selbstverständlich voraussetzt. Wolfgang Thierse selbst hat dafür im Zuge der von Ihnen erwähnten Debatte unbeabsichtigt ein schönes Beispiel geliefert: In einem Interview mit dem Magazin „Cicero“ erwiderte er auf eine Frage, in der das Adjektiv „woke“ (mit dem ein Bewusstsein für strukturelle Ungleichheiten bezeichnet wird) vorkam, dass man mit ihm „in der alten deutschen Sprache reden“ müsse, da er einen sonst nicht verstehe. Gleich darauf sagt er, er wolle sich nicht „dem Sprachgebrauch anderer unterwerfen müssen“. Der Widerspruch zwischen beiden Aussagen fällt ihm nur deshalb nicht auf, weil er seinen Sprachgebrauch (die „alte deutsche Sprache“) für den Normalfall und alles andere als Abweichung betrachtet. Er sagt das ganz offen, wenn er sich in einem Interview mit dem „Zeit Magazin“ als „Symbol für viele normale Menschen“ bezeichnet.

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Genau diese Normalität ist es aber, die von vielen gesellschaftlichen Gruppen inzwischen infrage gestellt wird. Diese Gruppen sind dabei nicht, wie Sie es formulieren, neu oder das Ergebnis einer Aufspaltung einer vorher einheitlichen Gesellschaft. Sie waren schon immer da, durften aber lange Zeit nicht mitreden oder wurden nicht gehört, wenn sie es versuchten.

Diese Gruppen haben, grob gesagt, zwei Ziele. Erstens fordern sie einen Sprachgebrauch ein, der ihre Existenz anerkennt. Das ist zum Beispiel beim Gendern der Fall, das ja den Zweck hat, Frauen und andere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten im Sprachgebrauch zu Wort kommen zu lassen, wo die traditionelle Rede nur Männer erwähnt. Zweitens fordern sie einen Sprachgebrauch, der sie nicht herabwürdigt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir ethnische Gruppen nicht mehr mit Begriffen aus der Rassenkunde des 19. Jahrhunderts belegen, sondern ihre Eigenbezeichnungen respektieren.

Mit diesen Forderungen verlangen diese Gruppen nur die Sichtbarkeit und respektvolle Anerkennung, die unser Sprachgebrauch Menschen wie Wolfgang Thierse (oder Ihnen oder mir) schon immer entgegen gebracht hat. Erst, wenn das geschieht, haben wir eine wirklich gemeinsame Sprache, in der wir über das, was uns verbindet, ebenso reden können wie über das, was uns unterscheidet.


In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de

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