Rechtssachen„Komischer Vogel“ keine Beleidigung

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Winfried Schwabe ist Rechtsanwalt, Journalist und Autor zahlreicher Lehrbücher. (Bild: Rako)

Winfried Schwabe ist Rechtsanwalt, Journalist und Autor zahlreicher Lehrbücher. (Bild: Rako)

Kaum eine Vorschrift im deutschen Recht führt so häufig zu Irritationen und Missverständnissen wie der Tatbestand der „Beleidigung“ aus Paragraf 185 des Strafgesetzbuches. Weil sich im Gesetz keine allgemeingültige Definition für den Begriff der Beleidigung findet, müssen die Richter nämlich in der Regel nach Gutdünken und zwangsläufig höchst eigenwillig über Fragen von Ethik, Moral und guten Umgangsformen entscheiden.

Welch sonderbare Blüten das tragen kann, bekam nun kürzlich ein Polizeibeamter aus Bayern zu spüren. Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen einer Verkehrsstraftat telefonierte er zur Klärung des Tathergangs mit dem beschuldigten Autofahrer. Als es während des Gesprächs zu einem Streit über die Tatbeteiligung des Fahrers kam und der Polizeibeamte trotz unklarer Beweislage auf seiner Meinung beharrte, meinte der Autofahrer: „Sie sind mir aber ein komischer Vogel!“ Der Polizist fühlte sich dadurch beleidigt und erstattete umgehend Strafanzeige.

Das hätte er wahrscheinlich besser gelassen. Denn das daraufhin ergangene Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) in Bamberg kann getrost als schallende Ohrfeige für die Polizei bezeichnet werden: Die Richter hoben die erstinstanzliche Verurteilung des Autofahrers auf und erteilten dem Beamten eine Einweisung in die deutsche Sprachentwicklung. Wörtlich heißt es im Urteil: „Mit der Redewendung 'komischer Vogel' wird seit jeher ein sonderbarer, eigentümlicher, merkwürdiger, befremdlicher und mitunter kauziger Mensch bezeichnet. Eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne kann darin aber nicht gesehen werden. So findet sich die vermutlich auf vorchristliche, lateinisch-römische Quellen zurückgehende Redensart in ihrer altdeutschen Fassung - 'Es ist eyn seltzamer Vogel' - bereits bei dem niederdeutschen Humanisten Eberhardus Tappius in seinem erstmals 1539 in Straßburg erschienen Standardwerk. Bei der Formulierung handelt es sich demnach um eine alte, umgangssprachliche Redewendung, die keinen ehrenrührigen Bedeutungsgehalt haben kann. Sie unterliegt der Meinungsfreiheit des Grundgesetzes.“

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Mit dieser erstaunlichen Begründung sprachen die Richter den Angeklagten vom Vorwurf der Beleidigung frei. Polizisten dürfen bei ihrer Arbeit demnach sanktionslos als „komische“ oder „seltsame Vögel“ bezeichnet werden. Ob das wohl auch für Richter gilt?

OLG Bamberg - 3 Ss 64 / 08

Winfried Schwabe ist Rechtsanwalt und Journalist. Er hat an der Universität Köln doziert und zahlreiche juristische Lehrbücher verfasst.

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