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Norbert Rüther„Spendenskandal musste auffliegen“

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Norbert Rüther (Bild: Michael Bause)

Norbert Rüther (Bild: Michael Bause)

Köln – Herr Rüther, wenn der Spendenbetrug nicht bekanntgeworden wäre, wären Sie jetztOberbürgermeister?

Norbert Rüther: Ich hätte mich jedenfalls weiter für die Stadt engagiert.

Und es gäbe immer noch schwarze Kassen? Oder war es damals einfach an der Zeit, dass dieses Spendensystem auffliegen musste?

Rüther: Aus meiner Sicht war die Zeit reif dafür. Diese Kir-Royal-Phase musste zu Ende gehen.

Konnten Sie als Psychiater die Krise besser bewältigen als andere ihrer Parteikollegen?

Rüther: Das zu behaupten wäre vermessen. Ich wusste, ich muss aufpassen,dass sich das nicht einbrennt bei mir, dass ich nicht verbittert werde – und dass ich nicht den anderen die Schuld gebe. Ich habe alles auf den Tisch gelegt. Das war eine Art innere Erlösung. Mir half meine Gewissheit, dass ich zwar gegen das Parteiengesetz verstoßen, aber nie in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte.

Vorher gab es kein Unrechtsbewusstsein?

Rüther: Das war eine Mischung aus politischem Größenwahn und Abenteurertum. Die Partei brauchte Geld, und da haben wir das eben so gemacht.

Was hat Sie dann veranlasst, die illegale Spendenpraxis offenzulegen?

Rüther: Als ich Ende Februar 2002 von der Verhaftung des AVG-Geschäftsführers Ulrich Eisermann las, war mir eins klar: Du musst jetzt die Dinge auf den Tisch legen. Denn der Eisermann wird darüber reden, dass er Spenden an die SPD vermittelt hat.

Hatten Sie nie Gewissensbisse ?

Rüther: Der Zeitpunkt, von dem an es in mir wühlte, war die Spendenaffäre Helmut Kohls. Ich spürte, dass ich selber etwas Ähnliches gemacht hatte.

Haben Sie sich durch die Spenden von Firmen abhängig gemacht?

Rüther: Wir haben uns der Illusion von freien Entscheidungen hingegeben. Rechtlich waren die Entscheidungen korrekt, inwieweit psychologische Abhängigkeiten wirken, ist schwer zu beurteilen.

Gab es direkte Bestechungsversuche?

Rüther: Es gab einen verführerischen Moment. Ich sollte einen Mitarbeiter-Vertrag bei einem Institut in Aachen bekommen. Als ich dorthin kam, saß Trienekens mit am Tisch. Er sagte zu mir, tragen Sie an Lohn ein, was immer sie wollen, einen Betrag zwischen 50.000 und 150.000 Mark. Da ist mir die Dimension klar geworden. Ich habe nicht unterschrieben. Aber ich glaube, so ist das auch andernorts gelaufen in Deutschland.

Das mag ja sein. Worin liegt Ihre persönliche Schuld?

Rüther: Ich habe die Verschleierungvon Parteispenden zugelassen. Das war meine ganz persönliche Schuld. Natürlich gehöre ich auch zu denjenigen, die durch ihr Handeln die Vorurteile und Urteile über Politiker und Parteien bestätigt haben.

Hat Sie diese Erkenntnis über die Verurteilung hinaus belastet?

Rüther: Doch. Ja.

Sie haben Kölns Ruf als Klüngel-Hauptstadt unterfüttert. Haben Sie sich an der Stadt schuldig gemacht?

Rüther: So weit würde ich nicht gehen. Ich habe Schuld auf mich geladen, weil ich die SPD in Riesenschwierigkeiten gebracht habe – und natürlich meine Familie.

Wussten alle Empfänger von Spendenquittungen Bescheid, woher die Großspenden stammten?

Rüther: So gut wie niemand.

Und dass sie ausgestellt worden sind, um etwas zu verschleiern?

Rüther: Der gesunde Menschenverstand hätte allen sagen können: Das Geld ist nicht vom Himmel gefallen.

Wie geht das Leben nach solchen Prozessen weiter? Ist das Kapitel abgeschlossen?

Rüther: Manchmal fällt mir auf, wie verführbar Leute heute noch sind und wie wenig sie aus den damaligen Vorgängen gelernt haben. Die andere Seite ist: Ich hatte das große Glück, schnell einen Arbeitgeber zu finden. Für die Einstellung drei Monate nach der Entlassung aus der U-Haft bin ich meinem Chef und der GFU zu tiefem Dank verpflichtet.

Wie haben Sie sich in der ersten Nacht im Gefängnis gefühlt?

Rüther: In der ersten Nacht habe ich noch gedacht, am nächsten Tag gehst du wieder nach Hause. Aber dann hat mich der Untersuchungsrichter nach Mönchengladbach geschickt. Da wusste ich, hier bleibst du erst mal länger.

Wie steht man das durch?

Rüther: Der JVA-Leiterkam gleich am Anfang zu mir und riet mir von einer Einzelzelle ab. Er wisse, wie schlimm das für Leute sei, die viel Kommunikation gewohnt seien. So kam ich mit einem netten Menschen in einer Viererzelle zusammen, der wegen Wirtschaftsdelikten einsaß. Wir haben am ersten Tag beschlossen, unserem Tag eine Struktur zu geben, um nicht zu vergammeln. Nach demAufstehen haben wir das Fernsehprogramm für den Tag ausgesucht und die Stunden festgelegt, in denen wir an unseren Prozessakten gearbeitet haben.

Wie haben Sie die Zeit nach Ihrer Entlassung erlebt?

Rüther: Ich habe die Affäre durchstehen können, weil meine Frau und mein Sohn rückhaltlos zu mir gestanden haben. Das Gleiche gilt für viele Freunde. Als ich aus der U-Haft entlassen werden sollte, haben meine Freunde innerhalb von 24 Stunden 200.000 Euro in Form von Bürgschaftserklärungen aufgebracht. Die Deutsche Bank hatte damals die Order gegeben: keine Bürgschaften für Rüther. Einige meiner Freunde haben ihre Konten daraufhin abgezogen.

Sind Sie zufrieden mit ihrer jetzigen Situation?

Rüther: Ja, bin ich.

Geht es Ihnen möglicherweise besser als im stressigen Politbetrieb?

Rüther: So vergleiche ich das nicht. Es waren wunderbare Jahre in der Politik. Ohne den Skandal hätte ich sicher weitergemacht. Aber meine Zeit in der Politik ist ein für alle Mal beendet. Jetzt bin ich mit Leib und Seele Psychiater.

Das Gespräch führten Andreas Damm und Helmut Frangenberg

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