Traditionelle ProdukteOstalgie an der Breite Straße

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Sven Tkotz im Ossiladen (Bild: Grönert)

Sven Tkotz im Ossiladen (Bild: Grönert)

Köln – Bambina oder Schlagersüßtafel, diese Alternative gab es selten, aber im „Ossiladen“ stehe ich vor zwei süßen Highlights der nicht mehr existierenden DDR. Größe und Aussehen der Verpackung sind unverändert, nur der Preis ist neu, Bambina kostet jetzt 1,29 Euro, statt zwei Mark der DDR, und für Schlagersüßtafel zahlt man 89 Cent statt 80 Pfennig der niemals ernst genommenen Währung.

Seit über fünf Jahren gibt es das Geschäft von Sven Tkotz im Souterrain der WDR Arkaden in der Breite Straße 6, aber ich frequentiere es nie, obwohl ich manche Produkte mochte und mag, ich die Rockmusik noch heute höre, mich gern an DEFA Filme erinnere und ich generell kein Problem habe mit den früheren kulturellen Errungenschaften meiner Heimat. Aber der „Ossiladen“ ist auch kein Geschäft für Problemgruppen, sondern ein Laden mit einer speziellen Produktpalette und im Fall unserer deutschen Geschichte, eventuell auch mit einer speziellen Ideologie.

Zweifacher Verlust

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Ostalgie ist das Schlagwort. Man kann es vielleicht mit Sehnsucht, Erinnerung, Verlust ersetzen, denn der Osten, die DDR, verschwand von einem Moment auf den anderen, und von dem, was so belächelt, abgelehnt und gehasst worden war, hatte man sich nicht verabschieden können. Und so war der Verlust vielleicht zweifach. Erst war die Ablehnung und als alles vorbei war, merkte man wie stark, wie bindend die Gefühle gewesen waren. Also noch mal her mit der Vergangenheit und ihrer verpassten Akzeptanz. Vielleicht ist dies der Inhalt der seit Mitte der 90er Jahre beschriebenen Ostalgie.

Aber damit hat der Inhaber Sven Tkotz nichts am Hut. Für ihn fing alles ganz praktisch an. Aus Bautzen, seiner sächsischen Heimat, die er 1991 wegen einer Ausbildung verließ, brachte er immer öfter und immer mehr Produkte für seine neuen Bekannten in Aachen mit. Bautzner Senf und Dresdner Oblaten, Lausitzer Dunkel, eine Biersorte, und Goldkrone, ein Weinbrand und vieles mehr. Das Auto war immer voll gepackt, und als Tkotz im Jahr 2004 eine neue Arbeit suchte, kam er auf die Idee, die begehrten Ostprodukte mit Gewinn zu verkaufen.

Das Geschäft war anfangs nur für drei Monate gedacht. Er erwarb ausrangierte Regale von Edeka und eine gebrauchte Kasse, und als der Laden lief, investierte er mit einem Kredit von 20 000 Euro in Renovierung und in Waren. Er sei „ins kalte Wasser gesprungen“, sagt er und die „ganzen Nebensachen“ wie Steuer und Schreibkram habe er nicht gewusst. Heute beträgt der Warenbestand des Ossiladens 80 000 Euro und ernährt zwei Leute, ihn und seine Mitarbeiterin Marija Drmic.

Die Gestaltung mit den manchmal schiefen, ausrangierten Regalen, mit Tüchern, selbst gemalten Plakaten und Propagandaobjekten ist geblieben. Bewusst möchte Tkotz die Ästhetik des Selbstgemachten erhalten, denn „so war es doch“. Und so kann man bei ihm nicht nur Ess-, Tabak- und Spielwaren, DVDs und CDs, T-Shirts, antiquarische Bücher und Zeitschriften, Drogerie-, Witz- und Haushaltsartikel kaufen, sondern auch, obwohl er das verneint, ein bisschen Ideologie. Und zwar eine Mischung aus Ostalgie und Kapitalismus.

Der kontaktfreudige 40-Jährige verkauft nicht nur 2 500 verschiedene Artikel, sondern auch die eine oder andere Geschichte dazu. Beim Anbieten eines der 1 200 Biere gerät er ins Schwärmen über den Inhalt und die Einmaligkeit jede Sorte. Und gerade diese Vielfalt belegt für ihn das „Ammenmärchen, alles sei gleich gewesen“, denn diese Biere hat es schon zu DDR Zeiten gegeben. Dass die Produktionsstätte des Trabis, Sachsenring Zwickau, bis zum Krieg der Firma Horch aus Köln gehörte, versteht er ein bisschen als Verweis auf gesamtdeutsche wirtschaftliche Zuständigkeit.

Kölner Stammtisch

Er verkauft eben Altes und Neues, auch T-Shirts mit Che Guevara oder einem Ampelmännchen vorn drauf, die es in der DDR nie gab, genauso wenig wie den Spaß, eine Pionierkleidung auszustellen. Aber so ist heute Geschäft. „Gucken, was geht“, sagt Tkotz, das Sortiment wird, je nach Bedarf und Zeit aktuell umgestellt. Sein Betrieb habe mit Politik nichts zu tun, sagt er, obwohl er schon mit „Kommunistenladen“ oder „Nazi“ beschimpft wurde, und die Partei „Die Linke“ ihn einladen wollte. Es habe mit Köln zu tun, mit dem Stammtisch.

An jedem ersten Mittwoch des Monats treffen sich ab halb neun abends fast 100 meist ehemalige DDR Bürger jeden Alters. Es gibt Thüringer Rostbratwurst oder Halberstädter Würstchen und aus der Box erklingt DDR Rockmusik, Holger Biege oder City zum Beispiel. Jan Merwitz, aufgewachsen in Leipzig, und Andreas Hommel, ursprünglich aus Meiningen, kommen regelmäßig. Sie leben seit vielen Jahren in Düsseldorf und Köln und empfinden trotz Normalität und Zufriedenheit mit ihrem Leben hier, auch die Verbundenheit zu ihren Heimatstädten und zum Leben in der DDR überhaupt. Im Jahr 1989 waren beide noch Kinder, und für Jan Merwitz war ein Erich-Honecker-Foto eher etwas Amüsantes, aber er wisse, dass dies für Ältere nicht so sein kann.

Kulturkreis neu erfinden

Beim Stammtisch geschieht nichts Spektakuläres, Menschen treffen sich, die früher in einem Land gelebt haben und damit Erinnerungen verbinden, die nur sie teilen können. Für den Betreiber des Ossiladens ist es ganz klar, dass „in 40 Jahren zwei verschiedene Kulturkreise entstanden“, und einer davon negiert wurde, der sich nun neu erfinden müsse. Er möchte „Leuten, die ihre Heimat aus beruflichen Gründen verlassen mussten, ein Stück Heimat zurückgeben“. Und dass sein Geschäft etwas mit Nische zu tun haben könnte, findet er gut. Viele Firmen aus der Bundesrepublik ließen ihre Produkte vor der Wende im Osten produzieren, Ikea zum Beispiel. Genauso werde heute einiges vom Osten übernommen, Ärztehaus zum Beispiel, was früher Poliklinik hieß. Das muss man wissen, sagt Sven Tkotz.

WDR-Arkaden, Breite Straße 6, 50667 Köln, Telefon 0221 - 93 89 880

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