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Zirkus oder Genickbruch: Fosbury wird 60

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Das hatte die Welt noch nicht gesehen: Rückwärtsspringer Fosbury 1968 bei seinem Olympiasieg.

Das hatte die Welt noch nicht gesehen: Rückwärtsspringer Fosbury 1968 bei seinem Olympiasieg.

Selbst ein fundamentaler Irrtum konnte Payton Jordans Aufnahme in die Hall of Fame der US-Leichtathletik nicht verhindern. Der ehemalige Cheftrainer des Olympiateams, der am 19. März 90 Jahre alt wird, hat Ende der 60er Jahre als Überzeugungstäter versucht, einen Siegeszug aufzuhalten wie einen heranbrausenden Express. Gerade war ein junger Hochspringer namens Richard Douglas „Dick“ Fosbury in Mexiko-Stadt mit 2,24 Meter Olympiasieger geworden und anschließend nur knapp daran gescheitert, den Weltrekord des Russen Waleri Brumel (2,28 m) zu überbieten.

Die Welt stand trotzdem Kopf, übrigens auch aus Sicht Fosburys. Denn der Amerikaner überquerte die Latte nach bogenförmigem Anlauf und einer Rumpfdrehung beim Absprung rücklings und landete auf dem Rücken und Schultern, oder, wie Jordan zu sehen glaubte, auf Kopf oder Nacken. Das muss man sich mal vorstellen.

„Wenn Kinder versuchen, Fosbury zu imitieren, wird er eine ganze Generation von Hochspringern auslöschen, weil sie sich alle das Genick brechen werden“, warnte Jordan. Auch Ärzte vertraten die Auffassung, dass der so genannte Fosbury-Flop das Leben von Kindern gefährde. Darüber konnte und kann Fosbury nur lachen. Ihm sei auf der ganzen Welt kein Fall eines schweren Unfalls bekannt, weil „man nicht auf dem Genick, sondern auf der Schulter landet“. Den lebenden Beweis tritt Fosbury am kommenden Dienstag in Ketchum (Idaho) mit seinem 60. Geburtstag an, bei bester Gesundheit.

Mit Vorbehalten gegen seine Sprungtechnik, die inzwischen als größte technische Revolution der Leichtathletik-Geschichte gilt, hatte Fosbury schon vor Jordans Kampagne zu kämpfen. Sein Heimtrainer Bernie Wagner kommentierte die seltsamen Experimente so: „So wird nichts aus dir. Besser wäre es, wenn du zum Zirkus gehen würdest.“ Der Artist Fosbury ließ sich nicht beirren, sprang im neuen Stil schnell zehn Zentimeter höher als im üblichen Straddle. Im Winter 1968 wurde er überraschend US-Studentenmeister, gewann mit 2,18 m die erste Mexiko-Ausscheidung der Amerikaner und reiste mit einer Bestleistung von 2,21 m zu den Spielen. Dort schaffte er als Einziger alle Höhen bis 2,22 m ohne Fehlversuch. Die 80 000 Zuschauer begleiteten jeden Sturzflug des 1,93 m großen, offensichtlich völlig verrückten Amerikaners mit emphatischem „Olé!“ Welch ein Triumph für den Highschool-Absolventen, der sich selbst einmal als „unkoordinierten Möchtegern-Athleten“ charakterisierte.

So überraschend, wie Fosbury in der Szene auftauchte, verwand er auch wieder. Weil er, wie er sagte, „nicht länger aus dem Koffer leben wollte“, trat er 1969 zurück und verzichtete auf Werbeverträge und Profikarriere. Fosbury, der heute als Geschäftsführer in einem Vermessungsbüro für Straßenbau arbeitet, engagierte sich lange für die „Special Olympics“ der geistig Behinderten und lebt heute weitgehend anonym. Einst sagte er in einem „Stern“-Interview: „Wenn ich im Supermarkt einkaufe, dreht sich keiner nach mir um.“

Ganz stimmt das natürlich nicht. Jeder ambitionierte Hochspringer dreht sich heutzutage um - nach Dick Fosbury. (BAO, dpa, sid)

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