RegierungsbunkerEin Relikt aus dem Kalten Krieg

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Schränke voller neuer Gasmasken sind in der Anlage am Ortsrand von Urft noch vorhanden. (Bild: Heinen)

Schränke voller neuer Gasmasken sind in der Anlage am Ortsrand von Urft noch vorhanden. (Bild: Heinen)

Tief im Urfttal steht verborgen ein wohl einmaliges Fossil des Kalten Krieges. Dort wollte sich die NRW-Landesregierung in den 60er Jahren im Falle eines Dritten Weltkriegs hinter dicken Betonmauern verschanzen und das Chaos regieren. 1994 wurde die Anlage eingemottet und „zum Preis eines Einfamilienhauses“ an Dr. Claus Röhling verkauft, der dort eigentlich physikalische Messungen durchführen wollte. Daraus wurde nichts. Also blieb der Bunker im Originalzustand: einschließlich Bett des Ministerpräsidenten, neu verpackten Gasmasken, Fernschreibern, Bibliothek und Sicherheitstechnik.

Der Dornröschenschlaf der Anlage dürfte jedoch bald vorüber sein. Die Eigentümer beabsichtigen, den ehemaligen Ausweichsitz der Landesregierung im Rahmen von Führungen für Besucher zugänglich zu machen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ durfte schon mal einen Blick in den Orkus aus Beton werfen.

Abseits, am Rande eines Wirtschaftsweges oberhalb des Gillesbaches, steht ein Haus am Hang, daneben eine Doppelgarage. Der Eingang in die bizarre Unterwelt verbirgt sich in der linken Garage.

Erbaut wurde die Anlage in den 60er Jahren, als der „kalte“ Krieg heiß zu werden drohte. Die Kuba-Krise war vielleicht der Auslöser. Parallel zum Bau des Ausweichsitzes der Bundesregierung im Ahrtal, sprachlich getarnt als „Dienststelle Marienthal“, begann unter Ministerpräsident Franz Meyers (CDU) 1962 die Planung für den „atombombensicheren“ Bunker in der Eifel. Erst grub man ein mächtiges Loch in den Berg, dann wurde eine gewaltige Stahlarmierung montiert, bevor schließlich die Außenhaut aus drei Meter dickem Beton gegossen wurde. Das Bauwerk misst 35 mal 29 mal 16,2 Meter. Das ergibt eine Grundfläche von 1020 Quadratmetern, oder ein Raumvolumen von 16 000 Kubikmetern. Der Bau kostete zehn Millionen Mark, Jahr für Jahr wurde eine weitere Million fällig für Instandhaltung und Alarmbereitschaft.

Das Innere der Anlage ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, noch im Alarmzustand des Kalten Krieges erhalten. Durch eine Garage erreicht man einen geschlossenen Treppenaufgang, von dort geht es nach links in den Vorbunker, in dem ein Teil der Technik untergebracht ist. Vom Vorbunker aus erreicht man den eigentlichen Bunker an einer Eingangsschleuse. Mehrwandige und hydraulisch zu bewegende Stahltüren schützen die Schleuse nach innen und außen.

Die Übungen, die bis zu zweimal jährlich und dann maximal zwei Wochen lang stattfanden, begannen 1966. 200 Mann Stammbesatzung, in der Spitze maximal 300 Mann (Frauen waren nicht vorgesehen) sollten hier 30 Tage lang Schutz finden, während die Welt um sie herum unterging.

Röhling schildert beim Rundgang eine typische Übung. Als Lage vorgegeben ist der Dritte Weltkrieg, Atombomben haben das Ruhrgebiet verwüstet. Grüne Polizeiomnibusse holen die Spitzen der Ministerien, insbesondere des Innenministeriums, in Düsseldorf ab, Endstation Urft. Die Männer besetzen verschiedene Führungs- und Lagezentren. 75 Prozent der Mitarbeiter des Innenministeriums sind schließlich in die Eifel. Auch der Ministerpräsident ist dabei, die Polizeiführung des Landes, der Direktor der Landeszentralbank und ein Oberpostdirektor.

Horrorszenario

Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht nach Westen, die Rheinbrücken sind zerstört, die Flüchtlingsströme müssen mit Trinkwasser, Lebensmitteln und mit Unterkünften versorgt werden, viele sind verletzt und brauchen medizinische Hilfe. Das geschieht von der Eifel aus, über gut geschützte Richtfunk- und Polizeiverbindungen werden die Rettungsmannschaften dirigiert. Herz der Anlage ist das Referat „Führung“. Durch eine Klappe im Führungsraum werden von nebenan laufend Fernschreiben mit den neuesten Hiobsbotschaften gereicht, Befehle sind zu erteilen. Ringsum sind die Fach-Referate angesiedelt. Dort werden die von allen Warnämtern laufend eintreffenden standardisierten Lagemeldungen im ABC-Raum in Formulare übertragen, die immer noch dort liegen. „WaDuForm 5“ heißt das Formblatt.

Ein spezielles Referat befasst sich mit dem Thema „Fluchtbewegung“. Die Männer haben Unterlagen, in denen sie im Detail über sämtliche zur Verfügung stehenden Hilfsmittel informiert werden. Wo lagern jene sieben Notbrücken, die notfalls kurzfristig über den Rhein geschlagen werden können und den Menschen die Flucht ermöglichen? Wo liegen Lebensmittelvorräte, wo Sanitätsmaterial? Nebenan arbeitet das Referat „Verkehr“ auf Hochtouren. Es gilt, die wichtigsten Verkehrsverbindungen aufrecht zu erhalten. Ganz oben auf der Liste stehen die Autobahnen. Im nächsten Zimmer sitzt das Referat Polizei, einschließlich Verfassungsschutz. Dessen erste Aufgabe in derart chaotischen Zeiten ist, Plünderungen und Vergewaltigungen zu verhindern, das Recht durchzusetzen, auch wenn die Welt untergeht.

Bett des Regierungschefs

Die Regierung soll im Bunker nicht nur handlungsfähig bleiben, sie muss auch dort leben. Also gibt es Schlafräume, in denen heute allerdings fast alle der ehedem 98 Betten verschwunden sind. Nur das Nachtlager des Ministerpräsidenten hat man stehen lassen, in einem Raum, dessen Wohnqualität weit unter Jugendherbergsniveau liegt. Verpflegt wurde die Mannschaft in einer Mini-Kantine, deren Einrichtung komplett erhalten ist.

Laut Inventarliste gibt es „32 Bücher Unterhaltungsliteratur“. Die Bücherei steht bis heute an ihrem Platz. Das ist echte Weltuntergangsliteratur, die wohl ein Scherzbold zur Erbauung der Bunker-Regierung zusammengestellt hatte: Flemings „Liebesgrüße aus Moskau“ befinden sich darunter, ebenfalls „James Bond jagt Dr. No“. Passende Lektüre für Ministerialdirigenten, wenn sie ihre ungeschützten Familien draußen im atomaren Feuer wissen. Es gibt Fernschreib-Räume, in denen bis heute in Massen alte Fernschreiber stehen, ein komplett eingerichtetes Studio des WDR, von dem aus im Notfall die Bunker-Regierung ihre Anweisungen an die Bevölkerung geben wollte. Die Musik ist aufmunternd und passend: Edith Piafs „Je ne regrette rien“ beispielsweise.

Im Untergeschoss mit den Versorgungsräumen findet man Schränke mit neu verpackten Gasmasken, nebenan Putzmittel, deren Namen an ferne Jugendtage erinnern oder neu verpackte Zahnbürsten von „blend a dent“. Die Anlagen für die Trinkwasseraufbereitung sind ebenso betriebsbereit wie die beiden Riesen-Diesel-Motoren.

Mit dem Bunker der Landesregierung war es nicht anders als mit der Dienststelle Marienthal. Irgendwann mussten die Untergangs-Planer einsehen, dass es nicht möglich ist, atombombensichere Bauwerke zu schaffen, es sei denn, man würde sie Hunderte Meter tief unter die Erde vergraben. So verlor denn auch mit der Auflösung des Warschauer Paktes diese Art von Schutzeinrichtung jede Bedeutung.

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