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9-Euro-Ticket an PfingstenBrechend volle Züge und angedrohte Räumung in Köln

Lesezeit 7 Minuten
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Fahrgäste drängen am Freitag in eine Regionalbahn.

  • Der erste Freitag mit 9-Euro-Ticket bringt einen Passagieransturm auf die Bahn
  • Ausfallende Züge, Baustellen und Sperrungen verschärfen die Situation
  • Nicht jeder Fahrgast kommt so zum Ziel, wie er es sich erhofft hatte

Köln – Köln-Hauptbahnhof, Freitag, 14.30 Uhr. Gleich kommt die Regionalbahn, die ich mir ausgesucht habe. Nach Münster soll es gehen, zwei Stunden und zehn Minuten Fahrt, eine Direktverbindung. Ziemlich bequem, denke ich mir, als ich die Treppen zum Gleis 3 raufsteige. Voll ist es schon, aber nicht mehr, als an allen anderen Tagen auch. Doch das soll sich noch ändern.

Es ist der erste Freitag, an dem das 9-Euro-Ticket gilt und noch dazu der Auftakt des Pfingswochenendes. Ein Wochenende, an dem also noch mehr Menschen den Regionalverkehr nutzen werden als an anderen langen Wochenenden. Rund um Köln behindern die Folgen eines Böschungsbrands auf der Strecke nach Bonn den Verkehr, viele Züge fallen auch wegen Personalmangels aus. Für die Bahn ist es ein besonders schwerer Tag. Ein Unglück mit mehreren Toten in Bayern beherrscht die Schlagzeilen, als ich in den Zug nach Münster steige.

Vor noch einer Woche hätte ich für diese eine Fahrt ungefähr 27 Euro bezahlt. Jetzt habe ich das 9-Euro-Ticket auf dem Handy, mit dem ich durch ganz Deutschland fahren kann. So viel wie ich will, wann ich will, wohin ich will – zumindest wenn Regionalzüge mich bringen können. Mit dieser Aktion will die Bundesregierung die Bürger entlasten und in die Bahnen locken. Sieben Millionen dieser Tickets wurden schon verkauft.

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Erster Ausstieg in Düsseldorf war ein Fehler

Ohne Verspätung fährt mein Zug dann los – eher die Ausnahme am Freitag am Kölner Hauptbahnhof. Noch mehr Glück: Ich habe eine Sitzreihe für mich alleine.

Kurz vor Düsseldorf kriege ich dann Hunger also steige ich am Düsseldorfer Hauptbahnhof aus und hole mir etwas zu essen. Mein Plan ist, in die nächste Regionalbahn einzusteigen, die eine Stunde später dort hält. Die Stärkung zu holen, war ein Fehler: Der Zug, der eigentlich gleich eintreffen sollte, fällt aus. 

„So eine Scheiße“, schreit eine Frau mit blonden Haaren und hochroten Kopf und stürmt davon. Einige der Wartenden drehen sich um, die meisten starren jetzt aber auf ihre Handys und suchen nach einer Ersatzverbindung. Die gibt es aber nicht. Ein älterer Mann neben mir schultert seinen Rucksack und sagt zu seiner Begleitung: „Ich habe keine Lust mehr. Wir nehmen uns jetzt ein Taxi.“ 

Überfüllte Züge und Absagen: „Hohes Passagieraufkommen“

Auch auf anderen Routen bietet sich am Freitag ein ähnliches Bild: Zugausfälle führen dazu, dass mehr Menschen in Folgezüge drängen. Vor allem Fahrten mit dem RE5 irgendwo auf der Route von Wesel über Köln nach Koblenz sind ein Nervenspiel. Ein Passagier berichtet dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ davon, dass am Kölner Hauptbahnhof Durchsagen im RE5 gemacht wurden, dass stehende Fahrgäste wegen Überfüllung den Zug verlassen sollten.

Der Zug sei dann schließlich doch losgefahren und in Köln-Süd die Androhung gemacht worden, dass die Polizei den Zug räumen könne. Dort sei er dann ausgestiegen. „Es war wirklich voll und es war unmöglich für das Personal durch die Waggons zu gehen“, so der Fahrgast. Er wechselt schließlich auf den Flixbus, um sein Ziel zu erreichen.

Weiter nördlich auf der RE5-Route fährt am späten Abend ein Zug in Wesel gar nicht erst los. Grund: „hohes Fahrgastaufkommen“.

Schüler: „Züge werden richtig übel voll sein“

Am Düsseldorfer Bahnhof sind die Schüler Dominik, Eric, Marlon und Jan entspannt trotz ausfallender Züge. Sie haben Zelte, Matten und Campingstühle dabei und sind auf dem Weg an die Nordsee. Ein paar der Jungs haben Unterricht geschwänzt, um vor der Dunkelheit am Strand anzukommen. „Wir sind einfach froh, dass wir den Trip so günstig machen können. Wir chillen uns einfach auf den Boden, wenn wir keinen Sitzplatz mehr finden“, sagt Dominik. 

Auch Marieta Malungu wartet am Gleis auf den Zug. Sie reist mit einem pinken Koffer, ihrer kleinen Tochter und einem großen Kinderwagen. Als über die Lautsprecher angekündigt wird, dass der Zug ausfällt, verdreht sie nur genervt die Augen und beißt in ein Brötchen.

105 Euro zahlt sie normalerweise für eine Monatskarte, damit sie Bus und Bahn nutzen kann. Geld, das sie sich in den nächsten drei Monaten nun fast komplett spart. Was Verspätungen der Deutschen Bahn angeht, ist Marieta kampferprobt. Sie muss täglich von Köln nach Leverkusen pendeln. Da würde man die ein oder andere Unpünktlichkeit aushalten müssen, sagt sie. „Wenn ich mit meiner Tochter reise, dann ist das eigentlich ganz bequem. Im Zug machen die Leute immer für mich und meinen Kinderwagen Platz und lassen uns sitzen." 

Verspätung trifft auf Verspätung

Eine Durchsage jagt die andere: Verspätung, Verspätung, Zug fällt aus. Es sind so viele Durchsagen, dass ich irgendwann nicht mehr zuhöre. Ich hätte niemals aus dem blöden Zug aussteigen sollen, denke ich mir. Denn mir dämmert: So bequem wie noch vor einer Stunde wird das jetzt nicht mehr. Mit der Zeit füllt sich das Gleis mit sehr vielen Leuten, die auch auf die Bahn Richtung Münster warten. Und gleich werden sich alle hier in den Zug quetschen. 

Jacob Mayer lehnt derweil an einer Mauer und trinkt einen Kaffee. Er ist heute früh aufgestanden, kommt aus Rheinland-Pfalz und will bis nach Hamburg, Freunde besuchen. Jetzt ist er mit uns in Düsseldorf gestrandet und wartet auch auf die Regionalbahn. Einige Regionalbahnen, die ihn mit dem 9-Euro-Ticket bis in den Norden bringen sollten sind schon ausgefallen. Um Bonn herum ging wegen der Folgen des Böschungsbrandes und Baustellen nichts mehr.

Also musste er sich eine zusätzliche Fahrkarte für 20 Euro kaufen, um ein Stückchen weiter zu kommen. „Das ist ja eigentlich nicht Sinn der Sache“, sagt er. „Ich bin grundsätzlich super dankbar für das Ticket, finde aber schade, dass es so viele Komplikationen gibt. Der Nahverkehr ist so wichtig und muss unbedingt verbessert und ausgebaut werden.“ 

Schaffner versuchen im Chaos für Ruhe zu sorgen

Als unsere Regionalbahn dann endlich im Bahnhof eintrifft und die Türen öffnet, müssen Schaffner für Ordnung sorgen. Zu viele Menschen versuchen gleichzeitig einzusteigen um noch einen Sitzplatz zu ergattern. „Lassen sie bitte erst die Menschen aus dem Zug, bevor sie einsteigen. Sonst werden wir hier nicht weiterfahren“, brüllt es aus einem Lautsprecher. 

Für den Amerikaner Simon Pierre Kidiosi und seine Familie ist das heute das allererste Mal in einem Zug. „Bei uns in Arizona gibt es zwar auch ein paar Bahnen und Busse, aber eigentlich fahren alle mit Autos“, sagt er. Seine Familie und er reisen auch mit dem 9-Euro-Ticket. „Die Fahrkarten zu kaufen war total einfach, günstig und wir sparen viel Geld. Ich bin ein Fan!“ 

Im Zug sind keine Sitzplätze mehr frei, einige Menschen haben es sich auf Treppen oder unter Gepäckfächern gemütlich gemacht. Die Gänge sind voll mit Koffern, Reisetaschen und Rucksäcken. Mit großen Schritten steigen einige der Passagiere über die Gepäckberge und suchen vergeblich nach den letzten freien Plätzen. In einem Abteil ganz am Ende des Zuges streiten sich ein paar Menschen über eine Sitzplatzreservierung. 

DB-Mitarbeiter kontrolliert Masken – keine Tickets

Das ukrainische Ehepaar Stanislav und Julia Kotovski sind vor fünf Tagen aus der Ukraine geflohen und jetzt auf dem Weg nach Hamburg. Die beiden halten sich am Griff der Treppe im Eingang der Bahn fest und schauen sich verwundert um. Irgendwie hatte er die deutschen Bahnen ganz anders in Erinnerung, sagt Stanislav. Weniger voll, weniger hektisch und pünktlicher.

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Dann bahnt sich ein DB-Mitarbeiter seinen Weg durch die Passagiere. Alle kramen ihre Fahrscheine raus. „Ne ne, lasst mal stecken. Ich bin nicht hier um Tickets zu kontrollieren, sondern Masken“, sagt der Mitarbeiter und zeigt auf Stanislav, der keine anhat. Eine Frau steckt ihm schnell eine saubere Maske zu und der Mitarbeiter zieht weiter. 

Auf dem Teppichboden der Bahn sitzt es sich eigentlich ganz bequem. Klassenfahrt-Feeling kommt auf, denn die Leute, die hier mit mir auf dem Boden sitzen, sind miteinander ins Gespräch gekommen. Es wird gelacht, gesnackt und geteilt. Als ich dann eine Stunde später in Münster eintreffe und sich die Türen öffnen, bin ich fast schon ein bisschen traurig, aussteigen zu müssen. (Mitarbeit: Martin Dowideit)

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