Carola Rackete im Hambacher Forst„Der Kapitalismus zerstört unsere Lebensgrundlage“

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Seenotretterin Carola Rackete vor einem Braunkohlebagger am Tagebau Hambach

  • Aktivistin Carola Rackete, die durch Seenotrettung von Flüchtlingen bekannt wurde, besuchte am Wochenende den Hambacher Forst.
  • Schon 2018 bei der Räumung des Waldes war sie dabei und ließ sich von der Polizei wegtragen.
  • Nun ist sie wieder im Wald und an der Kante zur Grube des Tagebaus. Sie sagt: „„Das ist ein besonderer Ort, weil hier jedem ganz konkret die Konsequenzen sichtbar werden, die unser Handeln auf unser Ökosystem hat.“

Kerpen – Als der Kaffee zischend aus der Tülle sprudelt, sitzt Carola Rackete mit zwei weiteren Frauen ein paar Meter abseits der Lagerfeuerrunde. Zwischen ihren Knien klemmt der mit Tee gefüllte Verschluss einer Thermoskanne. Sie isst Erdnüsse. Die Jungs, die in der Glut Kaffee kochen, wären noch zusammengerückt, um ihren Gast aufzunehmen. Aber die zierliche Frau winkt ab. Ein Stück neben dem Fokus scheint sich Rackete deutlich wohler zu fühlen als mitten drin.

Der Hambacher Wald am Tagebau Hambach in Kerpen und das Dorf Keyenberg am Rand des Tagebaus Garzweiler haben an diesem Wochenende hohen Besuch. Carola Rackete war vor einem guten Jahr schon einmal hier. Hat sich während der Räumung im September 2018 aus einem Baumhaus tragen lassen. Aber da war die Frau, 31 Jahre alt, zierliche Gestalt, wuchtige Frisur, ernster Blick aus dunklen Augen, noch eine von vielen Aktivistinnen.

Berühmtheit nach Seenotrettung

Aufgewachsen in Hambühren, einer 10.000-Einwohner-Gemeinde in Niedersachsen. Nach dem Abi Nautik und Conservation Management studiert. Vegetarierin. Seit Rackete im Juni diesen Jahres als Kapitänin der Seawatch 53 syrische Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettete und entgegen der Verbote der italienischen Regierung in den Hafen von Lampedusa einlief, ist sie eine Berühmtheit.

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Und spaltet die Gemüter. „Mutige Heldin“ nennen sie die einen, „wohlstandsverwahrloste Neomarxistin“ die anderen. Sie habe in Wahrheit gar nicht globale Gerechtigkeit und Klimaschutz im Sinn, sondern den Untergang des Kapitalismus, wetterte vor ein paar Tagen die „Neue Zürcher Zeitung“. Rackete stapft über den Waldboden, feuchte Blätter schmatzen unter ihren Füßen. Sie ist unterwegs zur Grabungskante.

„Nun, der Kapitalismus zerstört unsere Lebensgrundlage“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Viele tun immer so, als sei es radikal eher auf Postwachstum zu setzen. Dabei fordern viele Wissenschaftler eine Abkehr von der Konzentration aufs Bruttoinlandsprodukt.“ Neuseeland könne Vorbild sein. Dort misst neben dem BIP ein Well-being-Index die Entwicklung eines Landes. „Der sagt, wie gesund und gebildet eine Gesellschaft ist. Nicht nur, wie viel sie produziert.“

70 Meter von Waldrand entfernt

Als Rackete einen Wall erklimmt, tut sich vor ihr der Tagebau auf. „Wir müssen mit der Verfeuerung von Braunkohle sofort aufhören.“ 70 Meter, meldet RWE auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ seien die Bagger noch vom Waldrand entfernt. Ein guter Sprinter schaffte die Strecke zwischen Natur und Maschine in nicht einmal zehn Sekunden. Die Braunkohletagebaue des Rheinlandes seien mitverantwortlich für die Klimakrise, deren Auswirkungen die Heimat von Menschen vernichte. „Alleine in diesem Oktober wurden über 500.000 Menschen in Ostafrika aufgrund von extremen Überschwemmungen vertrieben.“

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Rackete blickt lange in den Abgrund. „Das ist ein besonderer Ort, weil hier jedem ganz konkret die Konsequenzen sichtbar werden, die unser Handeln auf unser Ökosystem hat.“ Erleben. Mit eigenen Augen sehen. Rackete sagt von sich selbst, dass der Ursprung ihres Engagements in Südamerika liege. Nach dem Abitur habe sie dort auf einer Fähre gearbeitet, mit dem Geld anschließend die Länder bereist. Sie habe in Peru Kinder getroffen, die auf der Straße Kaugummis verkauften, um mit dem Geld die Familie zu ernähren. „Ich hätte das natürlich schon vorher wissen können. Aber ich brauchte dieses persönliche Erleben, um zu denken: Das geht doch nicht. Die sollten in der Schule sein.“

Walnüsse knacken und am Lagerfeuer wärmen

Clumsy, Momo und Hazel, die an diesem kalten Nachmittag mit Rackete diskutieren, sich am Lagerfeuer wärmen und Walnüsse knacken, wohnen zum Teil seit Jahren im Forst, um ihn vor der Rodung zu schützen. Seit dem Kohlekompromiss vom Januar dieses Jahres habe sich die Lage etwas entspannt, sagt Clumsy. Auch RWE erklärt auf Anfrage, dem Wunsch der Kommission nach Erhalt des Waldes entsprechen zu wollen.

„Das Unternehmen wird eine komplett neue Braunkohlenplanung für den Tagebau Hambach erstellen, mit der der Wald dauerhaft erhalten werden könnte“, sagt Guido Steffen von RWE. Hazel wiegt den Kopf, ihre Augen spotten. „Die Bagger sprechen eine andere Sprache. Sie sind immer noch da.“ Auch Kathrin Henneberger von „Ende Gelände“ ist nicht nach Aufatmen zumute: „Die Bagger kommen immer näher. Für mich ist das die Aufkündigung des Kohlekompromisses. Das werden wir nicht akzeptieren.“

Einige Dutzend Baumhäuser sitzen noch in den Astgabeln der Buchen. Das Innenministerium signalisiert, eine Räumung stehe derzeit nicht an. Vor gut einem Jahr entschied man anders, Menschen wurden von Bäumen geholt, ihre Häuser in den Wipfeln zerstört. In der Folge geriet Innenminister Herbert Reul in die Kritik. Der Räumungsgrund, die Bauten entsprächen nicht den Regeln des Brandschutzes, entpuppte sich als vorgeschoben. Stattdessen entstand der Verdacht, man habe die Räumung angeordnet, um für RWE kurz vor Beginn der Rodungssaison den Weg zu ebnen.

Die Töne haben an Schärfe verloren. Die Polizei selbst wünscht sich eine Befriedung auf klarer Rechtsgrundlage. Der Wald, in und um den die Beamten seit Anfang Oktober 2018 etwa 1000 Straftaten zählten – hauptsächlich handelt es sich zu etwa je einem Viertel um Land- und Hausfriedensbruch – soll zur Ruhe kommen. Dirk Weinspach, Polizeipräsident von Aachen, sagte im Gespräch mit dieser Zeitung: „Mein Wunsch wäre: Es gibt hier keine Straftaten mehr, hin und wieder guckt eine Streife nach dem Rechten.“ Kathrin Henneberger will, dass Häuser und Bewohner bleiben. „Hambi“ soll zu einem Ort des Naturerlebens werden, „ein Ökomuseum“. Clumsy, der seit sieben Jahren im Wald lebt, findet hier nicht nur die Natur, sondern auch einen Ort der alternativen Gemeinschaft.

Wer sich durchsetzt, ist in den Augen von Rackete, die gerade das Buch „Handeln statt hoffen – Aufruf an die letzte Generation“, in dem sie zu zivilem Ungehorsam und Protest aufruft, veröffentlicht hat, eine Frage der sozialen Dynamik. Und auch, wenn es manchmal so wirke, als bewege sich die Gesellschaft im Schneckentempo, so beweise die Geschichte: Manchmal kann es ganz schnell gehen. „Ich glaube, die Mehrheit weiß, dass wir viele Dinge tun, die schädlich sind.“ Jetzt käme es nur darauf an, „Druck auf die Politik zu machen.“

Rackete besucht am Sonntag dann auch den Spaziergang der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ in Keyenberg, einer Gemeinde, die für den Tagebau Garzweiler gerade umgesiedelt wird. Bis auf 700 Meter haben sich die Bagger laut RWE-Sprecher Steffen an den Ort herangegraben. Gut 1000 Menschen leben derzeit noch in Keyenberg und den umliegenden vier Dörfern. Der Essener Energiekonzern hat sich nach eigenen Angaben mit bereits gut zwei Dritteln der Bewohner auf eine Umsiedlung geeinigt. 140 Menschen sind demnach schon umgezogen. Doch einige zögern. Könnten die Dörfer nach den Ergebnissen des Kohlekompromiss doch gerettet werden? Rackete erklärt, sie stehe „solidarisch an der Seite der durch Zwangsumsiedlung bedrohten Menschen. Keine Familie darf mehr für den Abbau klimaschädlicher Braunkohle ihr Zuhause verlieren.“

Racketes Vater hat einmal in einem Interview mit einer Regionalzeitung gesagt, viel Aufmerksamkeit sei seiner Tochter unangenehm. Und wer die Frau hier im Wald beobachtet, glaubt das sofort. Rackete passt sich ein. Sie fällt nicht aus dem Rahmen. Ist Teil eines Bühnenbildes, nicht der Star davor. Als Jugendliche sei sie mit ihrem Umfeld „nicht so klar gekommen“, erzählt sie. „Eigentlich habe ich drei Jahre lang fast ausschließlich World of Warcraft gespielt.“ Einen Instagram-Account mit selbstdarstellerischen Posen sucht man auch heute noch vergeblich. Trubel um ihre Person „war nicht mein Wunsch“, sagt Rackete. Aber jetzt, wo der Trubel nun schon mal da ist, „muss ich auch etwas damit machen.“ – Protestieren. Handeln. Vielleicht die Welt retten. Notfalls auch aus dem Mittelpunkt heraus.

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