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CDU-Parteitag in BielefeldArmin Laschets großer Abgang

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Bielefeld – Fünf Minuten lang spenden die mehr als 660 Delegierten auf dem CDU-Parteitag dem scheidenden Landesvorsitzenden Armin Laschet in der Bielefelder Stadthalle nach seiner letzten Rede stehenden Applaus. Weil sie spüren, dass hier ein Mann die politische Bühne verlässt, dem die NRW-CDU trotz des desaströsen Ergebnisses bei der Bundestagswahl, das noch viele politische Karrieren zerstören wird, verdammt viel zu verdanken hat.

Die meisten können sich noch sehr gut daran erinnern, dass es Laschet war, der im Juni 2012 beim Parteitag in der Krefelder Eissporthalle nach zwei Landtagswahl-Klatschen 2010 und 2012 mit Verlusten von zehn und noch einmal acht Prozent einen heillos zerstrittenen Laden übernahm und mit den Aufräumarbeiten begann.

Tief zerstritten bei Laschets Amtsantritt

Aufräumen bedeutete damals vor allem den Graben zwischen zwei spinnefeinden Landesverbänden zuzuschütten; dieser Graben war so tief, dass nicht einmal mehr die Helme zu sehen waren, ohne die sich kein CDU-Politiker im bevölkerungsreichsten Bundesland mehr aus der Deckung wagen konnte.

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Genau dieser Armin Laschet tritt 3402 Tage später in Bielefeld an das Mikrofon und erinnert daran, wie eine Partei in einer solchen Lage reagieren sollte. „Es ist klug in solchen Momenten, wenn man eine Wahl verloren hat, nicht riesig groß das Drama zu machen“, sagt er. „Wenn ich jetzt sehe, dass sich mancher Kandidat für den Bundesvorsitz präsentiert und sagt, dass sei die größte Krise der CDU seit 1945, inspiriert das überhaupt keinen, wieder CDU zu wählen.“

Laschet hat die NRW-CDU kernsaniert

Die Parteispendenaffäre der CDU im Jahr 2000 sei „im Zweifel für die Substanz der CDU eine größere Krise gewesen als zwei oder drei Prozent hinter dem Wahlsieger zu liegen. Also besser die Tassen im Schrank lassen und realistisch an die Dinge herangehen.“

Das sitzt und dürfte vor allem Friedrich Merz, der sich schon als Superminister für Wirtschaft und Finanzen in Berlin sah und jetzt in seiner Funktion als Vizepräsident des Wirtschaftsrates der CDU im Saal sitzt, nicht gefallen. Merz hatte noch vor einer Woche beim Bundesparteitag der Jungen Union die Union als schweren politischen Sanierungsfall bezeichnet.

Die NRW-CDU im Zustand von Bielefeld, deren Landesvorstand sich seit der Kernsanierung durch Laschet, die vor elf Jahren begann und im Mai 2017 mit dem überraschenden Sieg bei der Landtagswahl ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, kann er damit wohl kaum gemeint haben. Drei Jahre habe man damals gebraucht, um sich neu aufzustellen, die Landesverbände zu einen und ein Grundsatzprogramm aufzustellen, sagt Laschet. Es ein langer Weg „aus tiefer Opposition hinein in die Landesregierung“ gewesen. Die NRW-CDU des Jahres 2021 habe „keinen programmatischen Nachholbedarf. Wir haben alle großen Debatten, die die Bundes-Union fast zerrissen hätten, immer lösen können.“

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Das ist der Moment, die bei so manchem Delegierten Wehmut aufkommen lässt. Warum bloß hat Laschet mit der Kanzlerkandidatur alles auf die Karte Berlin gesetzt und eine Rückkehr nach Düsseldorf ausgeschlossen?

„Wir waren überall Schlusslicht. Nur bei der Kriminalität lagen wir ganz vorn“, sagt Laschet und verweist auf die Leistungsbilanz der Landesregierung, die mit ihrer Einstimmen-Mehrheit vieles bewegt habe: den vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohle auf den Weg gebracht, ein Klimaanpassungsgesetz verabschiedet, bei der Inneren Sicherheit neue Maßstäbe gesetzt.

Lobende Worte für Nachfolger Wüst

Hendrik Wüst, sein Nachfolger im Amt des Parteichefs, habe als Verkehrsminister einfach angepackt. „Du hast geplant bei Straßen, bei Schienen, bei Brücken. Vorher sind Bundesgelder verschenkt worden, weil Nordrhein-Westfalen keine Pläne fertig hatte“, so Laschet.

Der Präsident der NRW-Handwerkskammer habe schon 2019, „weil so viel gebaut wird“, vom Wüst-Effekt gesprochen. „Ich wünsche dem Land viel Wüst-Effekt in den nächsten Jahren.“

So verrückt das klingen mag. Laschet übergibt in Bielefeld eine intakte Landes-CDU an seinen Nachfolger, der nun alles versuchen muss, ihr bei der Landtagswahl im Mai 2022 zu einer zweiten Legislaturperiode zu verhelfen. Dass dies bei einer SPD, die sich im Aufwind befindet und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Olaf Scholz den Bundeskanzler einer Ampelkoalition stellen wird, kein Selbstläufer wird, weiß Wüst natürlich auch.

Wüst will Wähler zurückgewinnen

Den Rückhalt seiner Partei jedenfalls hat er. Mit beeindruckenden 98,3 Prozent wählen die Delegierten den 46-Jährigen zum neuen Landeschef und Bodo Löttgen, Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass Wüst am kommenden Mittwoch auch Laschets Erbe als Ministerpräsident antreten wird. Er sei sicher, dass die 100 Abgeordneten von CDU und FDP geschlossen hinter Wüst stehen werden. Die Koalition verfügt im Parlament – man muss es nochmal betonen – nur über die Mehrheit von einer Stimme.

In Bielefeld verursacht der Noch-Verkehrsminister aber erst einmal einen Stau vor der Fotowand. Alle wollen ein Selfie mit Wüst, dessen Bewerbungsrede vor der Wahl in großen Teilen eine Hommage an seinen Vorgänger ist. Dass die NRW-CDU sich nach der bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl derart „einig, geschlossen und stark“ präsentiere, „das ging nur, lieber Armin, weil Du die Enden zusammengehalten hast.“

Wüst kündigt an, er wolle dazu beitragen, die „mehr als zwei Millionen Wählerinnen und Wähler der Mitte, die zur SPD und den Grünen gewechselt sind“, in den nächsten Monaten zurückgewinnen. Zumindest die in NRW. „Wir haben einen großen Vorteil. Wir sind anders als im Bund, wir sind besonders, wir sind einig, geschlossen und stark.“

„Wir dürfen nicht auch noch Anstand und Haltung verlieren.“

Politik lebe nicht nur von wichtigen Entscheidungen, sondern auch vom richtigen Umgang miteinander, mahnt der Neue an der Spitze. „In der Union waren zuletzt auch Leute am Werk, die das nicht richtig beherzigt haben“, sagt er. „Leute, wir haben die Bundestagswahl und so wie es aussieht auch die Regierungsbeteiligung verloren. Wir dürfen nicht auch noch Anstand und Haltung verlieren.“

Die größte Herausforderung der kommenden Jahre werde sein, NRW in ein klimaneutrales Industrieland zu verwandeln. „Das ist nicht nur eine wirtschaftliche, das ist auch eine gesellschaftspolitische Frage. Wenn wir Wohlstand, soziale Sicherheit und gute Arbeit dabei verlieren, macht uns das auf der Welt niemand nach“, sagt Wüst. „Überall auszusteigen ist leicht. Wir müssen es schaffen, die energieintensiven Industrien klimaneutral zu machen. Das ist der schwierige, der richtige Weg. Das ist CDU pur.“

Es fällt auf, dass Wüst neben der Klimapolitik vor allem soziale Themen in den Mittelpunkt rückt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die CDU nur Volkspartei der Mitte bleibt, wenn die Alltagssorgen der Menschen Kompass unserer Politik sind und wir erkennbar klare Antworten darauf geben können.“ Der Landtagswahlkampf wird nach den Worten des neuen Landesparteichefs in der kommenden Woche beginnen. Er steht unter dem Motto „Du zählst – und wir hören zu!“

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