CoronaNahverkehr dürfte auch lange nach der Krise zu den großen Verlierern zählen

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Bislang müssen Anschlusstickets erworben werden, wenn die Grenze des eigenen Verkehrsverbunds verlassen wird.

Bislang müssen Anschlusstickets erworben werden, wenn die Grenze des eigenen Verkehrsverbunds verlassen wird.

  • Der ÖPNV im Rheinland zählt schon jetzt zu den großen Verlierern der Corona-Krise.
  • Seit Beginn der Pandemie fahren deutlich weniger Fahrgäste mit Bus und Bahn. Doch auch nach der Krise ist vorerst kaum Besserung in Sicht.
  • Die Deutsche Bahn und der VRS reagieren auf den Fahrgastmangel. Mit einem Pilotprojekt und einer Sonderaktion in den Sommerferien.

Köln – Der öffentliche Nahverkehr im Rheinland wird zu den großen Verlierern der Corona-Pandemie zählen. „Wir werden im Vergleich zum Auto und zum Radverkehr den höchsten Verlust bei den Marktanteilen hinnehmen müssen“, sagt Michael Vogel, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg (VRS).

Rund 25 Prozent der Nutzer, die der Verbund seit Mitte April in sieben Wellen befragt hat, geben an, dass sie Busse und Bahnen künftig seltener nutzen werden. Das gilt vor allem in den Großstädten Köln, Bonn und Leverkusen.

„Alle Fachleute gehen davon aus, dass die Verkehrsmengen deutlich zurückgehen werden“, sagt Vogel. Die Gründe seien vielfältig. Der Trend zum Homeoffice werde zu dauerhaften Verhaltensänderungen führen, „von denen wir heute noch nicht wissen, wie stark sich das auswirken wird.“

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ÖPNV: Das negative Image von Bus und Bahn

Äußerst problematisch sei das negative Image. Busse und Bahnen würden als Virenschleudern empfunden, obwohl schon seit der Heinsberg-Studie des Bonner Virologen Hendrik Streeck vom April eindeutig erwiesen sei, dass eine Übertragung des Coronavirus durch eine Schmierinfektion ausgeschlossen sei.

„Der öffentliche Nahverkehr ist keine Infektionsquelle, wird aber in der Öffentlichkeit immer als solche wahrgenommen“, sagt Vogel. „Wir wurden in der Feinstaubkrise 2017 und ein Jahr später in der Klimadiskussion schon als Welten- und Menschenretter gefeiert, sind von einem Fahrgast- und Einnahmerekord zum nächsten gefahren. Jetzt gelten wir als Krankheitstreiber. Diesen Kulturschock muss man erst mal verdauen.“

Deutsche Bahn will Busse mit antimikrobieller Schicht versehen

Und etwas dagegen unternehmen. Alle am VRS beteiligten Verkehrsunternehmen haben Hygienekonzepte erarbeitet, die Deutsche Bahn geht in der kommenden Woche einen Schritt weiter. In Dormagen wird sie am Donnerstag ein Pilotprojekt für ihre Regionalbusse vorstellen. Dabei werden alle Oberflächen in den Bussen mit einer antimikrobiellen Beschichtung versehen, um Viren und Bakterien abzutöten. Die Fahrerkabinen werden mit Trennscheiben nachgerüstet, sodass Fahrgäste auch vorn wieder in den Bus einsteigen, Tickets kaufen und die bisher gesperrten vorderen Sitzplätze nutzen können. Das System soll bundesweit für alle DB-Busse ausgerollt werden.

Der VRS rechnet für 2020 mit Einnahmeverlusten in Höhe von bis zu 350 Millionen Euro. „Genau lässt sich das noch nicht abschätzen, weil wir nicht wissen, ob es im Herbst zu einer zweiten Welle kommt und inwieweit sich der Betrieb stabilisiert“, sagt Vogel. Im vergangenen Jahr lagen die Ticketeinnahmen bei 694,5 Millionen Euro und damit um rund 30 Millionen Euro höher als 2018.

VDV: Verlust von fünf Milliarden Euro

Bundesweit werden sich die Einnahmeverluste nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bis zum Jahresende auf fünf Milliarden Euro summieren. Bereits kurz nach dem Lockdown hatte der VDV in Abstimmung mit seinen Mitgliedsunternehmen und weiteren Verbänden der Branche ermittelt, wie sich die Einbrüche bei den Fahrgeldeinnahmen bis Jahresende auswirken könnten. In zwei Szenarien, je nachdem wie lange und umfangreich die Ausgangsbeschränkungen andauerten, kamen dabei Verluste in Höhe von fünf bis sieben Milliarden Euro heraus.

„Der Lockdown dauerte zum Glück nicht so lange wie im zweiten Szenario angenommen. Aber dennoch werden wir bis Jahresende rund fünf Milliarden Euro an Fahrgeldeinnahmen verlieren“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann. „Wir sind auch während der Ausgangsbeschränkungen im Schnitt zu 80 Prozent das reguläre Angebot gefahren. Und das bei rund 20 Prozent der sonst üblichen Fahrgastzahlen.“ Inzwischen sei man zwar bei durchschnittlich 40 bis 50 Prozent der Fahrgäste, „aber die Menschen kommen nur langsam zurück in die Busse und Bahnen. Die Einnahmen sind weiterhin deutlich geringer als kalkuliert, während die Kosten für das volle Angebot unvermindert anfallen.“

Abo-Tickets im VRS gelten an den Ferienwochenenden in ganz NRW

Der Bund hat für die Branche bereits Anfang Juni einen Rettungsschirm von 2,5 Milliarden Euro aufgespannt, die Länder eine finanzielle Beteiligung zugesichert. Dies muss aus Sicht des VDV sehr schnell gehen. Sonst müssten die Verkehrsbetriebe ihr Angebot einschränken. „Es darf nicht passieren, dass wir Verkehre zurückfahren müssen, weil wir es uns nicht mehr leisten können, während ansonsten das gesamte Land wieder zum Alltag zurückkehrt und die Menschen wieder mobiler werden“, so Wortmann.

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In den Sommerferien will der VRS die Abonnement-Kunden mit einer Dankeschön-Aktion dazu bewegen, schneller in Busse und Bahnen zurückzukehren. Abo-Besitzer können vom 27. Juni bis 11. August eine weitere Person und drei Kinder bis 14 Jahren kostenlos mitnehmen. Die Tickets gelten in den Ferien für den gesamten Verkehrsverbund, an den sechs Wochenenden für ganz Nordrhein-Westfalen. „Wir wollen uns mit der Aktion bei den Fahrgästen für ihre Treue zum Nahverkehr bedanken und ihnen die Ferien vor der Haustür erleichtern“, sagt Geschäftsführer Michael Vogel. Das sei durchaus als „vertrauensbildende Maßnahme“ zu werten.

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