Cum-Ex-Prozess mit PilotwirkungFünf neue Staatsanwälte für Köln

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Paragrafensymbole Gericht Symbol

Paragrafen-Symbole sind an Türgriffen eines Gerichts angebracht. (Symbolbild)

Bonn – Martin S., 41, kennt das Kölner Justizzentrum gut. In 31 Vernehmungen lieferte der britische Aktienhändler tiefe Einblicke in einen gigantischen Steuerschwindel, bekannt unter dem Fachbegriff „Cum Ex“.

Dabei geht es um Geschäfte rund um den Handel von Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividende, bei dem die Beteiligten illegal mehrfach Kapitalertragssteuer kassierten, obwohl die Abgabe nur einmal abgeführt wurde. Die organisierten Schiebereien der Wertpapiere liefen über Jahrzehnte unbemerkt am zuständigen Bundeszentralamt für Steuern in Bonn vorbei. Im großen Stil ließen sich die Cum-Ex-Jongleure Steuern erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Bevor die Bundesregierung die Praxis im Jahr 2012 unterband, soll dem Fiskus ein Schaden von zwölf Milliarden Euro entstanden sein.

Anklage spricht von Schaden in Höhe von 447 Millionen Euro

Vor dem Bonner Landgericht muss sich nun der Aktienhändler Martin S. mit seinem Kollegen Nicholas D. wegen Cum-Ex-Betrugs verantworten. Zum ersten Mal soll eine Strafkammer über den kriminellen Gehalt der Deals befinden. Den Schaden beziffert die Anklage auf gut 447 Millionen Euro. Von der Verhandlung erhoffen sich die Ankläger ein Signal an die Gegenseite. Denn noch immer sind Verteidiger, Beschuldigte und beteiligte Banken der Meinung, dass die Cum-Ex-Masche bis 2012 legal war.

Justizminister Peter Biesenbach sprach von einer juristischen Blaupause: „Dem Prozess kommt weit über Deutschland hinaus Pilotwirkung zu.“ Zudem kündigte der CDU-Politiker gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ an, „das geltende Recht einer juristischen Schwachstellenanalyse zu unterziehen“. Dabei gehe es um die Frage, warum das Cum-Ex-Geschäftsmodell über einen so langen Zeitraum funktionieren konnte. Darüber hinaus will der Minister überprüfen lassen, ob die Gesetze „den Anforderungen, die sich aus Verflechtungen legaler mit illegalen Wirtschaftsaktivitäten ergeben“, noch gerecht werden.

„Größter Steuerraub“

Allein die Schwerpunktabteilung bei der Kölner Staatsanwaltschaft führt 56 weitere Cum-Ex-Ermittlungskomplexe mit 400 Beschuldigten. Ein Schuldspruch in Bonn wäre laut Biesenbach der Startschuss, „um den größten Steuerraub“ der deutschen Nachkriegsgeschichte einzudämmen. Der Minister stockte die Cum-Ex-Sonderabteilung im Kölner Justizzentrum unter der Leitung von Anne Brorhilker von fünf auf zehn Staatsanwälte auf.

2013 hatte Brorhilker den ersten Fall übernommen. Es habe Jahre gedauert, um die Abläufe und Strukturen dieser Geschäfte zu erfassen, berichtet Joachim Roth. Der Leitende Kölner Oberstaatsanwalt verglich die Nachforschungen mit einem Wollknäuel, das man entwirren müsse, „um den roten Faden zu entwickeln.“

Denn das Steuerkarussell mit Wertpapiergeschäften lief über viele Stationen im In- und Ausland und kannte mehrere Spielarten. Dabei scheinen den Ermittlungen zufolge das Who-is-who der internationalen Banken- und Finanzwelt involviert gewesen zu sein. Eine angekaufte Steuer-CD lieferte Hinweise. Der Durchbruch gelang, als erste Aktiendealer auspackten. Sie lieferten die Hinweise, dass die Karussellgeschäfte „vorher von den Beteiligten abgesprochen wurden“, sagte Torsten Elschenbroich. Der Oberstaatsanwalt sprach von „organisierter Wirtschaftskriminalität“.

Vermögen abschöpfen

Die Opposition hatte kritisiert, dass die Landesregierung zu wenig Staatsanwälte im Kampf gegen den Cum-Ex-Schwindel einsetze und somit Verfahren zu verjähren drohten. „Bisher ist keine Komplex verjährt“, sagte Elschenbroich. Zugleich machte der Strafverfolger klar, dass man im Falle eines positiven Richterspruchs vor allem an Firmen und Banken herangehen werde, um Vermögen abzuschöpfen. Der 41-jährige Martin S. will von morgen an vor Gericht aussagen.

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