Cane, Örs, TopgiderDiesen Kölnerinnen und Kölnern droht in der Türkei Haft

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Gönül Örs

Gönül Örs

Jeden Mittwoch treffen sich in der Kölner Innenstadt Demonstranten, um an die Menschen aus NRW zu erinnern, die in der Türkei im Gefängnis sitzen. Sie halten Plakate mit Porträts hoch und erzählen die Geschichten der Inhaftierten. Was mit einer Solidaritätsaktion für den Kölner Sozialarbeiter Adil Demirci begann, ist zu einem Ritual geworden, das seit 80 Wochen stattfindet.

„Für die Angehörigen der Inhaftierten ist die Mahnwache ein wichtiges Symbol, auch wenn nicht immer viele Menschen kommen“, sagt Adil Demirci. Ihm habe die breite Solidarität aus Politik und Zivilgesellschaft enorm geholfen. „Ohne öffentlichen Druck wäre ich womöglich weiterhin in Istanbul im Gefängnis. Wir müssen die Inhaftierten im Gedächtnis behalten.“

Zähe diplomatische Verhandlungen

Fälle wie jene der Journalistin Mesale Tolu, des Journalisten Deniz Yücel oder des Menschenrechtlers Peter Steudtner gingen durch die internationale Presse – nach zähen diplomatischen Verhandlungen wurden sie freigelassen. Nach Adil Demircis Verhaftung entschied die Stadt Köln erst relativ spät, sich öffentlich zu solidarisieren.

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Die Fälle der Kölner Sängerin Hozan Cane und ihrer Tochter Gönül Örs finden selten öffentliches Interesse. Andere Inhaftierungen werden medial fast gar nicht beachtet. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ gibt einen Überblick über die in der Türkei inhaftieren oder unter Haus Arrest stehenden Menschen aus Köln und der Region.

Ali Temel, Kölner Rentner

Ali Temel (71), Rentner aus Köln, lebt seit 1974 in Deutschland und macht regelmäßig Urlaub in der Türkei. Im Mai 2019 wurde er in seiner Ferienwohnung in Didim bei Aydın festgenommen. Er befand sich für vier Tage in Untersuchungshaft, bevor er unter der Auflage einer Meldepflicht und einer Ausreisesperre  entlassen wurde. Die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre acht Monate Haft wegen „Unterstützung einer Terrororganisation“.

Temel wurde am 2. April in der Türkei wegen angeblicher „Hilfeleistung für einen Terrorverdächtigen“ zu zwei Jahren und einem Monat Haft verurteilt. Er muss die Haftstrafe nicht antreten. Die Kaution für die Aufhebung der Ausreisesperre von umgerechnet 12 000 Euro wurde von der Familie bezahlt, Temel darf die Türkei verlassen. Seine Anwälte werden Widerspruch einlegen. Sie fordern Freispruch. Temel ist seit dem 4. April wieder in Köln.   

Yüksel Wessling, Sozialpädagogin aus Bonn

Yüksel Wessling (66) ist Sozialpädagogin und lebt in Bonn. Die deutsche Staatsbürgerin hat 27 Jahre bei der Stadt Hannover gearbeitet. Sie fliegt regelmäßig in die Türkei. Seit dem Oktober 2019 darf sie die Türkei nicht mehr verlassen – wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation.

Ein Vorwurf der Anklage lautet, Wessling habe an Veranstaltungen eines kurdischen Vereins in Hannover teilgenommen. Der Bonner Landtagsabgeordnete Felix von Grünberg und Investigativjournalist Günter Wallraff setzen sich für die Freilassung von Yüksel Wessling ein.

Beim letzten Prozesstermin im Februar forderte die Staatsanwaltschaft sechs Jahre drei Monate Haft für Wessling. Beim nächsten Prozesstermin am 15. April wird das Urteil erwartet. Günter Wallraff will als Prozessbeobachter in die Türkei reisen, sofern die Corona-Bestimmungen das erlauben.

Hozan Cane, kurdische Sängerin

Die kurdische Sängerin Hozan Cane wurde im Juni 2018 nach einem Auftritt auf einer HDP-Kundgebung in Edirne festgenommen. Sie wurde von einem türkischen Gericht im  November 2018 wegen Mitgliedschaft in der als Terrororganisation geltenden PKK zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.

In der Anklageschrift wurde Cane vorgeworfen, Fotos auf Facebook verbreitet zu haben, auf denen der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan zu sehen sei. Auf andere Fotos sei eine Veranstaltung in Köln zu sehen, auf der verbotene PKK-Fahnen und Öcalan-Poster geschwenkt würden. Cane sagt, dass die in der Anklageschrift angeführten Facebook-Profile nicht ihr gehörten. Nach mehr als zwei Jahren in Haft wurde sie im September 2020 entlassen. Cane darf die Türkei wegen einer Ausreisesperre nicht verlassen. Ihr nächster Prozesstermin ist am 5. Mai 2021.

Gönül Örs, Kölner Sozialarbeiterin

Gönül Örs (38) ist eine Kölner Sozialarbeiterin. Sie wollte ihre inhaftierte Mutter Hozan Cane im April 2019 besuchen und wurde bei der Einreise in die Türkei festgenommen. Nach zwei Tage in Untersuchungshaft wurde Örs mit der Auflage „Ausreisesperre“ entlassen.

Gönül Örs wurde vorgeworfen, an einer Aktion der PKK-nahen Studierendengruppierung in Köln beteiligt gewesen zu sein. Im September 2019 wurde sie in Edirne erneut verhaftet, weil sie trotz ihrer Ausreisesperre versucht haben soll, die Grenze zu übertreten. Drei Monate später wurde sie wieder aus der Haft entlassen. Ihr Prozess wird am 6. April fortgesetzt.

Bekir Topgider, Kölner Politiker

Der Kölner Bekir Topgider (62) wurde im November 2019 in seiner Heimatstadt Elazig festgenommen und war im Gefängnis, bis er im März 2020 wegen der Corona-Pandemie aus der Haft entlassen wurde. Der Vorwurf gegen ihn lautet Mitgliedschaft in der PKK. Topgider ist deutscher Staatsbürger. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Sozialistischen Partei Kurdistans PSK), die der PKK kritisch gegenüber steht. Die PSK ist in der Türkei erlaubt. Auf eine Anklageschrift wartet er seit eineinhalb Jahren.

 Adil Demirci, Kölner

Der Kölner Adil Demirci (35) wurde im April 2018 in Istanbul festgenommen, als er seine krebskranke Mutter in die Türkei begleitete. Demirci saß zehn Monate im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in Haft und durfte im Juni 2019 zur Beerdigung seiner Mutter nach Deutschland zurückkehren. Die türkische Justiz wirft ihm Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistisch-Kommunistischen Partei (MLKP)) vor, was Demirci entschieden bestreitet. Sein Prozess wird seitdem in seiner Abwesenheit fortgesetzt.

Da es sich um eine „Sammelklage“ mit 22 Angeklagten handelt. zieht sich der Prozess in die Länge. Demircis nächster Prozesstermin ist der 15. September 2021.

Seit dem Sommer 2020 gibt es zwei weitere Fälle von deutschen Staatsbürgerinnen aus Köln und Leverkusen, die wegen einer Ausreisesperre die Türkei nicht verlassen dürfen. Die Leverkusenerin war mehr als drei Monate im Gefängnis in Diyarbakir und wurde mit der Auflage einer Ausreisesperre aus der Haft entlassen.

Beide Frauen haben kurdische Wurzeln. Ihnen wird Mitgliedschaft und Propaganda für die PKK zur Last gelegt. Wie Örs und Wessling wird ihnen vorgeworfen, in Deutschland an Veranstaltungen kurdischer Organisationen teilgenommen zu haben. Aus Angst vor Repressalien möchten die Familien die Fälle nicht öffentlich machen.

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