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Details zum Mord in SolingenMutter soll ihre fünf Kinder erstickt haben

Lesezeit 5 Minuten
Solingen Wohnungstür

Siegel der Polizei hängen an der Wohnungstür.

  • Melina, Leonie, Sophie, Timo, Luca. Fünf tote Kinder. Mutmaßlich getötet von ihrer noch jungen Mutter.
  • Ein verstörender, schockierender Fall und die quälende Frage: Warum?

Solingen – Wie verzweifelt, wie überfordert muss eine Mutter sein, dass sie zu so einer Tat fähig ist? Den Ermittlern, die am Freitagnachmittag in der Solinger Theater- und Konzerthalle über die Hintergründe des gewaltsamen Todes von fünf Kindern im Stadtteil Hasseldelle berichten müssen, ist die Betroffenheit über das Geschehen sichtlich anzumerken. Eine Antwort auf die Frage haben sie nicht.

Deshalb beschränkt sich Marcel Maierhofer bei der Suche nach den Gründen darauf, zu erklären, dass sich die 27-jährige Tatverdächtige in „einem Zustand emotionaler Überforderung“ befunden habe. „Da liegt das Motiv.“ Alles deute darauf hin, dass sie die Trennung von ihrem Ehemann und Vater ihrer vier jüngsten Kinder offenbar nicht verkraftet habe.

Großmutter rief bei der Polizei an

Es ist 13.45 Uhr am Donnerstag, als beim Polizeipräsidium Wuppertal ein Anruf der Kollegen aus Mönchengladbach eingeht. Die Großmutter der Tatverdächtigen meldet sich. Ihre Tochter habe ihr am Telefon mitgeteilt, fünf ihrer sechs Enkelkinder seien tot, der elfjährige Marcel sitze im Zug und sei auf dem Weg zu ihr. Ihre Tochter habe ihr gesagt, dass sie sich umbringen wolle, berichtet die Anruferin.

Alles zum Thema Armin Laschet

Fünf Minuten später, um 13.50 Uhr, verschaffen sich Polizeibeamte den Zutritt zur Wohnung in Solingen und finden fünf Kinder leblos in ihren Betten. Drei Mädchen, Melina (1), Leonie (2) und Sophie (3) und zwei Jungen,Timo (6) und Luca (8). Vier der Kinder stammen aus der Ehe mit einem 28-Jährigen, von dem die Tatverdächtige seit einem Jahr getrennt lebt. Der achtjährige Luca und Marcel (11), der als einziger überlebt hat, aus vorherigen Beziehungen.

Mutter war mit ihrem Sohn Marcel auf dem Weg nach Düsseldorf

Nach den Erkenntnissen der Polizei hat sich die Mutter zum Zeitpunkt des Auffindens mit ihrem Sohn Marcel mit dem Zug auf den Weg nach Düsseldorf gemacht. Sie habe den Jungen unter dem Vorwand, in der Familie gebe es einen Todesfall, vorzeitig aus dem Unterricht geholt. Der Elfjährige sei am Morgen planmäßig zur Schule gegangen. „Die Beamten haben in der Wohnung eine Frühstücksituation vorgefunden“, sagt Maierhofer.

In Düsseldorf trennen sich die Wege. Marcel fährt weiter, seine Mutter bleibt zurück. Noch auf dem Weg von Düsseldorf nach Mönchengladbach schreibt Marcel gegen 14.08 Uhr in den Gruppenchat seiner Klasse, dass alle seine Geschwister tot seien. Gut 20 Minuten später trifft er bei seiner Oma ein und wird dort sofort von Polizeibeamten und einem Seelsorger betreut.

Mutter warf sich vor einfahrenden Zug

Seine Mutter muss gut 20 Minuten auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof herumgeirrt sein. Um 14.13 Uhr teilen Polizeibeamte aus Düsseldorf der Einsatzleitung in Wuppertal mit, dass sich eine Frau dort vor einen einfahrenden Zug geworfen hat. Sie wird schwer verletzt und in ein Krankenhaus gebracht.

Ihr Zustand sei nicht lebensbedrohlich, heißt es am Freitagnachmittag. Sie könne aber noch nicht vernommen werden. Gegen 17 Uhr, so die Staatsanwaltschaft, wird der Haftbefehl wegen des Vorwurfs des fünffachen Mordes erlassen. Ob sie in ein Justizkrankenhaus oder in ein Gefängnis überführt werde, könne er noch nicht sagen.

Hinweise auf ein Ersticken und Sedieren

Nach Angaben von Heribert Kaune-Gebhardt von der Staatsanwaltschaft Wuppertal habe die Obduktion der Kinder am Freitag Obduktionen bei allen fünf Kindern „Hinweise auf ein Ersticken und Sedieren mit noch unbekannten Mitteln“ ergeben. Genaue Aussagen über den Tatablauf könne man nicht machen.

Die Familie ist nach Angaben der Ermittler nie auffällig gewesen, auch nicht im Hinblick auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung. In den letzten Monaten habe es lediglich eine Diebstahlsanzeige der Mutter gegen ihren Ehemann und einen Polizeieinsatz wegen eines Familienstreits gegeben. In beiden Fällen sei die zerrüttete Ehe der Grund gewesen. Über zwei polizeilich nicht relevante Rettungseinsätze wolle man sich aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern, sagt Maierhofer.

Hasseldelle ein sozialer Brennpunkt

Der Stadtteil Hasseldelle mit seinen 3000 Menschen ist wohl das, was man einen sozialen Brennpunkt nennt. Rund drei Kilometer von der Innenstadt entfernt, leben dort Menschen aus mehr als 50 Nationen. Die wehren sich schon länger gegen das schlechte Image. Fakt ist: Der Leerstand in den 650 Wohnungen ist niedrig, viele wurden in den vergangenen Jahren saniert.

Veedelsmanagerin Marina Lehnen kümmert sich seit 2018 um die Belange der Menschen und die Flüchtlinge, die dort ein Zuhause gefunden haben. Der Vorstand des Nachbarschaftsvereins „Wir in der Hasseldelle“, den es seit 1987 gibt und dessen Vorsitzender Hans Peter Harbecke selbst seit 40 Jahren dort lebt, zeigte sich über die Vorgänge erschüttert. „Solingen und die Nachbarschaft in der Hasseldelle haben gestern sicherlich den schwärzesten Tag seit langem erlebt. Unsere Nachbarn sind schockiert, fassungslos und tief betroffen“, hieß es am Freitag in einer Stellungnahme. „Solch ein Erlebnis ist für jeden von uns unvorstellbar und lässt sich nur schwer fassen.

Tod der fünf Kinder hat bundesweit große Betroffenheit ausgelöst

Viele unserer Kinder und Jugendlichen hier haben einen Freund oder eine Freundin verloren. Unsere Familien in der Nachbarschaft sind traurig. Wir sind traurig. Ganz Solingen ist traurig. Wie und ob wir diese Traurigkeit, die gerade durch die Hasseldelle weht, auffangen können, darüber sind wir uns noch nicht im Klaren. Wie unsere Kinder und Familien damit weiter umgehen werden, können wir nicht sagen. Aber wir sind für jeden Einzelnen da. Weiterhin.“ Am Freitagabend treffen sich die Nachbarn zu einer Schweigeminute mit Kerzen und bilden eine Lichterkette vor den Häusern.

Der Tod der fünf Kinder hat bundesweit große Betroffenheit ausgelöst. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte, dass das Ereignis von Solingen „viele Menschen in Nordrhein-Westfalen sehr bewegt“ habe. Die „Gedanken sehr, sehr vieler Menschen“ seien jetzt bei der Familie und den Angehörigen. „Das lässt einen im Tagesgeschäft innehalten und an die wichtigen Dinge im Leben denken“, sagte Laschet.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) zeigte sich erschüttert. Der Fall mache „traurig, wütend und fassungslos zugleich“, hieß es am Freitag. „Fünf kleine Leben sind gestern ausgelöscht worden – das übersteigt unsere Vorstellungskraft von dem, was Menschen imstande sind zu tun.“ Jetzt gelte es, die Ermittlungen der Polizei abzuwarten und zu prüfen, ob es Hinweise auf Probleme innerhalb der Familie gegeben hat. „Hier sollten wir nicht vorschnell urteilen“, erklärte Giffey. „Der Schutz von Kindern und Jugendlichen hat für mich als Familienministerin höchste Priorität. Es ist daher wichtig zu erfahren, was hinter dieser schrecklichen Tat steht.“

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Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki reagierte mit Entsetzen auf den gewaltsamen Tod der fünf Kinder . „Das ist eine unvorstellbare Tat, die tief in das Herz einschneidet“, sagte der Erzbischof. „Im Letzten ist man sprachlos“, fügte er hinzu. (mit dpa/kna) 

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