Durchschnittsalter 75Wie leidenschaftliche Kölner Senioren den Rhein bezwingen

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Die Mittwochsrunde des Kölner Rudervereins von 1977 nannten sich früher auch die Alten Herren.

Köln – Wenn die Ruder durch die Luft zischen, platschend im Wasser verschwinden, sich durch die blau-grünen Wellen ziehen, um sich schließlich triumphierend wieder an die Oberfläche zu kämpfen, dann entlocken sie dem Rhein eine Melodie. Im Takt, in rhythmischer Gleichförmigkeit, schieben sich die Boote stromaufwärts, entgegen der fordernden Strömung des Flusses. Die Rheinkribben sind überspült an diesem Tag im August, vom Himmel brennt die Somme schon früh am Morgen, es ist einer der wenigen schönen Tage in diesem trüben Sommer.

Der Rhein aber wirkt aufgebracht. Unruhig strömt er Richtung Köln, als Franz (alle Namen geändert) sein Ruderboot, einen fußgesteuerten Fünfer, stadtauswärts steuert. Gestartet sind er und seine Vereinskollegen am Steg in Rodenkirchen. Dort ist der Kölner Ruderverein von 1877 (KRV) beheimatet, mit insgesamt 621 Mitgliedern der größte Ruderclub der Stadt und einer der zehn größten Rudervereinen Deutschlands.

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Mittwochsruderer statt Alte-Liebe-Runde

Die 77er, wie sich die Mitglieder auch nennen, sind auch der älteste aktive Ruderverein Kölns. Und das nicht nur gemessen in Jahren seit der Gründung. Denn jeden Mittwoch um neun Uhr am Vormittag trifft sich eine Gruppe, die früher auch als die Alten Herren bekannt war, sich heute aber einfach die Mittwochsruderer nennt. Das Durchschnittsalter der Gruppe liegt derzeit bei 75 Jahren.

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Der Rhein führte im August viel Wasser, wie man an den Bäumen am Ufer erkennt.

In der Mittwochsrunde „vereinigen sich überwiegend pensionierte Leute, aber auch einige Berufstätige“, sagt Lothar. Der 82-Jährige hat im Jahr 1954 mit dem Rudern begonnen, seit 1987 ist er im Rodenkirchener Verein aktiv. Wie die Mittwochsruderer entstanden sind, ist auch in der Gruppe selbst ein Mythos. Obwohl Lothar mit am längsten dabei ist, kennt auch er nur Umrisse der Entstehungsgeschichte: „Die Mittwochsrunde ist eine Fortsetzung einer Altherren-Runde, die nannte sich früher - bis vor etwa 30 Jahren - die Alte-Liebe-Runde. Dann bildete sich eine neue Runde und man traf sich eben zufällig mittwochs.“

Bei den Alten Herren rudern auch Frauen mit

Der Name Mittwochsrunde ersetzte den vormaligen Namen „Alte Herren“ auch aus Gründen der Inklusivität: Längst rudern nicht mehr nur Herren mit. Auch Frauen sind mit dabei, nicht nur in der Mittwochsrunde. Im gesamten Verein beträgt der Frauenanteil mittlerweile rund ein Drittel. Dem Steuermann Franz ist es wichtig, das zu betonen. Und auch die Zuschreibung „alt“ will nicht so richtig auf den 77-Jährigen zutreffen. Er ist ein drahtiger Typ, schmal aber muskelbepackt. Aus seinen Bewegungen spricht Effizienz und Kraft. Ein Typ, der den Rhein bezwingen kann.

Er sei erst seit 17 Jahren im KRV aktiv, sagt Burghard. Als Steuermann hat er im Verein dennoch längst einen guten Ruf. Er gilt als ruhig und sorgsam. Was man dazu wissen muss, ist, dass Rudern ein zutiefst hierarchischer Mannschaftssport ist. In den Booten – vielleicht abgesehen vom Einer – sitzt stets ein Steuermann bzw. eine Steuerfrau. Alle anderen Ruderer müssen seinen Befehlen ungefragt Folge leisten. „Ruderbefehle sagen der Mannschaft, was zu tun ist, wie das Boot zu bewegen ist“, erklärt Franz.

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Ein Ruderboot wird zum Wasser getragen.

Um ein Ruderboot steuern zu dürfen, ist eine Steuerprüfung notwendig. Sie besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil. Denn ein Fluss wie der Rhein ist nicht ungefährlich. Die Strömungen sind zuweilen enorm stark. Zudem ist er eine viel befahrene Wasserstraße. Unterschiedliche Verkehrsteilnehmer tummeln sich hier: Die Freizeitruderer der zahlreichen Rudervereine, Motorsportler, Stand-Up-Paddler, Kanus. Und natürlich die professionelle Schifffahrt. Ausflugsschiffe der Köln-Düsseldorfer und die trägen Riesen: Frachtschiffe, beladen mit bunten Containern, gestapelt wie im Tetris-Spiel.

Die vier Typen des Ruderers

„Fertigmachen zum Einsteigen – stoßt ab“, ruft Franz durch die Morgenluft und die Mannschaft steigt in das Boot und stößt es vom Steg ab. „Alles voraus – Los!“ Die acht Ruder – Skulls genannt - vier auf jeder Seite, beginnen im Gleichtakt das Wasser zu zerschneiden. Das erste Stück der Strecke ist besonders anstrengend, denn die Kribben müssen umschifft werden. Kribben, aufgeschüttete Steinwälle, zerteilen den Uferbereich des Rheins in beckenartige Abschnitte. Für die Ruderer ist es wichtig, möglichst eng am Ufer zu bleiben, dort ist die Strömung schwächer als in der Mitte des Flusses. Elf Kilometer rudern die Mittwochsboote den Rhein hinauf, hoch bis zum Godorfer Hafen.

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Die Ruder werden Skullen genannt.

Heute muss Franz' Vierer einen Gang runter schalten. Dieter, 75 Jahre alt, ist nach einer Operation am Herzen zum ersten Mal wieder mit dabei. „Ich muss aufpassen, dass mein Puls nicht über 120 steigt“, sagt er und wirft einen Blick auf eine kleine Uhr an seinem Handgelenk. „Naja, so gerade passt es noch.“ Unbeschwertes Lachen tönt kurz über das nervös fließende Wasser.

Es gebe drei Arten von Ruderern, heißt es: Den Schönwetterruderer – ihn findet man nur an schönen Tagen auf dem Wasser. Den gesundheitsbewussten Ruderer – er rudert seiner Gesundheit zu Liebe mindestens zweimal die Woche, auch im Winter. Und den leistungsorientierten Ruderer – er ist ständig bemüht, besser zu werden, seine Technik zu verfeinern, Kraft und Ausdauer zu optimieren.

Senioren werden immer aktiver

Man sollte meinen, bei den Alten Herren fände sich vorwiegend der Typus des gesundheitsbewussten Ruderers. Schließlich belegen zahlreiche Studien die gesundheitlichen Vorteile von regelmäßigem Sport im Alter. Seit Jahren steigen die Zahlen der Senioren, die in Vereinen oder Fitnessstudios aktiv sind. Gerade das Rudern hat einen guten Ruf unter Sportlern: Es werden nicht nur sämtliche Muskeln des Körpers trainiert, man verbindet zudem Kraft- und Ausdauersport, bewegt sich dazu an der frischen Luft und treibt Sport im Team.

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Ein Fünfer auf dem Rhein.

Tatsächlich aber scheint es unter den Alten Herren einen vierten Typus des Ruderers zu geben: Den Leidenschaftlichen. Rainer gehört definitiv dazu, seit 62 Jahren rudert er. Auch Ludwig ist ein solcher Ruderer und das gibt er auch unumwunden zu: „Rudern macht süchtig.“ Er ist das Nesthäkchen der Mittwochsrunde: Mit seinen 57 Jahren senkt er den Altersdurchschnitt beträchtlich. Sein Beruf erlaubt es ihm, Mittwochsvormittags vor der Arbeit eine Runde auf dem Rhein zu drehen. Auch Ludwig ist seit 17 Jahren im Verein aktiv, und das auch sehr erfolgreich: Aktuell hält er den Kilometerrekord im internen Vereins-Ranking mit ungefähr 1400 Kilometern für das laufende Jahr.

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Auf etwa der Hälfte der Strecke taucht auf der gegenüberliegenden Rheinseite das Porzer Rathaus auf. Eine große Uhr zeigt die Zeit an. „Wenn wir bis hierhin etwa eine halbe Stunde gebraucht haben, liegen wir gut in der Zeit“, sagt Ludwig. Weitere 30 Minuten geht es flussaufwärts. Die Strömung verlangt den Männern einiges ab. Die Rückfahrt aber geht dafür umso schneller, die Ruderer können sich die Kraft des Flusses dann zu Nutze machen: Es ist natürlich  leichter mit der Strömung zu rudern. Unabhängiger aber ist der, der weiß, wie er den Fluss bezwingen kann. Für denjenigen singt der Rhein.

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