Ein Jahr Schulschließung„Riesenwut, wie man mit Familien und Kindern umgeht“

Lesezeit 4 Minuten
Mutter über Corona-Anstrengungen

Nele Flüchters Familie litt unter dem Lockdown im Frühjahr: „Irgendwann war alles nur noch furchtbar.“

  • Zwei Mütter berichten über ihre Erfahrungen nach einem Corona-Schuljahr.

„Wir standen einen Tag vor der Schließung mit anderen Eltern vor der Schule und haben noch überlegt, ob das alles tatsächlich sein kann, ob die Schulen wirklich dicht gemacht werden könnten – ich muss tatsächlich sagen, dass ich das nicht für möglich gehalten hätte. Es gab ja auch keine Vorwarnung.

Zu Beginn des Lockdowns waren wir alle noch relativ entspannt, auch weil wir dachten, dass es nicht so lange dauern würde. Ich bin selbst Pädagogin und unterrichte Berufsschüler, und musste an mindestens ein bis zwei Tagen in die Schule, während mein Mann mit den beiden Kindern zu Hause blieb.

Nach zwei Wochen bröckelte die gute Laune

Wir waren insgesamt viel zu Hause und wurden auch durch eine engagierte Lehrerin unterstützt, die sich bemühte, etwas auf die Beine zu stellen, doch nach zwei Wochen fing es an, dass die gute Laune bröckelte, auch weil wir nicht die Riesenwohnung haben. Die ganze Zeit zu Hause zu hocken, das wurde anstrengend, nicht nur, was Hausaufgaben und Schule betrifft – wir haben auch versucht, die Freizeit aktiver zu gestalten, mit Fahrradtouren, Basteln und was einem so einfällt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das hat uns im Endeffekt noch mehr unter Druck gesetzt, weil wir beide wahnsinnig viel auf der Arbeit zu tun hatten; und weil wir nicht als systemrelevant galten, hatten wir auch keinen Anspruch auf Notbetreuung. Das änderte sich erst, als ich mich ans Jugendamt gewendet habe mit dem Argument, dass hier Kindeswohlgefährdung vorliege, weil ich nicht parallel auf der Arbeit sein und meine Kinder betreuen kann. Das Amt hat mir dann die Tage in der Schule und der Kita verschafft, an denen ich nicht im Homeoffice gearbeitet habe.

Einige Tage musste ich im Bett verbringen, weil ich fix und fertig war

Ich habe auch so etwas wie Depression verspürt – einige Tage musste ich im Bett verbringen, weil ich fix und fertig war -, weitaus größer aber ist die Wut, die ich mittlerweile verspüre. Es ist eine Riesenwut darüber, wie man mit Familien und speziell Kindern umgeht. Sie richtet sich gegen die Politik, die billigend in Kauf nimmt, was an Schulbildung verloren geht, dass Kindeswohlgefährdung stattfindet – die in Kauf nimmt, dass es den Eltern schlecht geht, was zur Konsequenz hat, dass es den Kindern auch nicht gutgeht. Dass eine Familienministerin sagen konnte, es sei kein Problem Homeoffice und Kinderbetreuung zu vereinbaren, hat mich zur Verzweiflung getrieben.“

Nele Flüchter, 39 Jahre, Düsseldorf

„Wir haben versucht, nicht in die totale Isolation abzurutschen“

„Mein Mann arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, ich bin Sozialarbeiterin und begleite aktuell elf Familien. Wir waren zum Glück systemrelevant mit unseren Jobs, meine vierjährige Tochter konnte also in den Kindergarten gehen. Ein gutes Gefühl hatte ich dabei nicht immer.

Ich habe zwei über 80-jährige Omas, die von meinen Eltern betreut werden. Eigentlich holen meine Eltern unsere Tochter einmal in der Woche ab. Das ging ja seit Pandemiebeginn nicht mehr. Diese fehlende Entlastung haben wir deutlich gespürt, das war schon anstrengend.

Rund um die Uhr bespaßt

Vor allem für unsere Tochter war es eine Umstellung. Immerhin mit der Tochter eines befreundeten Paars konnte sie sich treffen. Ansonsten haben wir sie rund um die Uhr bespaßt. Wir haben Kresse gezogen, gemalt, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Ich hatte viele Teepartys mit meiner Tochter und ihren Puppen und Teddys.

Im zweiten Lockdown haben wir entschieden, unsere Tochter von zu Hause zu betreuen. Wir wollten sie nicht mehr gefährden als nötig. Bisher kommt sie gut durch die Krise. Aber sie merkt, dass Sachen, die vorher möglich waren, jetzt nicht mehr gehen. Wenn sie sich was wünscht, und ich ihr sage, dass das nicht geht, sagt sie jetzt immer: Wegen Corona, ne? Dieser Moment ist nicht schön.

Per Videokonferenz gespielt

Wir haben versucht, nicht in die totale Isolation abzurutschen, waren viel im Wald und haben im Garten gewerkelt. Mit ihrer Kindergartenfreundin hat unsere Tochter per Videokonferenz gespielt, sie haben ihr Spielzeug einfach in die Kamera gehalten.

Bei meiner Arbeit erlebe ich jetzt immer wieder Kinder, die überhaupt keine Reize mehr erleben, bei denen offensichtlich die Entwicklung stagniert. Da können Fünfjährige plötzlich nicht mehr anständig sprechen. Diese Kinder wollen mit vollster Seele wieder zurück in den Kindergarten.

Viele Schulkinder quälen sich durchs Homeschooling. Bei manchen Familien läuft es bombastisch gut, andere schaffen das Pensum überhaupt nicht. Manchmal knallt es auch zu Hause. Vor allem, wenn die ganze Familie aufeinander hockt, nehmen die Konflikte zu.

Aus einer solchen Krise entspringt aber mitunter auch was Gutes. Sich die Zeit zu nehmen und intensiv mit dem Kind zu beschäftigen, ist sonst nicht immer möglich. Sowohl letztes Jahr als auch jetzt im Lockdown hatten wir dadurch eine wertvolle Zeit. Aber ich weiß auch, wie privilegiert wir sind, dass ich das so sagen kann.“

Anne Becker, 38 Jahre, Wuppertal

KStA abonnieren