Eskalierende DemosSo aufgeheizt ist die Stimmung zwischen Kurden und Türken in NRW

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Herne Demo Kurden dpa 231019

In Herne musste die Polizei eine Schlägerei beenden.

  • Der Nordsyrien-Konflikt trifft in Form von Großdemonstrationen auch NRW.
  • Dabei kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken.
  • Auch die rechtsextreme Szene mischt sich unter die Demonstranten – und stichelt zusätzlich an.

Herne/Düsseldorf – Montagabend in Herne, dokumentiert in einem Handy-Video: Ein Polizist zielt mit seiner Waffe auf eine Gruppe Männer, die vor einem türkischen Café stehen. Laut droht er den Gästen der Teestube: „Keinen Schritt näher, sonst knalle ich euch alle ab.“ Derweil zieht auch ein zweiter Kollege seine Pistole, um sich Angreifer vom Leib zu halten, wie ein weiterer Clip zeigt. Es ist der dramatische Höhepunkt einer Straßenschlacht zwischen Kurden und Türken, an der sich auf beiden Seiten jeweils 60 Personen beteiligen. Dramatischer, als das polizeiliche Bulletin die Ereignisse später schildern wird.

Gebrüll ist auf dem Video zu hören, das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ansehen konnte. Kurdische Demonstranten wollen das Lokal angreifen. Holzlatten fliegen, einige Randalierer benutzen Baseballschläger, Ketten oder Messer. Vergeblich versuchen einige hoffnungslos unterlegene Polizisten die feindlichen Gruppen voneinander fernzuhalten. Die Beamten setzen Pfefferspray ein, einer von ihnen zückt seine Dienstwaffe, um sich zu schützen. Erst als nach einigen Minuten eine Einsatzhundertschaft eintrifft, enden die Ausschreitungen. Die Polizisten stellen unter anderem Schreckschusspistolen, Messer und Baseballschläger bei den Demonstranten sicher.

155 Protest-Veranstaltungen seit Beginn der Militär-Offensive

Binnen einer Woche ist die türkische Teestube zum zweiten Mal attackiert geworden. Ausgangspunkt ist laut Polizei ein kurdisches Café, das nur hundert Meter weit entfernt liegt. Die neuerliche militärische Offensive des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen die kurdischen Milizen der YPG in Nordsyrien heizt die Konflikte gerade in NRW seit Wochen an. Beinahe täglich beharken sich Kurden und türkische Nationalisten. Allein zwischen dem Beginn der Militäroffensive am 7. Oktober bis zum 22. Oktober zählte das NRW-Innenministerium 155 Kundgebungen und Protestmärsche. Versammlungen von bis zu 10 000 Demonstranten, die mitunter in Gewalt mündeten. 50-Jähriger niedergestochen

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Bei einer Demo durch Mönchengladbach lieferten sich Jugendliche mit einer Gruppe Kurden eine Schlägerei. In Dortmund verbrannten Demonstranten türkische Fahnen, immer wieder skandierten die Protestler den Schlachtruf der hierzulande verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK oder zeigten deren Fahnen und Symbole. In Bielefeld wurden bei einem Aufzug durch Vermummte Leuchtraketen gezündet. Bei Festnahmen erlitten drei Polizisten leichte Blessuren. In Lüdenscheid stach ein unbekannter Täter während einer Mahnwache einem 50-jährigen gebürtigen Türken in den Rücken. Das Opfer überlebte schwer verletzt.

Attacken mit Knüppeln, Messern und Holzlatten

In Herne eskalierte die Situation erstmals am 14. Oktober. Zunächst zogen 350 kurdische Demonstranten durch die Innenstadt. In den Abendstunden wurde ein türkischer Kiosk gestürmt. Sieben Tage später, am Montag dieser Woche, wiederholten sich die Krawalle. Dieses Mal kamen Holzlatten, manche davon mit Nägeln „aufgerüstet“, Knüppel und Messer zum Einsatz.

Und auch die gezogenen Dienstwaffen bestätigt ein Behördensprecher auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Es stimmt, dass zwei Beamte ihre Waffe gezogen haben. Offenbar geschah dies aus Gründen der Eigensicherung. Es war eine höchst brenzlige Situation.“ Der Ausspruch eines Kollegen, „sonst knalle ich euch alle ab“, sei ihm nicht bekannt, sagte der Sprecher. Dies werde jetzt aber recherchiert.

NRW-Sicherheitsbehörden fürchten, dass die Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden angesichts des Krieges in Syrien weiter eskalieren. „Das aktuelle Ereignis besitzt ein hohes Emotionalisierungs- und Mobilisierungspotenzial“, heißt es in einer neuen Analyse. „Mögliche Straftaten zum Nachteil von türkischen Kulturvereinen und Einrichtungen können nicht ausgeschlossen werden.“

Zugleich stellen die NRW-Verfassungsschützer fest, dass auch die türkische Gegenseite mobil macht. „Unter den Teilnehmern von Gegenaktionen gegen kurdisch geprägte Versammlungen finden sich auch Anhänger der rechtsextremistischen Grauen Wölfe“, stellen die Analytiker fest. Bislang habe es sich bei den Aktionen aber nur um spontane Zusammenkünfte gehandelt. Demnach provozieren „Graue Wölfe“ als auch nationalistische Türken mit dem sogenannten „Wolfsgruß“ ihr Gegenüber. „Die kurdischen Versammlungsteilnehmer reagieren ihrerseits auf dieses Zeichen hoch emotional. Die verfeindeten Gruppen tragen ihre Konflikte offen auf der Straße aus“, so das Fazit der Verfassungsschützer.

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