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40 Prozent vermelden mehr KundenTafeln in Euskirchen registrieren enormen Zulauf

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Bei der Euskirchener Tafel stehen die Kunden Schlange. Die Nachfrage ist auch in der Kreisstadt gestiegen.

Bei der Euskirchener Tafel stehen die Kunden Schlange. Die Nachfrage ist auch in der Kreisstadt gestiegen.

Kreis Euskirchen – 13 Uhr, Gottlieb-Daimler-Straße in Euskirchen. Die Regale der Tafel sind gefüllt, die Taschen der Kunden leer. Nach einer Stunde wird es umgekehrt sein. Etwa 50 Meter lang ist die Schlange der Wartenden. Auf der Fläche vor der Lebensmittelausgabe stehen gut ein Dutzend weitere Menschen. Der Bedarf ist groß – und wird seit einem Jahr ständig größer. „Es kommen immer mehr, wir verzeichnen stetig Neuanmeldung. Bis zum Sommer wird sich der Trend bestimmt fortsetzen“, sagt Heidemarie Purwin-Görgen, Vorsitzende der Euskirchener Tafel.

Die Kreisstadt ist kein Einzelfall. Auch in Kall, Mechernich und Bad Münstereifel verzeichnen die Verantwortlichen mehr Kunden. „Ob es bei uns wirklich mehr Bedürftige durch die Corona-Pandemie gibt oder andere Umstände dafür verantwortlich sind, kann ich nicht sagen“, sagt Peter Eppelt, Vorsitzender der Zülpicher Tafel. Es könne ja auch sein, dass nun jemand die Zeit habe, beispielsweise wegen Kurzarbeit, vormittags das Angebot der Lebensmittelausgabe in Anspruch zu nehmen, so Eppelt. Auch vor der Corona-Pandemie habe es immer wieder Wellenbewegungen gegeben.

„40 Prozent der Tafeln in NRW haben mehr Kunden seit der Corona-Pandemie“, erklärt Wolfgang Weilerswist, der nicht nur Chef der Mechernicher Tafel ist, sondern auch den NRW-Landesverband der Tafeln leitet. Weitere 40 Prozent verzeichneten einen gleichbleibenden Kundenstamm, bei 20 Prozent sei er geschrumpft. In Mechernich seien es mehr Menschen, die dienstags und freitags, jeweils zwischen 11 und 13 Uhr, zur Tafel kommen. „Die Kurzarbeit schlägt hier auf dem Land natürlich auch zu. Die meisten neuen Kunden leiden unter der Kurzarbeit“, so Weilerswist.

Zuletzt musste die Mechernicher Tafel geschlossen bleiben. Eine Helferin hatte sich nach Weilerswists Angaben mit Corona infiziert. Um auf Nummer sicher zu gehen, habe man die ehrenamtliche Arbeit kurzzeitig ruhen lassen. „Wir haben uns unheimlich angestrengt, die Hygiene-Konzepte zu installieren“, sagt Weilerswist. So gebe es nicht nur die mittlerweile obligatorischen Spukschutze und Desinfektionsspender, sondern auch ein Fieberthermometer am Eingang.

An Helfern mangelt es nicht

In Mechernich habe man den Ehrenamtlern freigestellt, ob sie die Einrichtung während der Corona-Pandemie weiterhin mehrfach pro Woche unterstützen. „An Unterstützern hat es uns glücklicherweise nie gemangelt“, sagt Weilerswist.

Auch in Zülpich und Euskirchen, so heißt es dort, sei das Team genauso engagiert wie vor der Pandemie. „Wir haben zwar etliche Mitarbeiter, die zur Risikogruppe gehören und deshalb etwas weniger gemacht haben, aber wir haben auch zahlreiche neue Ehrenamtler gewonnen“, sagt der Zülpicher Tafelchef Eppelt.

So fahre ein Ehepaar, das normalerweise im Veranstaltungsbereich tätig ist, mehrmals pro Woche die Lebensmittel zur Tafel an der Industriestraße. „In der ersten Welle der Pandemie haben sie uns gerettet“, so Eppelt, der sich auch auf andere Mitarbeiter verlassen konnte. Man habe etwa für die Lebensmittelausgabe Spuckschutze gebaut. Das Rolltor im Bereich der Anlieferung sei durch eine Holztür ersetzt worden, damit man das in der Corona-Pandemie etablierte Einbahnstraßenkonzept umsetzen könne.

„Leider leidet das Soziale“

Anders als beispielsweise in Euskirchen können die Tafel-Kunden in Zülpich auch wieder nach Kleidung schauen. Die Second-Hand-Artikel hängen an Kleiderständern – vom T-Shirt bis zum Abendkleid. „Wir verkaufen die Sachen zu Trödelmarktpreisen und füllen damit die Vereinskasse ein klein wenig auf“, erzählt Eppelt. Eine Zeit lang habe man wegen Corona darauf verzichtet, diesen Bereich im Gebäude zu öffnen.

In Zülpich werden die Kunden per digitaler Anzeigentafel aufgerufen. In Euskirchen übernimmt das die Mitarbeiterin mit der lautesten Stimme. In der Kreisstadt werden die Taschen und Einkauftrolleys von den Tafelmitarbeitern mit Lebensmitteln gefüllt und wieder herausgegeben. Der Grund: In dem Gebäude an der Gottlieb-Daimler-Straße ist kein Einbahnstraßenprinzip möglich.

„Leider leidet das Soziale“, sagt Eppelt: Auf Smalltalk werde grundsätzlich verzichtet, um die Aufenthaltszeit in der Tafel zu minimieren. In Euskirchen laufen die Gespräche während der Wartezeit mit Abstand. „Ohne die Tafel wüsste ich manchmal nicht, wie ich über die Runden kommen sollte“, sagt ein Kunde. Er sei dankbar, dass es ein solches Angebot gebe – und es auch in der Pandemie nutzbar sei.

Hohe Werte, kleiner Raum – Kaller Tafel ist geschlossen

Seit zwei Wochen ist die Kaller Tafel geschlossen. Dabei wird es nach Angaben von Helmut Schmidt, dem stellvertretenden Vorsitzenden, vermutlich auch noch bis Ende des Monats bleiben. Grund seien die hohen Ansteckungszahlen in der Eifel, so Schmidt.

In der alten Schule an der Aachener Straße sei es nicht möglich, ein Einbahnstraßensystem zu installieren. Zudem seien die Räumlichkeiten mit 60 Quadratmetern so klein, dass sich ohnehin nicht mehr als vier Personen – zwei Tafel-Mitarbeiter und zwei Kunden – gleichzeitig im Ausgaberaum aufhalten dürften. „Wir verzeichnen steigende Zahlen bei den Kunden“, berichtet Karin Osman, ebenfalls Vizevorsitzende. Daher habe man es sich mit der Entscheidung nicht leicht gemacht. Wegen der Corona-Zahlen sei aber keine andere Entscheidung möglich gewesen.

Wie bei allen Tafeln sind in Kall folgende Menschen berechtigt, Hilfe in Anspruch zu nehmen: Empfänger von Arbeitslosengeld, einer geringen Rente oder eines geringen Einkommens, Hartz-IV-Empfänger, Asylbewerber und Menschen, die Sozialhilfe oder Wohngeld beziehen. Darüber ist ein amtlicher Nachweis erforderlich.

Wie begrenzt die finanziellen Mittel für einkommensschwache Menschen sind, zeigt ein Blick auf den Hartz-IV-Regelsatz für 2021. Er sieht für Alleinstehende monatlich 446 Euro vor. Der vorgesehene Anteil am Regelbedarf für Nahrung und alkoholfreie Getränke liegt bei 34,70 Prozent. Das entspricht 154,78 Euro im Monat. Umgerechnet bedeutet das: Beziehern von Arbeitslosengeld II stehen für ihre Ernährung durchschnittlich 5,09 Euro am Tag zur Verfügung.

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In der Euskirchener Tafel wurden nach Angaben der Vorsitzenden Heidemarie Purwin-Görgen im vergangenen Jahr etwa 12 500 Kunden registriert. Um sie zu unterstützen, wurden mehr als 200 Tonnen Lebensmittel ausgegeben. Die Fahrzeuge der Euskirchener Tafel legten 15 000 Kilometer zurück, um die Waren einzusammeln.

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