Analyse zur Landratswahl im Kreis EuskirchenFast hätte die SPD das Jubeln verlernt

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18.40 Uhr im Euskirchener Casino: Er hat es geschafft. Markus Ramers betritt den Saal und lässt sich feiern.

18.40 Uhr im Euskirchener Casino: Er hat es geschafft. Markus Ramers betritt den Saal und lässt sich feiern.

Kreis Euskirchen – Zu behaupten, dass die SPD-Mitglieder an diesem Sonntagabend sofort in einen endlosen Jubel ausbrechen, wäre falsch. Als Markus Ramers mit Ehefrau Nadine gegen 18.40 Uhr die Wahlparty der Genossen im Euskirchener Casino betritt, kommt nur kurzzeitig Begeisterung auf. Dabei sprechen die an die Wand gebeamten Balken doch eine deutliche Sprache: 60,4 Prozent für Ramers, 39,6 für Johannes Winckler (CDU). Ramers hat in allen elf Kommunen gewonnen.

Erstmals wird ein Sozialdemokrat Landrat im Kreis Euskirchen. Einige ältere Genossen verkneifen sich Tränchen. Jahrzehntelang hatten sie davon nicht mal zu träumen gewagt. Doch jetzt steht er vor ihnen: ein 33-jähriger Mann aus Freilingen, der vor sieben Jahren die Führung ihrer alten Tante SPD im Kreis übernahm. Noch ist er Lehrer, der an diesem Montag seinem Leistungskurs eine Mathe-Klausur vorlegt. In wenigen Wochen ist er Chef von 1300 Mitarbeitern in der Kreisverwaltung und bei der Polizei. Erster Bürger im Kreis Euskirchen.

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Einer, der 17 Monaten zuvor kundtut, Landrat werden zu wollen, im Oktober 2019 von seiner Partei offiziell nominiert wird und ihr einen Wahlkampf verspricht, „wie ihn der Kreis Euskirchen noch nicht gesehen hat“. Den gibt es dann auch. Wegen Corona, aber nicht nur wegen Corona. Auch wenn die CDU etwas früher ihren Kandidaten nach einem engen innerparteilichen Rennen im September 2019 auf den Schild hebt, ist Ramers längst auf Wahlkampf programmiert. Er startet wenig später seine Tour durch die 294 Orte im Kreis, lädt in die Kneipen zu Freibier und Talk ein und stellt sich unentwegt Verbänden, Künstlern und Sportlern vor.

Die SPD? Wahlsieg? 

Und nun steht er hier im Casino, wird gefeiert und verliert den Kampf gegen die Tränen. Eine Umarmung mit Mutter Rita, dann mit seinem Vize als SPD-Kreisparteichef, Thilo Waasem. Immer noch kein riesiger Jubel, kein Gesang. Stattdessen ungläubiges Staunen. „Wir haben eine Wahl gewonnen“, wiederholt Waasem immer wieder. Die SPD? Wahlsieg? Wie lange ist das her? Und das im Kreis Euskirchen! „Ich zitter’ am ganzen Körper“, stammelt Waasem ins Mikro. Spricht von einem „historischen Ergebnis“. Irgendwer ruft: „Megageil.“

Dann spricht Ramers, dankt seiner Frau, seinen Eltern und den vielen Helfern – längst nicht alles SPD-Mitglieder –, die noch am Sonntagmorgen 8000 Brötchen vor viele Haustüren gelegt haben – samt Ramers-Broschüre.

Tristesse im CDU-Fraktionszimmer

Gut 800 Meter Luftlinie weiter Tristesse im CDU-Fraktionszimmer im Kreishaus. Lange Gesichter durch die Bank: Parteichef Detlef Seif, dem an diesem Abend in seine Bilanz geschrieben wird, dass nach seiner bisher elfjährigen Amtszeit ein Sozialdemokrat im Landratsbüro Platz nehmen darf, in jenem Zimmer also, das bis 2009, als die CDU Günter Rosenke abzuservieren versucht, fest in CDU-Hand ist. Daneben Fraktionschefin Ute Stolz und weitere Fraktionsmitglieder. Menschgewordene Fragezeichen. Und natürlich Johannes Winckler.

Dass es nach der Wahl von vor zwei Wochen schwierig werden würde, ist klar gewesen. Er hat gekämpft, jeden Tag, zunächst neben seinem Job als Erster Beigeordneter der Stadt Euskirchen, für die letzten Meter hat er sich dann Urlaub genommen. Lag’s an mangelnder Unterstützung der CDU? Wurden Fehler gemacht? „Die Partei hat mich gut unterstützt“, antwortet der 49-Jährige. Winckler bleibt Winckler. Auch in dieser schweren Stunde. Politische Ränkespiele sind nicht sein Ding. Die Schuld auf andere zu schieben, schon gar nicht. Nur so viel: „Der Wahlkampf muss natürlich aufgearbeitet werden.“

So hat es auch geklungen bei Manfred Poth, als der 2015 als CDU-Landratskandidat gegen Günter Rosenke verloren hat – fast mit haargenau demselben Ergebnis: 40 zu 60. Was wird nun aus Winckler? Seine Amtszeit als Beigeordneter läuft bald aus. Einen Plan B habe er nicht, sagt er. Er lasse das jetzt auf sich zukommen. Kreisdirektor wolle er aber nicht werden, stellt er fest.

Glückwünsche von Landrat Rosenke

Was aus Ramers wird, ist nun klar. Mit etwa 20 Anhängern im Schlepptau klopft er an die Tür jenes Gebäudes, dessen Hausherr er bald sein wird. Er begrüßt künftige Mitarbeiter, den Pressesprecher, Angestellte, Rosenkes Fahrer und nimmt die Glückwünsche Wincklers entgegen. Beide bedanken sich gegenseitig für einen fairen Wahlkampf. Landrat Rosenke beglückwünscht als Wahlleiter den Sieger. „Sie übernehmen einen tolles Haus“, sagt Rosenke. Ramers nickt.

Am 4. November wird er in sein Amt eingeführt – vor einem Kreistag, in dem er keine Mehrheit hinter sich hat, sollten CDU, FDP und UWV ihre Absichtserklärung für eine Art Koalition mit Leben erfüllen – mit dann 28 zu 27 Stimmen. Landratsstimme ist nun SPD-Stimme. Eine Stimme über dem Durst ist nicht viel. Was, wenn die Mehrheit in wichtigen Sachfragen nicht hält? Was, wenn eine Mehrheit bei Abstimmungen nur mit AfD-Stimmen zustande kommt? Thüringen lässt grüßen.

Mit den Grünen verdorben

Mit den Grünen hat es sich die CDU erstmal verdorben, als sie ihre mögliche Zusammenarbeit mit FDP und UWV bekannt gegeben hat, während die Grünen zeitgleich, davon nichts ahnend, eine Unterstützung Ramers’ absagen – ein Beschluss, den die Grünen-Spitze aus Verärgerung keine 20 Stunden später wieder eingefangen hat. Fraktionschefin Stolz stehen schwierige Zeiten bevor.

Ramers, schon ganz Landrat, hält sich offiziell raus: „Das ist Sache der Fraktionen.“ Dennoch erinnert er alle daran, „dass es unser aller Ziel sein muss, den Kreis nach vorne zu bringen“.

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