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Ausbildungssituation leidet unter Corona-KriseAzubis in der Warteschleife

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Das Team des Elektro- und Fotovoltaik-Spezialisten Oliver Oepen, hier Stefan Lanzerath, wird weiter ausbilden.

Das Team des Elektro- und Fotovoltaik-Spezialisten Oliver Oepen, hier Stefan Lanzerath, wird weiter ausbilden.

Kreis Euskirchen – Hermann Kettner hat sich entschieden: Nach mehr als 30 Jahren wird es in diesem Jahr keinen neuen Auszubildenden in seinem Betrieb geben. Der Grund ist die angespannte finanzielle Situation, mit der die Familie Kettner als Betreiber des Restaurants im Schloss Schleiden wie zahlreiche Kollegen in der Gastronomie-Branche derzeit zu kämpfen hat.

Leere Tische wegen der Corona-Schutzbestimmungen sorgen seit Wochen für eine leere Kasse. Da kann die Bezahlung eines Lehrlings durchaus zum Problem werden.

Lohn für Azubis nur schwer aufzubringen

„Seit Januar waren die Einnahmen rückläufig, dann war komplett geschlossen“, erläutert Chefkoch Kettner: „Auszubildende kosten Geld – mehr als mancher denken mag.“ Unter den aktuellen Voraussetzungen sei der Lohn von rund 750 Euro für einen Auszubildenden im ersten Lehrjahr kaum aufzubringen, so Kettner: „Und einen Auszubildenden kann man nicht einfach in Kurzarbeit schicken. Das geht nicht.“ Mit sechs bis acht Kräften werde das Restaurant im Normalfall betrieben, vier davon seien Festangestellte.

171 Beratungen weniger

Im bisherigen Beratungsjahr wurden 887 Jugendliche durch die Ausbildungsvermittlung der Arbeitsagentur bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützt, berichtet Nicole Cuvelier, Pressesprecherin der Arbeitsagentur Brühl. Das seien 171 oder 16,2 Prozent weniger Jugendliche als im Vorjahr.

Ausbildungsstellen seien vorhanden, sagt Cuvelier: „Im Zeitraum Oktober 2019 bis April 2020 wurden dem Arbeitgeberservice von Arbeitsagentur und Jobcenter 690 Ausbildungsstellen gemeldet. Das sind 28 Stellen mehr als im Vorjahr.“ Zu den beliebtesten Ausbildungen zählt laut Cuvelier der Einzelhandelskaufmann. Kurios: Trotz der Beliebtheit seien aktuell 43 Stellen in diesem Ausbildungszweig unbesetzt. So viel wie bei keinem anderen. (tom)

Seine Entscheidung überdenken und einen Lehrling einstellen, will der gebürtige Bayer auch trotz der Lockerungen nicht: „Es läuft ja alles auf Sparflamme. Wir werden maximal 30 bis 50 Prozent des normalen Umsatzes haben.“ Zudem sei auch die Anzahl der Bewerber für die Ausbildungsstellen zum Restaurantfachmann und Koch rückläufig. Das gehe allerdings nicht allein auf das Konto der Pandemie, sondern sei eine Entwicklung, die seit Jahren zu beobachten sei, so Kettner: „Aber es gibt auch junge motivierte Leute, die hier spitzenmäßig arbeiten.“

Drei Auszubildende hat der Koch zeitweise gleichzeitig im Betrieb. Einen in jedem Lehrjahr. Übernehmen kann und will er diese grundsätzlich nicht alle: „Nach drei Jahren hat man nicht ausgelernt. Die jungen Leute sollten eigentlich gehen und Neues lernen.“

Entscheidung bei vielen Unternehmen vertagt

Er sei seit mehr als 50 Jahren im Beruf. Dass ausgerechnet dieses Jahr die Ausbildung wegfällt, findet er schade. Junge Menschen anzulernen, sei mehr als ein Job für ihn. „Es wäre der letzte Auszubildende für mich gewesen“, bedauert der 67-Jährige.

Nach Angaben von Nicole Cuvelier, Pressesprecherin der Brühler Agentur für Arbeit, ist das Schleidener Beispiel noch ein Einzelfall. Die Corona-Krise werde sich aber auch auf dem Ausbildungsmarkt bemerkbar machen: „Viele Unternehmen sind derzeit damit beschäftigt, ihre Existenz zu sichern, und reagieren bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen verhalten. Viele haben Entscheidungen zur Ausbildung erst einmal auf Mai oder Juni vertagt.“

Verzicht auf Begrüßung bei den Einstellungsgesprächen

Oliver Oepen wird ausbilden. „Wir haben bereits mit zwei Azubis einen Vertrag geschlossen“, sagt Oepen, der in Euskirchen einen Betrieb rund um Fotovoltaik und Elektrotechnik leitet. Den Nachwuchs habe er bereits vor der Corona-Pandemie gefunden: „Sie haben bei uns ein Praktikum gemacht und so den Beruf kennengelernt. Auf der anderen Seite haben wir ihre Arbeit zu schätzen gelernt und wussten, dass wir nichts falsch machen werden.“

Auch bei Papstar in Kall wird trotz Pandemie und deren Begleiterscheinungen ausgebildet. 31 Lehrlinge gibt es momentan im Werk. Die Bewerbungsgespräche für die neuen Stellen laufen derzeit bei dem Unternehmen allerdings unter besonderen Bedingungen ab, wie Geschäftsführer Hubertus Kantelberg erläutert. In Absprache mit dem Gesundheitsamt habe Papstar ein komplettes HACCP-Konzept, also ein Verfahren zur Gefahrenanalyse, für die Verwaltung und das Lager erarbeitet. Mit einem Abstand von zwei Metern sowie dem Verzicht auf die Begrüßung und die Verabschiedung setze die GmbH die Vorgaben bei den Einstellungsgesprächen um, so Kantelberg.

Der gewerbliche Bereich sucht noch

„Wir haben bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie einen Teil unserer Ausbildungsplätze besetzt. Im gewerblichen Bereich sind wir derzeit noch auf der Suche nach Auszubildenden“, beschreibt der Geschäftsführer die Situation.

Im kaufmännischen Sektor gebe es generell noch Bewerber, im Bereich Lager/Logistik habe der Kaller Betrieb seit Jahren zunehmend Schwierigkeiten, Auszubildende zu finden. „Für dieses Jahr sind wir noch gut aufgestellt. Wie es 2021 sein wird, muss sich erst noch zeigen“, sagt Kantelberg.

AXA sucht noch

Bei Claus Decker, AXA-Versicherungsexperte aus Euskirchen, ist man noch auf der Suche nach einem Azubi. „Normalerweise führen wir von Februar bis April zahlreiche Bewerbungsgespräche“, sagt Roman Kutsch, der bei der AXA-Agentur Decker für Kommunikation und Medien zuständig ist. Bisher hielten sich die Vorstellungsgespräche in Grenzen – auch, weil die Abi-Prüfungen wegen der Corona-Pandemie nach hinten verschoben worden seien.

„Ich kann mir vorstellen, dass die Situation für die kommende Abiturientia von Ungewissheit geprägt ist, was der Bewerberzahl natürlich auch nicht gerade zugute kommt“, so Kutsch.

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Gerne nutzen Unternehmen und Jugendliche die diversen Ausbildungsbörsen im Kreis. Die wurden wegen Corona jedoch abgesagt. „Wenn wir derzeit leider nicht physisch an den Schulen präsent sind, so sind wir jedoch weiterhin für die Schüler erreichbar und beraten alle Bewerber“, sagt Cuvelier von der Arbeitsagentur: „ Wir haben extra eine Hotline geschaltet, unter der uns Jugendliche sowie deren Eltern erreichen können.“

www.arbeitsagentur.de

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