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Karneval in Zeiten des KriegsDie Bittgang-Tradition in Dahlem wiederbelebt

Lesezeit 5 Minuten
Alaaf an alle, die Zuhause blieben: Erwin und Dorothea Rütz (links) und die Bittgang-Gruppe aus Eltern und Kindern.

Alaaf an alle, die Zuhause blieben: Erwin und Dorothea Rütz (links) und die Bittgang-Gruppe aus Eltern und Kindern.

Dahlem – „Dahlem Alaaf“ tönt es am Rosenmontag überraschend am Vereinshaus. Pünktlich um 14.11 Uhr startet auch in diesem Jahr der Zoch. Allerdings ist es ein Mini-Zoch. Eltern und Kinder klingeln an den Häusern und erbitten Süßes. Diesen alten Karnevalsbrauch haben die „Glorreichen“ wiederbelebt.

Was für ein Name! Doch zum Karneval gehört die Persiflage. Was sich vielleicht nach einer wilden Freibeuter- oder Piratenhorde anhört – in Dahlem ist es ursprünglich eine Männerclique gewesen, die seit 1993 mitsamt Ehefrauen und Freundinnen im Zoch dabei ist.

In diesem Jahr gibt es keinen Zoch – doch Bianca Klinkhammer, Ramona Weyres und Nicole Lennartz lassen sich deshalb den Karneval nicht verbieten. „Wir wollen den alten Brauch des Hausbesuchs von Kindern an Rosenmontag wiederbeleben“, so Klinkhammer. Einst ist es auch in Dahlem wie in vielen Eifeldörfern üblich gewesen, dass die kleinen Jecken um Süßes bitten und manchmal auch kleine Geldgeschenke erhalten. Irgendwann ist das Brauchtum allerdings auch in Dahlem ausgestorben.

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Kriegsthema ausgespart

„Wir haben damals als Kinder zum Beispiel immer an den Haustüren ,Unsere Oma fährt im Hühnerstall Motorrad’ gesungen“, so Klinkhammer. Gerade in diesen Zeiten, sagt sie, wollen die Glorreichen die Tradition wiederbeleben. So hat sie die Aktion für die Dahlemer in den sozialen Medien publik gemacht, wo zahlreiche Gleichgesinnte sich ebenfalls an ihre Kinderzeit erinnerten – oder sogar auf den immer noch lebendigen Brauch in ihrem Dorf verweisen können.

Spontane Aktionen

Die Geister waren los

In Blankenheim lassen sich die Geister ihren Geisterzoch weder von Corona   noch vom Krieg in der Ukraine verbieten. Trotz offizieller Absage zogen am Karnevalssamstag zunächst an die 50 Geister los. Zum Schluss waren es nach Schätzungen des KV Blankenheim sogar an die 130, die die Ahrstraße hinauf und wieder hinunter sprangen.

Die Teilnehmer waren –  Geist muss schließlich Geist sein – in weiße Bettlaken gehüllt, weiß geschminkt, viele hatten Pechfackeln in den Händen. Es wurde zum Juh Jah des diesen improvisierten Geisterzoch anführenden Schelleböumche gesprungen. Ergänzend spielte die Kaisergarde am Platz vor dem Pfarrheim und in der Ortsmitte an „An dr Pump“ ein Ständchen.

„Wir hatten das alles mit der Gemeinde abgesprochen“, so KV-Schriftführer Stefan Leisen. Er zeigte sich für den KV über die Resonanz erfreut: „Das waren mehr, als wir erwartet hatten“. Sogar eine Hexe samt Reisigbesen und der Teufel – die Traditionsfiguren im Geisterzoch begleiten normalerweise den Prinzen in seiner Rolle als Obergeist –  hatte sich unter die Reihen der Geister gemischt. Und ebenso wie in vielen Vorjahren hatten zwei Anwohner an der Ahrstraße trotz Ukraine-Krieg und Corona ihre Häuser mit Geisterzoch-Figuren geschmückt. (sli)

Mini-Zoch in Dahlem

Ebenfalls in Dahlem war schon am Karnevalssonntag bei strahlendem Wetter ein weiterer Mini-Zoch durch die Gassen und Straßen des Ortes gezogen.  Die Karnevalsgesellschaft  hatte einen Wagen mit Anhänger organisiert, der Vorstand war mit dabei. Ebenso war eine Abordnung des Musikvereins Dahlem  mit von der Partie und wiederum auf einer Teilstrecke die Glorreichen.  (sli)

„Wir sind also keine Querdenker-Demonstration“, sagt Klinkhammer. Sie hat mit dem Dahlemer Trotzdem-aber-anders-Zoch ja auch Rückendeckung vom Festkomitee Kölner Karneval und der Friedendemonstration – Alaaf, give peace a Chance – bekommen. Auch aus der Eifel reisten deshalb Karnevalisten die Domstadt.

In Dahlem steht vor allem ein Bollerwagen bereit, gut gefüllt mit wärmendem Kakao in Thermoskannen für die Kinder. Und dann macht sich die bunte Gruppe auf den Weg. Den Kleinkindern unterwegs den Sinn der Aktion und den Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg erklären? Das Thema wird bewusst ausgespart, so haben es die Eltern zuvor abgesprochen. „Die Kinder sind dafür noch viel zu klein“, so Bianca Klinkhammer: „Sie würden es nicht verstehen. Und sie haben mit Corona in den beiden letzten Jahren schon genug mitgemacht.“

Für Edith Schweiss ist es eigentlich nichts Neues, als am Rosenmontagsnachmittag eine bunte Schar kleiner Bienen an ihrer Haustür klingelt. „Das haben wir als Kinder auch gemacht. Das hörte langsam auf, als in Dahlem der Rosenmontagszug begann“, sagt sie. Sie öffnet die Tür und eilt schnell zurück ins Haus. „Ich bin ein kleiner König, gebt mir nicht zu wenig…“, intonieren die Kinder, als Schweiss wieder da ist, die Hände voller Kamelle und anderer süßer Sachen mehr. Auch wenn aufgrund eines Coronafalls ihre Enkel ausgerechnet an diesem Tag nicht dabei sein können: Oma Schweiss zeigt sich großzügig. „Schön, dass die Tradition wieder auflebt“, freut sie sich.

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Das fängt für ein halbes Dutzend Kinder zwischen drei und zehn Jahren und fast ein Dutzend Erwachsene – die Glorreichen im Biene-Maja-Kostüm – schon an der ersten Adresse gut an. „Wir werden vermutlich eineinhalb bis zwei Stunden unterwegs sein“, so Klinkhammer. Und schon zieht der kleine Zoch ein Haus weiter zu Dorothea und Erwin Rütz. Das Ehepaar hat Sohn, Schwiegertochter und zwei Enkel in der bunten Gruppe dabei. Natürlich gibt es auch hier reichlich Süßes. Und auch Erwin Rütz erinnert sich an seine Kindheit, als er Liedchen singend von Haus zu Haus ging – aber auch zum Metzger oder Bäcker, wo es ein Stück Wurst oder Kuchenteilchen und Brötchen gab. Für die „Glorreichen“ ist die Aktion am Ende des Tages ein Erfolg.

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