Abo

Die Jahrtausend-KatastropheKreis Euskirchen zieht nach dem Hochwasser erste Bilanz

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt

An Tag 9 der Katastrophe zogen Landrat Markus Ramers (2.v.l.) und die Vertreter von Versorgungseinrichtungen, Bundeswehr und Gefahrenabwehr eine Zwischenbilanz.

Kreis Euskirchen – Mindestens 26 Menschen, die wegen der Fluten ihr Leben verloren haben, laut Polizei noch zwei vermisste Personen sowie zahlreiche verlorene Existenzen, eine unglaubliche Zerstörung von Häusern, Brücken und Straßen, die bisher weder vollständig erfasst noch beziffert werden kann. „Es ist eine Jahrtausend-Katastrophe“, sagte Landrat Markus Ramers (SPD) am Donnerstag in einer Pressekonferenz. Seit Donnerstag vergangener Woche, 4.06 Uhr, befinde sich der Kreis in einem festgestellten Katastrophenfall.

Noch immer sind Gas-, Strom- und Wasserversorgung an manchen Stellen nicht vorhanden oder eingeschränkt. Die Versorger sind selbst betroffen. Auch wenn die Menschen noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt seien und der Wiederaufbau, der Jahre dauern werde, noch gar nicht begonnen habe, stellte Ramers fest: „Ich glaube, wir werden manche Orte nicht mehr so wieder erleben, wie sie waren. Es wird nicht wieder so werden, wie es vorher war. Diese Botschaft tut weh, weil es sich um sehr liebenswerte Orte handelt.“

Alle Kommunen sind betroffen

Alle Kommunen des Kreises seien betroffen, wenn auch nicht im gleichem Ausmaß, so Ramers: „Man fährt durch Dörfer und fühlt sich wie in einer Urlaubsregion und zwei Kilometer weiter sieht es aus wie in einem Kriegsgebiet.“ Das sei sehr verstörend. Wenn etwas Mut mache, dann die Hilfe vieler Menschen und der Organisationen: „Es ist ein tolles Zusammenwirken.“ Ramers dankte allen, die sich daran beteiligten.

Alles zum Thema Deutscher Wetterdienst

Offen sei noch, wie die Orte wieder aufgebaut werden, die am Wasser liegen. Zunächst müssten Lösungen für die Menschen gefunden werden, die ihre Wohnstätte verloren haben. „Wir hatten schon vor der Hochwasserkatastrophe ein Problem auf dem Wohnungsmarkt“, so Ramers. Ein Überblick:

Die Steinbachtalsperre

Das Bangen geht weiter. Markus Böhme, Geschäftsführer der e-regio, die für den Wasserversorgungsverband Euskirchen-Swisttal die Talsperre technisch betreibt, erklärte mit Blick auf die fürs kommende Wochenende vorhergesagten Regenfälle: „Wenn nicht nochmal ein Regenereignis auftritt wie in der vergangenen Woche, kriegen wir das mit Grundablass und Pumpen hin.“

Daher sei das Wasser auch komplett abgelassen worden. „Es ist also ein gewisses Stauvolumen da“, so Böhme. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiere, sei gering.

Tagelang blickte das Land mit Bangen auf die Talsperre. Die Folgen eines Dammbruchs – schlicht unvorstellbar. Ebenso wie zuvor ein Übertritt von Wasser über die Krone – auch in allen Berechnungen für Sicherheitsvorkehrungen war das nicht vorgesehen. „Das gab es theoretisch nicht“, so Böhme. Doch diese Berechnungen, so Böhmes Fazit an Tag 9 der Katastrophe, reichten nicht mehr aus. Rasch sollen erste, weitere Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen werden, erste Schutzeinrichtungen sollen in etwa 14 Tagen angebracht sein.

Die Einsatzkräfte

1500 Rettungskräfte waren laut Kreisbrandmeister Peter Jonas in den ersten Stunden der Flut im Einsatz, an den folgenden Tagen mindestens 2500. Die Einsätze waren gefährlich: So kenterten Einsatzkräfte mit einem Rettungsboot in Schweinheim. „Doch die Kameraden konnten sich retten“, sagte Jonas erleichtert. Die Tätigkeiten der Feuerwehren werden inzwischen weniger, dafür treten nun andere Organisationen in den Vordergrund, etwa die Bundeswehr mit schweren Gerät.

Die Bedingungen in der Flutnacht waren schwierig, so Jonas. Ziemlich früh war die Kommunikation zusammengebrochen. Im Kreiskrankenhaus Mechernich drohte der Keller vollzulaufen, in dem sich Teile der Energieversorgung des Hauses befinden, doch diese konnte gerettet werden.

In Nettersheim mussten Menschen mittels Mobilkran von Dächern geholt werden.

Das Warnsystem

Für Ramers steht fest: „Wir müssen ganz genau aufarbeiten, wie die Bevölkerungswarnung in diesem Land funktioniert.“

Der Kreis Euskirchen hatte eine Warnung vom Deutschen Wetterdienst erhalten, berichtete der Leiter der Kreis-Gefahrenabwehr, Martin Fehrmann. Bereits am Montag habe es in der Presse Warnungen vor der Unwettergefahr in den folgenden Tagen gegeben. „Das haben wir zum Anlass genommen, unser internes Netz einzusetzen“, teilte Fehrmann mit. Bereits am Montag habe der Kreis eine Information an die Bevölkerung über die Warn-Apps Nina (landesweit) und Katwarn (Kreis Euskirchen), gesendet.

Weiteres Opfer gefunden

In Schleiden haben Einsatzkräfte einen weiteren, noch nicht identifizierten Toten geborgen. Das teilte die Polizei Köln am Donnerstag mit. Die Gesamtzahl der Menschen, die in Folge des Hochwassers im Kreis Euskirchen verstorben sind, liegt aber weiterhin bei 26. Die Obduktion eines Toten hatte ergeben, dass dieser an einer natürlichen Todesursache gestorben ist. Er ist deshalb aus der Statistik herausgerechnet worden.

Fast alle als vermisst Geltenden haben die Ermittler der Polizei mittlerweile telefonisch erreicht. Aktuell sucht die Polizei noch nach zwei Vermissten aus dem Kreis Euskirchen.

Um das Eigentum der Menschen zu sichern, sind etwa 200 Polizisten im Einsatz. Behauptungen in den Sozialen Medien, dass sich die Einsatzkräfte aus dem Katastrophengebiet zurückziehen, bezeichnet die Polizei als falsch. (maf)

Laut Fehrmann nutzen 170 000 Nutzer die landesweite Warn-App Nina für Ereignisse im Kreis Euskirchen, 30 000 Katwarn. Wie viele der Nutzer dieser Apps tatsächlich im Kreis leben, sei jedoch nicht festzustellen. Über Nina und Katwarn habe der Kreis am Montag vergangener Woche auf bevorstehende Starkregenereignisses mit mehr als 200 Liter pro Quadratmeter hingewiesen – also nicht nur die Kommunen, sondern die Bevölkerung gewarnt.

Am Tag der Katastrophe sei mit den Apps immer wieder gewarnt worden – bezogen auf das gesamte Kreisgebiet. „Es gab aber auch Einzelwarnungen für Kommunen, die besonders betroffen waren“, erläuterte Fehrmann. Auch die Ereignisse an der Steinbachtalsperre seien gesondert behandelt worden. „Es wechselte sich ab zwischen Warnungen und Information“, so der Leiter Gefahrenabwehr: „Wir gehen davon aus, dass die Warnungen auch bei vielen angekommen sind.“ Bis zum Ausfall des Mobilfunknetzes sei der Großteil der Warnungen bereits herausgegangen. Parallel wurden auch Sirenen ausgelöst – mit Schwerpunkten in den Kommunen Schleiden, Bad Münstereifel und Weilerswist.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Kreis, so Landrat Ramers, habe mit den Apps und den Sirenen in den Schwerpunktbereichen die Mittel genutzt, die ihm zur Verfügung stehen: „Wir müssen uns aber fragen, wie das in einem hoch-technisierten Land künftig funktionieren soll, indem wir auf Stromversorgung und Mobilfunknetz angewiesen sind – dann aber plötzlich bricht die komplette Kommunikation abbricht.“ Auch das Thema, wie die Bevölkerung für diese Themen sensibilisiert werde, müsse intensiv beraten werden, unter anderem die Frage: „Wann nehme ich eine solche Warnung auch so ernst, mich auch entsprechend zu verhalten?“

Die Bundeswehr

Brigadegeneral Peter Webert, Kommandeur Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr und Leiter Geoinformationsdienst der Bundeswehr in Euskirchen, versicherte Ramers: „Herr Landrat, Sie können sich auf uns verlassen. Die Bundeswehr wird hier so lange unterstützen, so lange sie benötigt wird.“ 170 Soldaten waren laut Webert allein am Donnerstag im Raum Bad Münstereifel und Iversheim mit Schwerpunkt Schuttbeseitigung eingesetzt. „Da gibt es noch einiges zu tun“, so Webert. Zusätzlich kamen am Mittwoch 53 Reservisten dazu, 80 Kameraden der Luftwaffe seien im Schleidener Tal im Einsatz, so Webert. Dazu biete die Truppe schweres Gerät zum Abtransport des Schutts und stelle Expertise in den Breichen Geologie und Vermessung bereit, um etwa die Gefahr von Erdrutschen zu erkunden.

KStA abonnieren