Dreiborner Spielmannszug bei Steuben-ParadeNew Yorkern den Marsch geblasen

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Durch die Häuserschluchten zog die Parade mit dem Spielmannszug, hier auf der Fifth Avenue.

Durch die Häuserschluchten zog die Parade mit dem Spielmannszug, hier auf der Fifth Avenue.

Dreiborn/New York – Unglücklicherweise hat Udo Jürgens seinen Song „Ich war noch niemals in New York“ erst 1982 veröffentlicht. Jede Wette, das wäre sonst das Lied der Dreiborner gewesen, als sie sich ein Jahr zuvor in das Abenteuer Amerika gestürzt hatten. Werner Lentzens Augen blitzen auch heute noch, wenn er von den Erlebnissen von vor knapp 40 Jahren erzählt. 1981 haben er und die gut 30-köpfige Gruppe vom Spielmannszug an der Steuben-Parade in New York teilgenommen. Ein herzliches Lachen begleitet die Anekdoten, die er gerne von der Reise zum Besten gibt.

Für seine Tochter Isabella, 1981 noch nicht geboren, und die anderen Jüngeren des Spielmannszugs, steht fest: Sie wollen auch nach New York zu einem solchen Auslandsauftritt. 2001 enden die Planungen der Dreiborner mit den Anschlägen vom 11. September in Terror und Tränen. 2019 ist es endlich soweit: Das kleine Dreiborn mit seinen knapp 1000 Einwohnern betritt, vertreten vom Spielmannszug, die große Bühne der Steuben-Parade. Doch der Reihe nach:

1981

Die Steuben-Parade

1957 wurde die Parade erstmals abgehalten. Deutschstämmige Amerikaner organisierten sie, um die Traditionen aufrechtzuerhalten. Zunächst fand sie in Ridgewood im New Yorker Stadtteil Queens statt. 1958 fand der Umzug erstmals auf der Fifth Avenue statt.

Rund 50 Gruppen und mehrere Tausend Teilnehmer sind bei der Parade vertreten, die nach einem Gottesdienst um 12 Uhr mittags beginnt und gut zwei Stunden dauert.

Benannt ist die Parade nach Freiherr Friedrich Wilhelm von Steuben (1730-1794). Der preußische Offizier war in seiner zweiten Karriere General in der Kontinentalarmee im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Auch wenn die Parade nach einem General benennt ist, ist sie kein militärisches Ereignis, eher ein Trachtenumzug. (rha)

21 Jahre alt ist Werner Lentzen, als er sich 1981 mit dem Spielmannszug ins Abenteuer Amerika und Steuben-Parade stürzt. Fernreiseerfahrung hat keiner der Dreiborner, Mega-Städte kennen sie bestenfalls aus dem Fernsehen, Englisch spricht längst nicht jeder. Und dann: New York. „Wir sind nur mit offenen Augen rumgelaufen – wir haben das alles kaum begriffen“, erzählt er von den Dimensionen, mit denen man plötzlich konfrontiert ist. Während in den Eifelorten die Kirchen richtig groß wirken, erscheint die wahrlich nicht kleine St. Patrick’s Cathedral in den Häuserschluchten Manhattans geradezu winzig. Und acht im World Trade Center parallel fahrende Aufzüge hat aus der Gruppe zuvor nun wirklich noch keiner gesehen.

Das Sightseeing beschert den Dreibornern unvergessliche Erfahrungen – und die Parade ist der unbestrittene Höhepunkt. „Das kleine Dreiborn in der großen Welt“, sagt Werner Lentzen lachend.

2001

Isabella Lentzen erinnert sich wie wohl jeder genau an jenen Tag, der nicht nur die Welt verändern, sondern für das 13-jährige Mädchen aus der Eifel den Traum von der New-York-Reise zerstören sollte. Es ist der 11. September, die Bilder des Terroranschlags, der in die Hochhäuser einschlagenden Flugzeuge, der einstürzenden Twin-Towers gehen um die Welt. Isabella Lentzen kommt von der Schule heim, der Fernseher läuft. „Ich wusste sofort, dass aus der Reise nichts wird“, sagt sie heute. Nicht nur bei ihr fließen Tränen, nicht nur sie ist schockiert.

In einer Krisensitzung am gleichen Tag ist den Musikern klar, dass es undenkbar ist, wenige Tage später in ein Flugzeug zu steigen. Sie beraten sich mit einem Anwalt und dem Reiseveranstalter. Da es keine offizielle Reisewarnung gibt, erhalten die Dreiborner nur einen Teil des Reisepreises zurück. Das erwähnt Werner Lentzen nur am Rande, zu unwichtig erscheint es angesichts dessen, was geschehen ist. Wenige Tage später wird die Steuben-Parade 2001 abgesagt – zum bislang einzigen Mal.

2017

Ein Generationenwechsel hat im Vorstand des Spielmannszugs stattgefunden. Isabella Lentzen trägt als Geschäftsführerin Verantwortung, Theresa Esch ist Spielleiterin, viele weitere junge Leute sind in die erste Reihe getreten. Und dieser eine Gedanke lässt sie alle nicht los, auch wenn er nicht ausgesprochen wird: Wir wollen nach New York – irgendwann... Irgendwann? Nein!

Das Projekt wird gestartet, die Gruppe um Theresa Esch – die mit 16 zum ersten Mal in New York war – organisiert die Reise: Die „Alten“, die New York von 1981 kennen, sollen genauso dabei sein wie die Jungen, die sich über so viele Jahre deren Geschichten haben anhören müssen. Der zeitliche Abstand zum Schrecken von 2001 ist groß genug, die Vorfreude wächst von Woche zu Woche. Fünf Ehemalige lassen sich anstecken: Sie üben die Lieder (der Spielmannszug spielt auswendig), um die Dreiborner Farben in den USA zu vertreten.

2019

36 Leute, davon 25 Musiker, sind am frühen Donnerstagmorgen über den großen Teich geflogen. Pauke, Lyra, Banner und Major-Stab sind in speziellen Kisten als Sperrgepäck dabei, der Rest passt irgendwie in die Koffer – die Flötisten haben da natürlich gewisse Platz-Vorteile. Das Projekt „Alt und Jung“ glückt: Das Spektrum der Reisegruppe liegt zwischen 14 und 77 Jahren.

Am Samstagmorgen werden Uniformen und Instrumente ausgepackt – zum Auftakt des großen Tages steht der Gottesdienst in der St. Patrick’s Cathedral an. Mit klingendem Spiel marschieren die Dreiborner danach zu ihrem Startpunkt der Steuben-Parade. Dass auch der Trump Tower von den Eifelern den Marsch geblasen bekommt, versteht sich. Nach und nach reihen sich all die Gruppen ein.

1000 Teilnehmer aus Deutschland dabei

5000 Teilnehmer sind es in diesem Jahr, allein rund 1000 sind aus Deutschland gekommen. Klassische Marschmusik bestimmt das Spiel der Dreiborner, Flöten, Fanfaren und Trommeln werden nur in kurzen Pausen abgesetzt. Gefeiert werden alle Teilnehmer von den zahlreichen klatschenden und fähnchenschwenkenden Zuschauern am Straßenrand – die Dreiborner sind beeindruckt.

Ein bisschen, so Isabella Lentzen, sei es wie beim Karnevalszug – aber doch wieder ganz anders. Als sie und die anderen nach der Parade zum gemütlichen Ausklang im Central Park sind, müssen sie die Erlebnisse erst mal sacken lassen und die Parade verarbeiten. „Es war einfach mega – für uns alle“, sagt Lentzen. Eine Wiederholung wäre schon nach ihrem Geschmack – doch sie bleibt realistisch: „Ich glaube, dass es auch aufgrund der Entfernung eher etwas Einmaliges ist.“

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