„NS Boys“ und „Kameradschaften“Studie untersuchte Rechtsextremismus in Euskirchen

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Organisierte rechtsextreme Gruppen sind im Kreis laut Studie kaum anzutreffen, dafür aber eine Vielzahl von Einzelpersonen, die der radikalen Rechten zugeordnet werden können (Symbolbild).

Organisierte rechtsextreme Gruppen sind im Kreis laut Studie kaum anzutreffen, dafür aber eine Vielzahl von Einzelpersonen, die der radikalen Rechten zugeordnet werden können (Symbolbild).

Kreis Euskirchen – Am 10. Februar 2018 wurde Strafanzeige erstattet. An seiner Wohnung in Euskirchen hatte der Beschuldigte laut Behörden gut sichtbar eine Hakenkreuzfahne aufgehängt. Internet-Posts rechtsradikalen Inhalts und der Besuch eines großen Neonazi-Festivals in Themar zeigten zudem deutlich, welch Geistes Kind der Mann war.

Beschrieben wird der Fall im 67-seitigen „Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus im Kreis Euskirchen“, das derzeit in den Gremien des Kreises beraten wird. Hier einige Themenbereiche aus der Studie.

Keine Auffälligkeit im NRW-Vergleich

Im NRW-Vergleich stelle der Kreis Euskirchen keinen Schwerpunkt der extremen Rechten dar. „Dennoch sind eine Vielzahl von Einzelpersonen und Vorfällen nachzuweisen, die der extremen Rechten zugeordnet werden können“, heißt es dann aber weiter.

Gut organisiert sei die extreme Rechte im Kreis derzeit nicht, wird der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Michael Klarman zitiert – im Gegensatz zu den Jahren 2010 und 2013, als etwa die „Kameradschaft Aachener Land“ hier aktiv war. Stattdessen seien aber „rechtsoffene“ bis rechtsextreme Jugendliche und Erwachsene vielfach mit unauffälligen Personen in sozialen Strukturen eingebunden. Klarmann spricht daher von einer sogenannten Mischszene.

Kameradschaft Eifeler Land wurde auffällig

Unter anderem sei die Kameradschaft Eifeler Land/Kameradschaft Eifelland (KEL) aus der Vulkaneifel auffällig geworden: „Im November 2013 beschimpften drei Mitglieder der KEL zunächst zwei Jugendliche in der Euskirchener Innenstadt rassistisch, später eskalierte die Situation in gewalttätige Übergriffe der drei Männer gegenüber den Jugendlichen.“ 

Sicherheitsbehörden gehen laut der Studie von einer „mittleren zweistelligen Zahl“ sogenannter Reichsbürger im Kreis aus. Relevant auffällig seien sie aber laut Polizei und Justiz bislang nicht geworden. Es komme aber schon mal vor, dass die Kennzeichnung der Europäischen Union am Kfz-Kennzeichen durch die Farben des Deutschen Reiches schwarz-weiß-rot überdeckt werden.

Schmierereien und Aufkleber im Stadtbild

Man sieht sie öfter im Stadtbild: „rechte“ Schmierereien und Aufkleber. Harmlos sei das nicht, stellen die Autoren klar. Sie seien Zeichen für das Besetzen öffentlichen Raumes und des Machtanspruchs der Rechten in der Region: „Einfache Botschaften werden massenhaft verbreitet und erhalten eine hohe Alltagspräsenz.“

Rechtsextreme und Rechtspopulisten erzeugten mit ihren aggressiven Hassbotschaften ein Klima der Feindseligkeit und Angst. Neutrale öffentliche Orte würden so zu Angstzonen – Gegenden also, in denen sich Juden, Schwarze, Fremde oder andere Minderheiten unerwünscht und bedroht fühlen sollen.

Gleichgesinnte könnten sich andererseits als Teil einer vermeintlich starken Bewegung fühlen. Sie würden in ihrem Denken bestätigt und dazu ermutigt, ähnlich zu handeln. „In dieser mobilisierenden Kraft des Mediums liegt die Gefahr, denn die Aufkleber sind Vorboten physischer Gewalt“, wird das NS-Dokumentationszentrum München in der Studie zitiert.

„NS-Boys“ besuchen ehemalige NS-Anlage

Sie hatten einen weiten Weg auf sich genommen. Im März 2018 besuchten die „NS-Boys“ – NS soll für New Society (neue Gesellschaft) stehen – aus Chemnitz die ehemalige NS-Anlage Vogelsang. Seit 2012 werden die „NS-Boys“ vom Verfassungsschutz beobachtet, wegen ihrer Nähe zur Hooliganszene und ihrer NS-Affinität.

Kein Einzelfall: Vogelsang übe Anziehungskraft auf die extreme Rechte aus, die alles andere als eine kritisch-reflektierende Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit mit ihrem Besuch der ehemaligen „Ordensburg“ im Sinn hätten: „Vielmehr soll das eigene Narrativ bestätigt werden.“ Die „Kameradschaft Aachener Land“, die Bewegungen „1 Prozent“ oder der „Nationale Widerstand Duisburg“ hätten Vogelsang besucht: „Die Identitäre Bewegung war mit mindestens zwei Untergruppen im Jahr 2017 und 2018 vor Ort.“

Fundierte Untersuchung gestaltet sich schwierig

Eine fundierte Untersuchung über das Ausmaß des Rassismus oder Diskriminierung im Kreis sei schwierig, gestehen die Autoren. Dass es aber auch hier rassistisches und diskriminierendes Verhalten gibt , versuchen sie an Einzelbeispielen zu zeigen.

So kommt unter anderem ein Bürger zu Wort: „Als ich Bart trug und auch noch schwarze Klamotten anhatte, da wollte in öffentlichen Verkehrsmitteln plötzlich niemand mehr neben mir sitzen. Wenn ich die Leute dann anlächelte, straften sie mich mit Nichtbeachtung. Dann habe ich mir den Bart abrasiert und meinen Klamottenstil geändert, trug auch mal hellere Farben. Das Ergebnis war überall das Gleiche: Man war freundlich zu mir!“ Damit habe er gerechnet, betrübt habe es ihn dennoch: „Viele Leute haben Angst davor, was fremd ist.“

Das Handlungskonzept

Im Auftrag des Kreises Euskirchen entwickelte die Akademie Vogelsang IP mit anderen regionalen Akteuren in den Jahren 2017 und 2018 ein Handlungskonzept gegen die extreme Rechte und Rassismus – als Beginn eines langfristigen und nachhaltigen Prozesses.

Es handele sich nämlich „um ein aktuelles Thema im Sozialraum, das einem permanenten Wandel unterliegt und somit einer steten Aufmerksamkeit bedarf“ (Vorlage der Kreisverwaltung). Zu dem Konzept werde ein Lenkungskreis eingerichtet.

Austausch von Initiativen und Einzelpersonen fördern

So soll der Austausch der Initiativen und Einzelpersonen, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus wenden, gefördert und vernetzt werden. Dabei sollen die Bildungsangebote von Vogelsang IP eine wichtige Rolle spielen.

Das Land NRW fördert den Prozess und will das auch 2019 tun. Im Kreis Euskirchener Ausschuss für Bildung und Inklusion zeichnete sich ab, dass die Lokalpolitiker, wenn nötig, Mittel aus dem Kreishaushalt bereitstellen wollen. (sch)

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