30.000 Produkte pro TagHigh-Tech made in Euskirchen – ein Blick in das Miele-Werk

Lesezeit 5 Minuten
Erfreut sich jeden Tag aufs Neue an den technischen Möglichkeiten: Jürgen Zdunek ist der Leiter der Fertigungshalle, in der Produktionslinien von bis zu 40 Metern stehen.

Erfreut sich jeden Tag aufs Neue an den technischen Möglichkeiten: Jürgen Zdunek ist der Leiter der Fertigungshalle, in der Produktionslinien von bis zu 40 Metern stehen.

Euskirchen – Wenn Jürgen Zdunek mit ansteckender Begeisterung die Vorgänge in der 750.000 Euro teuren Motorenmontage erklärt, kommt seinem Gegenüber unweigerlich die Frage in den Sinn: Wie mag der Mann gestrahlt haben, als diese Anlage in Betrieb gegangen ist. Stur im Zeittakt, kompromisslos mit einer Hundertstel-Millimeter-Genauigkeit schiebt ein Roboterarm Rotoren in den Stator. „Alle 12 Sekunden einen“, sagt Zdunek. Man sucht ein stärkeres Wort für Präzision.

Besuch im Miele-Werk Euskirchen. Seit 1951 lässt der Familienkonzern in der Kreisstadt produzieren. Der Kontrast des von der Roitzheimer Straße aus ins Auge fallenden Verwaltungsgebäudes zu den 18 High-Tech-Produktionslinien, auf denen sich 30 oder 40 Meter lang die Fertigungsteile bewegen, könnte kaum größer sein.

Hendrik Krämer ist hier seit fünf Monaten Werksleiter. Im Foyer zeigt er die Geräte, deren Antriebe in Euskirchen hergestellt werden: Waschmaschinen, Trockner und Geschirrspüler. Auch ein Staubsauger ist dabei, dessen Gebläse und Kabeltrommeln sind schließlich made in Euskirchen. Täglich verlassen rund 30.000 Produkte das Firmengelände, um in anderen Miele-Werken weiterverarbeitet zu werden. „Die Motoren sind das Herz der Geräte, also ist Euskirchen das Herz von Miele“, sagt Krämer mit einem Lächeln. Diesem Anspruch gelte es, dauerhaft gerecht zu werden.

Alle Motoren werden getestet

„Miele könnte die Antriebssysteme auch einkaufen“, so Krämer. Doch in Euskirchen werden Innovation und Kostenbewusstsein offenkundig seit Jahren erfolgreich in der Balance gehalten. Ansonsten würden die jeweils zehn Millionen Euro, die der Konzern in den Geschäftsjahren 2016/17 und 2018/19 in Automatisierung, Gebäude und Mitarbeiter-Parkplätze investiert, keinen Sinn ergeben.

Zurück in die Fertigungshalle: Rund 50 Millionen Euro Anlagevermögen stehen hier. Monitore an der Decke zeigen, wie viele Teile in welcher Zeit bearbeitet werden, und leuchten auf, wenn es hakt. Auch klitzekleine Fehler müssen sofort ausgebügelt werden. Zdunek weist auf die 100-Prozent-Prüfung hin: „In dieser Anlage rotiert der Motor 180 Sekunden lang, damit wir sehen, ob alles funktioniert.“ Kontrolle ist wichtig, schließlich verspricht Miele eine 20-jährige Produktlebensdauer auf alle Komponenten.

Dafür ist auch Matthias Felden zuständig. Der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung räumt gleich mal mit einem Irrglauben auf. Frage man die Menschen, wie viel Zeit sie pro Woche mit Staubsaugen verbringen, komme man auf einen Durchschnittswert von einer Stunde, also 52 Stunden im Jahr. „Was glauben Sie, wie viele Stunden es wirklich sind?“, fragt Felden in die Runde und erntet ein Schweigen. „Im Durchschnitt etwa die Hälfte“, beantwortet er also seine Frage selbst.

Mag die Fehleinschätzung daran liegen, dass die Aufgabe zumeist als lästig angesehen wird oder die Zeit der Überwindung und die der Pausen unterbewusst mitberechnet wird? Egal, bei den Qualitätstests gehe Miele von der gefühlten Zeit aus, so Felden. Die Kabeltrommeln würden daher auf eine 20-jährige Laufzeit bei 52 Jahresstunden in seinem Bereich getestet. Dabei zeigt Felden auf mehrere Schienen, auf denen Prototyp-Stecker samt Kabel mechanisch unentwegt langgezogen werden – realistischerweise immer wieder ruckartig und stückweise, wie es die Nutzer ja auch tun.

Aufgaben der Mitarbeiter haben sich gewandelt

Allein auf technische Kontrollen – per Video und Tonaufnahmen – verlässt sich Miele aber nicht. In einem etwa 15 Quadratmeter großen Gehäuse mitten in der Fertigungshalle nimmt Mitarbeiter Athur Migdalski Geräuschproben – mit den Ohren!

Er stellt den soeben zusammenmontierten Motor an. Nun kommt sein in vielen hundert Stunden geschultes Hörorgan zum Einsatz. Störgeräusche müssen schon sehr leise sein, dass er sie nicht vernimmt. Zur Sicherheit helfen ihm zusätzlich die Anzeigen auf dem Computerbildschirm. Er scheint seine Arbeit zu mögen. „Ich bin ein echter Mieleaner“, sagt er stolz – und das seit Jahrzehnten.

Die Zahl der Beschäftigten liege seit Jahren konstant bei 450, erklärt Werksleiter Krämer. Die Anforderungen an die Mitarbeiter indes änderten sich mit dem technischen Fortschritt. Vor einigen Jahrzehnten hatten sogar bis zu 1200 Menschen bei Miele Euskirchen gearbeitet – damals, als die magnetischen Kupferdrähte noch per Hand um die Rotoren gewickelt wurden, damit sie durch das Magnetfeld den Motor zum Drehen bringen. Heute machen das Maschinen, schneller und genauer, als ein Mensch dazu in der Lage wäre – nämlich 2000 Tonnen Kupferdraht im Jahr.

Lieferungen aus Euskirchen gehen in alle anderen Werke

Eintönige Jobs gehörten zum großen Teil der Vergangenheit an, auch das körperlich verschleißende Umhertragen von Motoren sei passé. Entlassen worden, so die Werksführung, sei auf Grund der Modernisierung niemand. Die Mitarbeiter seien für die neuen Arbeitsplätze geschult worden.“ Heutzutage brauche es Mitarbeiter, die die Hoch-Technik-Maschinen zu bedienen und zu warten wüssten. Krämer scheint die Frage zu ahnen: Fachkräftemangel? „Ja, früher haben uns Mechatroniker die Türen eingerannt“, antwortet er. Inzwischen müssten sich Arbeitgeber wie Miele um sie bemühen. Auch darum drücken rund 50 Azubis die Produktionsbänke in der Ausbildungshalle.

Vielleicht arbeiten sie später mal mit Rainer Wolter zusammen. Wolter ist der Leiter der Vorfertigung. Er zeigt mit seinen Fingern auf die Einkerbungen in einem hauchdünn gestanzten Stahlblech, das soeben fast zeitgleich mit vielen anderen Blechen die vollautomatische Stanzanlage verlassen hat. Durch sie werden mehrere Bleche zu einem Stator verbunden.

Wolter führt die Besucher in eine Nebenhalle. Hier wird das Ausgangsprodukt gelagert. „Wir verarbeiten hier 10.000 Tonnen Stahl im Jahr“, erläutert Wolter. Lange lagert der Stahl hier nicht. Die Produktionsabläufe sind schnell, die anderen Miele-Werke wollen ständig beliefert werden mit den Herzstücken für die Geräte – made in Euskirchen.

Der Familienkonzern

Miele ist nach eigenem Bekunden der weltweit führende Anbieter von Premium-Hausgeräten für die Produktbereiche Kochen, Backen, Dampfgaren, Kühlen/Gefrieren, Kaffeezubereitung, Geschirrspülen, Wäsche- sowie Bodenpflege.

Hinzu kommen Geschirrspüler, Waschmaschinen und Wäschetrockner für den gewerblichen Einsatz sowie Reinigungs-, Desinfektions- und Sterilisationsgeräte für medizinische Einrichtungen und Laboratorien (Geschäftsbereich Professional). Das 1899 gegründete Unternehmen unterhält acht Produktionsstandorte in Deutschland sowie je ein Werk in Österreich, Tschechien, China und Rumänien. Der Umsatz betrug im Geschäftsjahr 2017/18 rund 4,1 Milliarden Euro, wovon 70 Prozent außerhalb Deutschlands erzielt wurden.

In fast 100 Ländern ist Miele mit eigenen Vertriebsgesellschaften oder über Importeure vertreten. Weltweit beschäftigt das in vierter Generation familiengeführte Unternehmen etwa 20 100 Menschen, 11 200 davon in Deutschland. Der Hauptsitz des Unternehmens ist Gütersloh. (sch)

KStA abonnieren