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Ampel steht fast durchgehend auf RotStrenge Hygiene-Regeln im Frauenhaus Euskirchen

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Sorge vor eine zweiten Welle: Frauenhaus-Mitarbeiterin Sabine Heinz im Garten der Einrichtung, die fast immer voll besetzt ist.

Sorge vor eine zweiten Welle: Frauenhaus-Mitarbeiterin Sabine Heinz im Garten der Einrichtung, die fast immer voll besetzt ist.

Euskirchen – Nichts geht mehr. Nahezu alle Ampeln der Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen stehen auf Rot. Springt eine auf Grün, können sich die jeweiligen Mitarbeiterinnen vor Anrufen kaum retten. Das Ampelsystem hat sich die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW ausgedacht. Über das Frauen-Info-Netz können Hilfesuchende online schnell sehen, in welchen Frauenhäusern in NRW es noch Kapazitäten gibt. Doch freie Plätze sind rar – auch das Frauenhaus Euskirchen, in dem bis zu acht Frauen und 16 Kinder Zuflucht finden, ist fast durchgehend voll belegt.

Wie sehr die Corona-Pandemie tatsächlich die Anfragen hilfesuchender Frauen und ihrer Kinder in die Höhe getrieben hat, lässt sich schwer sagen. Die Telefonanrufe bei Hilfe-Hotlines und Gewaltschutzambulanzen sind in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Immer wieder wird auch auf China verwiesen, wo die häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder während des Lockdowns stark zugenommen hat. „Tatsache aber ist: Wenn unsere Ampel auf Rot steht, kommen auch kaum mehr Anrufe“, sagt Sabine Heinz vom Frauenhaus Euskirchen. Was nicht bedeute, dass es keine Frauen in Not gebe.

Schulungen „mit Händen und Füßen“

Am vergangenen Wochenende etwa, als Sabine Heinz Bereitschaftsdienst hatte, suchte zunächst eine Polizeistation in der Eifel verzweifelt nach einem Platz für eine Frau, den man jedoch nicht bieten konnte. Und dann galt es noch, für eine weitere Frau mit zwei Kindern irgendwo Unterschlupf zu finden. „Letztlich habe ich nach zwei Stunden am Telefon einen Verwandten gefunden, der der Frau vorübergehend Asyl gewährt.“

Corona hat das Leben im Frauenhaus Euskirchen sehr verändert. „Wir schulen unsere Bewohnerinnen ständig in Hygiene- und Abstandsregeln, teilweise machen wir das mit Händen und Füßen“, erzählt die Sozialarbeiterin. Denn die Sprachbarrieren seien groß: Der Anteil von Migrantinnen ist seit geraumer Zeit sehr hoch.

Freie Zimmer bleiben Mangelware

Um Ansteckung zu vermeiden, wurde schon vor dem offiziellen Kontaktverbot ein solches für die Bewohnerinnen und ihre Kinder verhängt. „Darauf haben fast alle verständnisvoll und solidarisch reagiert, die Regeln wurden befolgt.“ Eine Frau jedoch, die unbelehrbar blieb „und damit alle in Gefahr gebracht hat“, musste letztlich das Frauenhaus verlassen. Heinz: „So etwas tun wir nicht gerne. Aber manchmal geht es nicht anders.“

Das Quarantänezimmer, das eingerichtet wurde für den Fall der Fälle, musste glücklicherweise nicht belegt werden. Mittlerweile nutzt man es lieber wieder für das Tagesgeschäft – freie Zimmer sind eben Mangelware. „Natürlich haben wir auch zügig einen Pandemieplan erstellt; auch für den Fall, dass eine aus unserem Team erkrankt“, so Heinz. Bei den eh schon knappen personellen Ressourcen, mit denen im Frauenhaus gearbeitet werde, ein Schreckensszenario. „Wir würden im Ernstfall Unterstützung von den Kolleginnen aus der Frauenberatungsstelle bekommen“, so Heinz. Als systemrelevante Kräfte stünden den Frauenhaus-Mitarbeiterinnen immerhin zügig Erst- und Zweittestungen auf das Coronavirus zu.

Zeit für Traumabewältigung

Was in den letzten beiden Monaten zugenommen habe, sei die Fluktuation der Bewohnerinnen. Lag deren Verweildauer über lange Zeit zwischen drei und sechs Monaten, sind es jetzt oftmals nur einige Wochen. „Viele Frauen gehen zurzeit zurück zu ihren Männern, sie sind noch nicht soweit, sich lösen zu können“, erzählt Sabine Heinz. Eine plausible Erklärung hat man dafür im Frauenhaus Euskirchen noch nicht.

Doch nicht alles veränderte sich während der zurückliegenden Monate in der Pandemie zum Schlechten. „Ich konnte in 30 Jahren noch nie so ruhig und effektiv im Frauenhaus arbeiten; Termine, viele Telefonate, Ein- und Auszüge fielen weg“, so Mitarbeiterin Silvia Alt. Selten habe man so viel Zeit für intensive Gespräche mit den Frauen gehabt, man habe die traumatischen Erlebnisse der Bewohnerinnen mit viel mehr Ruhe besprechen können als im normalen Frauenhaus-Alltag.

Sorge vor der zweiten Welle

Schön seien auch die Zuwendungen von außen gewesen. Von Desinfektionsmittel über selbstgenähte Masken bis hin zum Angebot verschiedener Hoteliers, bei Platzproblemen auf deren leerstehende Zimmer ausweichen zu können. Sabine Heinz: „Supernett, aber wir haben kein Personal, das sich um zusätzliche Frauen und dann auch noch außerhalb unseres Hause kümmern könnte.“

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Einer möglichen zweiten Welle sehen die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen mit Sorge entgegen. „Letztlich leben hier viele Menschen auf engem Raum zusammen, und auch wenn jede ihr eigenes Zimmer hat, so müssen Badezimmer und Küchen doch geteilt werden“, sagt Sabine Heinz. Mittlerweile würden die Bewohnerinnen auch wieder Außenkontakte pflegen, beispielsweise große Familienfeiern besuchen. Die Sozialarbeiterin: „Sobald hier jemand auch nur ein bisschen krank ist, fahren wir zum Arzt und bitten darum, einen Corona-Test durchzuführen.“

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