Bekennender Ex-NaziChristian Weißgerber erzählt in Euskirchen von seinem Ausstieg

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Der 30-Jährige Christian Weißgerber war bis 2010 aktives Mitglied der militanten Nazi-Szene in Thüringen.

Euskirchen – Warum wird man mehr als siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Nazi? Warum ist die Faszination für eine Ideologie, die Millionen Menschen das Leben kostete, noch immer da? Warum erhalten die sogenannten neuen rechten Strömungen regen Zulauf? Auf die Suche nach Antworten auf die selbst gestellten Fragen führte Christian Weißgerber, bis 2010 aktives Mitglied der militanten Nazi-Szene in Thüringen, seine etwa 50 Zuhörer im City-Forum in Euskirchen. Weißgerber arbeitet aktuell an seiner Promotion.

Seit 2012 referiert der in Jena, Paris und Berlin studierte Kulturwissenschaftler an Schulen und Universitäten und klärt über die extreme rechte Szene auf. Sein Buch „Mein Vaterland – Warum ich ein Neonazi war“ ist die Grundlage seiner Vorträge und umfasst die Erkenntnisse des 30-jährigen Autors über das Werden und den dornigen Ausstieg eines Rechtsextremisten. In seiner aktiven Nazi-Zeit sei er unter anderem einer der Wortführer bei den Autonomen Nationalisten gewesen.

Einst Gestalter, nun Aufklärer

Er sei kein Mitläufer, sondern ein aktiv Gestaltender gewesen. Er könne deshalb einordnen und rhetorische Strategien rechter Bewegungen entlarven. Mithilfe solcher Strategien seien altbekannte rechte Ideologien inzwischen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wer im City-Forum eine reumütige Beichte eines irregeführten Mannes erwartet hattet, dürfte schwer enttäuscht worden sein, denn der gebürtige Eisenacher schilderte seine profunden Erkenntnisse als Verantwortlicher für all seine Entscheidungen und Taten.

„Ich hatte unzählige andere Möglichkeiten, aber ich wollte Nazi werden“, bekannte sich der Referent und gab den Besuchern einen systematischen Einblick in Zusammenhänge des deutschen Alltags in Familie, Schule, Bundeswehr und später an der Universität. Rechtes Gedankengut sei keineswegs ein Randproblem und schon gar nicht nur der ostdeutschen Gesellschaft: „Wenn wir verstehen wollen, warum Menschen zu Nazis werden, müssen wir hinter die verschlossenen Türen und Jalousien des,ganz normalen’ deutschen Familienalltags blicken“, sagte Weißgerber.

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Der Vortrag war eine Idee von Helena Vitt, Vorsitzende der JUSOS, der jungen SPD im Kreis Euskirchen. Als Mitarbeiterin der Uni in Duisburg, erhofft sich Vitt durch solche Veranstaltungen „das Bewusstsein der Menschen wach zu rütteln“. Die Auseinandersetzung mit der Nazi-Szene sei ein Kulturkampf, wie es Christian Weißgerber nannte. Dennoch sei ein solcher „Kampf“ für den Erhalt der Demokratie unumgänglich. Diese Auseinandersetzung sei ein wichtiger dynamischer Prozess der heutigen Zeit, an dem jeder Teil nehmen sollte. „Denn, wer einen Dialog sucht, sollte verstehen, was im Kopf des anderen stattfindet“, so der 30-Jährige.

Auf die Frage, ob seine Vorträge nicht auch als Aufklärung und versteckte Werbung für die Nazidenkweise dienen könnten, antwortete der ehemalige Nazi entschieden: „Ich gebe zu, dass jeder für die Faszination des rechten Gedankenguts anfällig sein könnte, aber ich biete unzählige Argumente dagegen, sich der Bewegung anzuschließen.“

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