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Kläger gegen Corona-Maßnahmen„Es geht nicht um Gewinnen oder Verlieren“

Lesezeit 7 Minuten
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Gestrichen: Die Ausgangssperre wurde aus der Allgemeinverfügung des Kreises gestrichen, nachdem dem Eilantrag von Prof. Dr. Christian Kesseler in diesem Punkt stattgegeben wurde.

  • Mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht Aachen ist der Notar Prof. Dr. Christian Kesseler gegen die kurz vor Weihnachten vom Kreis Euskirchen erlassene Allgemeinverfügung zum Schutz vor Corona erfolgreich vorgegangen.
  • Der Antrag hatte Erfolg, erntete jedoch auch Kritik.
  • Wir haben mit dem Euskirchener über seine Beweggründe gesprochen.

Euskirchen – Herr Professor Kesseler, sind Sie ein Corona-Leugner?

Nein, auf keinen Fall. Wer die Krankheit leugnet, verschließt die Augen vor den Fakten. Corona ist ein wirklich ernstes Thema, und es beunruhigt mich sehr. Das gilt allerdings gleichermaßen für die Seuche selbst wie auch den Umgang unserer Gesellschaft mit diesem großen Problem.

War das der Grund dafür, dass Sie kurz vor Weihnachten gegen die Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr im Kreis Euskirchen einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Aachen gestellt haben, woraufhin die Kammer Ihnen folgte und die Ausgangssperre gekippt hat?

Ja. Ich habe auch mehrere Normenkontrollverfahren gegen die Coronaschutz-Verordnungen des Landes betrieben, unter anderem schon im Frühjahr wegen der Schließung der Schulen.

Was sind Ihre Beweggründe?

Sämtliche meiner Klagen richten sich nicht gegen die Maßnahmen insgesamt oder gegen staatliches Tätigwerden überhaupt. Mir ist nur eines in der Sache extrem wichtig: Dass wir als Gesellschaft bei aller Sorge um die Krankheit nicht vergessen, dass wir unsere rechtsstaatlichen Regeln geschaffen haben, um auch mit solchen Krisen fertig werden zu können. Diese verlangen eine Abwägung des Nutzens einer Maßnahme gegen deren Nachteile und Kosten. So halte ich die Nachteile für die Bildung unserer Kinder, die mit den Schließungen beziehungsweise Beschränkungen des Schulbetriebs verbunden sind, angesichts der geringen Zahl von Infektionen, die tatsächlich in den Schulen stattfinden, für zu gewichtig.

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Ist die Pandemie denn kein Ereignis, das der besonderen staatlichen Reaktion bedarf?

Doch, und zwar ganz ohne Frage. Ich halte sehr viele der Maßnahmen, in der Allgemeinverfügung des Kreises schon mit der generellen Pflicht zum Tragen von FFP 2-Masken in Seniorenheimen angefangen, für richtig. Denn die Menschen dort müssen besonders geschützt werden. Seuchen sind aber nichts Neues. Krisen sind auch nichts Neues. Die Regeln unseres Rechtsstaates einschließlich des besonderen Schutzes der Freiheitsrechte sind in Kenntnis der Existenz von Krisen geschaffen worden. Entsprechend müssen diese auch ständig beobachtet und beachtet bleiben.

Kreis verzichtete auf Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht

Professor Dr. Christian Kesseler ist Notar in Düren und wohnt in Euskirchen. Der 48-Jährige lehrt Jura an der Universität Trier.

Mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht Aachen ist er gegen die kurz vor Weihnachten vom Kreis Euskirchen erlassene Allgemeinverfügung zum Schutz vor Corona erfolgreich vorgegangen. Zunächst, weil diese erlassen wurde, als der Inzidenzwert im Kreis bei 197 und nicht bei einem für eine solche Verfügung notwendigen Wert von mehr als 200 lag. Das Verwaltungsgericht folgte seiner Ansicht. Als die Inzidenz dann auf mehr als 200 gestiegen war und der Kreis die Verfügung erneut erließ, stellte Kesseler einen Eilantrag gegen die Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr, die das Gericht daraufhin kippte. Der Kreis verzichtete auf eine mögliche Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht und strich die Ausgangssperre.

Kesseler war auch gegen eine verschärfte Kontaktsperre innerhalb der Privatwohnung in der Allgemeinverfügung vorgegangen. Hierbei gab das Gericht dem Kreis Recht. (sch)

Es sterben aber viele Menschen im Zusammenhang mit Corona. Hat der Staat nicht die Pflicht, Verordnungen zu erlassen, um die Menschen gegen Ansteckungen mit dem Virus zu schützen?

Natürlich hat er das. Aber all diese Maßnahmen müssen angemessen sein und tatsächlich auch einen Nutzen haben. Je stärker Regeln die Freiheitsrechte beschränken, desto nützlicher müssen sie sein. Was soll da eine umfassende Ausgangssperre?

Etwa die bremsen, die sich entgegen den Regeln immer noch in großen Gruppen treffen...

Natürlich sollen die Menschen in dieser Zeit keine Partys feiern, weder drinnen noch draußen. Das wäre ja Wahnsinn. Entsprechend sind diese besonders risikobehafteten Treffen auch zu Recht verboten. Mir geht es aber darum, inwieweit der Staat Bestimmungen treffen darf, wenn der Nutzen für die Gesundheit in keinem Verhältnis zu den Einschränkungen der anderen Grundrechte steht. Wenn sich Menschen in größeren Gruppen versammeln, haben die Ordnungskräfte auch ohne den inzwischen gestrichenen Passus in der Allgemeinverordnung des Kreises das Recht, einzuschreiten und auch Bußgelder zu verhängen.

Mit Ihrem Vorgehen haben Sie dem neuen Landrat Markus Ramers so etwas wie eine erste Niederlage im Amt beigebracht. Stört Sie das?

Das war keineswegs der Grund für den Eilantrag. Und es wäre auch falsch, das so zu interpretieren. Es geht hier nicht um Gewinnen oder Verlieren. Darum könnte es nur gehen, wenn ich davon ausginge, die einzig richtigen Lösungen zu haben – die habe ich aber leider nicht. Mein Ziel ist es auch nicht, dass der Kreis in seinem Handeln unnötig beschränkt wird oder der Landrat seine Autorität verliert. Mein Eindruck ist, dass der Landrat seine Entscheidungen in ganz enger Abstimmung mit dem Gesundheitsamt und mit den Landesbehörden getroffen hat und trifft. Ich kenne Herrn Ramers nicht persönlich, habe aber während des Vorgangs mehrfach Kontakt und offenen inhaltlichen Austausch mit ihm und dem Justiziar des Kreises, Herrn Rosell – übrigens mein Ausbilder in meiner Referendariatszeit –, gehabt.

So trifft man sich wieder. Ihre Kritik richtet sich also nicht gegen den Kreis?

Nein. Es geht bei all diesen Maßnahmen um Abwägungsentscheidungen zwischen verschiedenen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen. Leben und Freiheit sind zu Recht gleichermaßen geschützt, weil das eine ohne das jeweils andere nichts ist. In solch schwierigen Entscheidungssituationen ist der Kreis auf Unterstützung angewiesen, die er aber vom Land nach meinem Gefühl nicht in ausreichendem Maße bekommt.

Woran machen Sie das fest?

Dass die Allgemeinverfügung so leicht gerichtlich anzugreifen war, lag einfach daran, dass die Verordnungen des Landes so unglücklich gefasst sind. Die Verordnung stammt nicht aus der Feder unseres Landrates, der Kreis muss nur auf deren Grundlage handeln und ist für ihre Auslegung auf die Expertise der Landesbehörden angewiesen. Die Allgemeinverfügungen gelten in ähnlicher Form in vielen Kreisen und kreisfreien Städten und bedurften zu ihrem Erlass des ausdrücklichen Einvernehmens der Landesregierung. Dass aber in Düsseldorf keine Grundrechtsglocken bei der Empfehlung zur Anordnung einer allgemeinen Ausgangssperre läuten, ist mir ein Rätsel.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von handwerklichen Fehlern. Geht das nicht ein bisschen zu weit?

Ich bin vor wenigen Tagen erneut gegen die Allgemeinverfügung des Kreises vorgegangen, weil die 7-Tages-Inzidenz unter 200 gefallen war. Im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat die Landesregierung – im Übrigen nach meinem Eindruck auf Intervention unseres Landrates – die Corona-Verordnung in Teilen geändert, leider allerdings wieder mit heißer Nadel. Jetzt steht da folgender Satz drin: „Die angeordneten Maßnahmen sind fortlaufend zu überprüfen und aufzuheben, wenn die Infektionszahlen nachhaltig deutlich unter den Wert von 200 absinken.“ Die Verordnung schafft es also nicht einmal, zwischen der Infektionsinzidenz und den aktuellen Infektionszahlen zu unterscheiden, und stellt den Kreis gleichzeitig vor das Problem, entscheiden zu müssen, was denn wohl „nachhaltig deutlich“ bedeuten soll.

Ihr Vorgehen hat in den Sozialen Netzwerken für reichlich Diskussionen gesorgt. Sie wurden dort auch kritisiert. Ist es nicht auch ein demokratischer Wert an sich, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen weitestgehend begrüßt oder sogar noch härte Regeln fordert?

Mit der Kritik muss ich und kann ich leben. Es ist das Wesen und die große Stärke der Demokratie, dass unterschiedliche Meinungen bestehen. Das gilt auch und gerade bei einem so wichtigen Thema wie der Bekämpfung einer Seuche. Wenn die These richtig wäre, dass es für die Legitimation einer Regelung nur der Zustimmung der Mehrheit bedürfte, bräuchten wir die Regeln unseres Rechtsstaates und auch unsere Verfassung nicht.

Wir haben Sie für das Gespräch während Ihres Aufenthalts in der Schweiz kontaktiert. Halten Sie nichts von den Empfehlungen, nicht zu reisen?

Von Reiseverboten halte ich tatsächlich wenig. Als Selbstversorger in einer Ferienwohnung, zu der wir als Familie mit dem Auto gefahren sind, sehe ich mich auch in der Schweiz keinem relevanten Infektionsrisiko ausgesetzt. Und natürlich werden wir bei Rückkehr den erforderlichen Corona-Test machen lassen. Sie werden aber auch keinen von uns auf einer Party oder in einer Après-Ski-Hütte finden. Das Reisen stellt also kein Problem an sich dar, die Art des Reisens macht den Unterschied.

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