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Menschen in NotNevin Sezgin erhielt den Margaretha-Linnery-Preis

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Strahlend nahm Nevin Sezgin (links) den Margaretha-Linnery-Preis entgegen, der in diesem Jahr von Michaela Rübenach gestaltet wurde.

Strahlend nahm Nevin Sezgin (links) den Margaretha-Linnery-Preis entgegen, der in diesem Jahr von Michaela Rübenach gestaltet wurde.

Euskirchen – Am Weltmännertag zur Frau des Jahres gekürt zu werden – das muss man erst mal schaffen. Wobei gerade dieser Zufall perfekt zu Nevin Sezgin zu passen scheint – der Frau, von der selbst gestandene Männer wie Vize-Bürgermeister Horst Belter und Vize-Landrat Markus Ramers ehrfurchtsvoll behaupten, dass sie vor nichts und niemandem Angst habe. „Nicht mal vor dem Bundespräsidenten.“

Wer weiß? Vielleicht können sich Joachim Gaucks Leibwächter ja tatsächlich noch an den dunkelhaarigen Wirbelwind aus Euskirchen erinnern, der es 2014 bei einem offiziellen Empfang im Schloss Bellevue heimlich an ihnen vorbei bis an die Seite des damaligen Bundespräsidenten schaffte. Natürlich nicht nur wegen eines Erinnerungsfotos, sondern auch, um ihn flott mit ein paar unbequemen Fragen zu löchern.

Strahlend nahm sie den Preis entgegen

Am Freitagabend musste Nevin Sezgin keine Bodyguards austricksen, um mit Honoratioren ins Gespräch zu kommen. Strahlend nahm die 42-jährige Mutter von zwei Kindern im alten Rathaus den Margaretha-Linnery-Preis entgegen. Die Auszeichnung des Arbeitskreises „Frauen im Kreis Euskirchen“ wird seit 13 Jahren an Bürgerinnen verliehen, die sich besonders für die Sorgen und Nöte ihrer Geschlechtsgenossinnen einsetzen. Genau so, wie es Namensgeberin Margaretha Linnery vormachte, als sie um das Jahr 1600 in Münstereifel die erste öffentliche Schule für Mädchen gründete.

In diesem Jahr habe man sich zum ersten Mal bewusst für eine Person entschieden, die keinen großen Unterschied mache, wem sie helfe, so Monika Geusen-Trösser. „Die Vertreterinnen der zehn Gruppen unseres Arbeitskreises haben abgestimmt, und das Votum für Nevin Sezgin war eindeutig. Auch wenn ihre Hilfe nicht ausschließlich Mädchen und Frauen zugute kommt.“

In der offiziellen Begründung heißt es, Sezgin habe das Euskirchener Friedensfest mit gegründet und so maßgeblich zur Verständigung zwischen Völkern und Kulturen beigetragen. Auch ihr unermüdlicher Einsatz in der Unterkunft für Flüchtlinge, in der sie für das Deutsche Rote Kreuz tätig ist, und Sezgins Einsatz für die Aktion „One Billion Rising“ in Euskirchen, die Menschen zum friedlichen Widerstand gegen Gewalt aufruft, habe sie als Preisträgerin prädestiniert. Rita Witt, die im Namen der Stiftungen der Kreissparkasse Euskirchen gratulierte und neben dem Preisgeld auch eine wunderschöne Torte im Gepäck hatte, lobte vor allem die „offene, stürmische Art“ der neuen Preisträgerin.

In Laudatio auf den Punkt gebracht

Barbara Fischer vom DRK brachte es in ihrer Laudatio dann auf den Punkt: „Nevin ist eine Kämpferin. Für sie ist es vollkommen normal, ihre Freizeit anderen zur Verfügung zu stellen. Sie ist wie eine lichtdurchflutete Tür, die andere zum Durchgehen ermuntert: bunt, einladend und freundlich.“

Lobende Worte fand auch der stellvertretende Landrat Markus Ramers: „Man spricht ja heute gern von der sogenannten Leuchtturm-Funktion einer Person. Ich finde, die Jury hätte keinen helleren Leuchtturm finden können als Nevin.“ Der Preis selbst wird jedes Jahr individuell geschaffen. Diesmal stammte die Skulptur von Michaela Rübenach, war ganz aus Beton gefertigt und stellte eine kräftige Tänzerin im roten Kleid dar.

Dass sie so viel Ehre wirklich verdient habe, habe sie zunächst nicht glauben können, verriet die Preisträgerin in ihrer Dankesrede. Fügte jedoch augenzwinkernd hinzu: „Nach all euren netten Worten denke ich nun aber: Ja, doch. Ich muss das wohl verdient haben.“

Auch in Zukunft will die neue Preisträgerin Nevin Sezgin getreu ihrem persönlichen Motto leben, das schwer nach altem Philosophen klingt, dabei aber nichts anderes ist als die Erkenntnis einer klugen Frau, die immer einen Weg findet: „Einen friedlichen Ort gibt es nicht. Den müssen wir uns selbst erschaffen.“

3 Fragen an Nevin Sezgin

Frau Sezgin, Sie sind in Euskirchen geboren und besitzen schon lange einen deutschen Pass. Als Kind haben sie ein paar Jahre in der Türkei gelebt. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zur Kämpferin für das friedliche Miteinander der Kulturen gemacht hat?

Nevin Sezgin: Nein. Das hat sich einfach so entwickelt. Schon als Kind habe ich regelmäßig Briefe übersetzt, Frauen zum Arzt begleitet oder ihnen bei Problemen beigestanden.

Sie besitzen sehr viel Tatendrang. Welchen Rat geben Sie Menschen, die auch gern helfen würden, aber nicht so recht wissen, wie?

Sezgin: Helfen ist so einfach: Anlächeln und zuhören – das reicht oft schon. Ein Flüchtling, das ist doch auch bloß ein Mensch. Ein Mensch mit Problemen. Genau wie du und ich. Freundlich zu einander sein, sich gegenseitig zuhören – das ist oft schon Hilfe genug.

Wenn Sie für die Zukunft einen Wunsch frei hätten, was wäre ihr größtes Anliegen an die Menschen, in Euskirchen und überall?

Sezgin: Ich habe furchtbare Angst, seit die AfD immer stärker wird. Seit diese Partei auf dem Vormarsch ist, weht hier ein anderer Wind. Ein eiskalter Wind. Das spüre nicht nur ich, das sagen auch all meine Freunde, sogar die Kinder. Plötzlich ist da richtig viel Hass. Auf der Straße, in der Bahn, überall. Man wird auf offener Straße beschimpft und übel beleidigt, nur weil man anders aussieht oder spricht. Ich wünsche mir so sehr, dass sich das baldmöglichst wieder ändert.

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