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Polizei ermitteltBehinderter Euskirchener wurde sechs Mal in einem Jahr überfallen

Lesezeit 7 Minuten
Seit gut einem Jahr habe es eine Clique von Jugendlichen in Euskirchen auf ihren Sohn abgesehen, sagen die Eltern.

Seit gut einem Jahr habe es eine Clique von Jugendlichen in Euskirchen auf ihren Sohn abgesehen, sagen die Eltern.

  • Ein junger Mann aus Euskirchen ist binnen eines Jahres sechs Mal von einer Gruppe junger Leute überfallen, bedroht und bestohlen worden.
  • Der 22-Jährige ist körperlich und geistig behindert. Seine Eltern können aus Sorge um ihn nachts nicht mehr schlafen.
  • Sie haben einen Verdacht, wer für die Taten verantwortlich ist. Und sie wollen wissen, ob ihr Sohn vielleicht nicht das einzige Opfer solcher Überfälle ist.

Euskirchen – „Unser Junge steht im Bus noch auf, wenn jemand einen Sitzplatz braucht. Wo gibt es das heute noch?“, erzählt Walter Herzog über seinen Sohn Louis (Namen der Familie geändert). Der 22-Jährige, der geistig und körperlich behindert ist, sei sehr kontaktfreudig, offen und gutgläubig, ergänzt seine Mutter Rita im Gespräch mit dieser Zeitung.

So gutgläubig, dass er nach Angaben der Eltern zwischen Mai 2019 und Juni 2020 sechsmal in Euskirchen bestohlen, bedroht und überfallen worden ist. Verantwortlich dafür machen die besorgten Eltern eine Clique von Jugendlichen, die sich vermehrt am Euskirchener Bahnhof aufhalte. „Diese Leute sind berechnend und erschleichen sich das Vertrauen von Behinderten“, klagt Rita Herzog an.

Am Euskirchener Bahnhof

Voller Sorge um ihren Sohn und in der Hoffnung, dass sich weitere Opfer melden, haben sich die Eltern an diese Zeitung gewandt. Um sie und ihr Kind zu schützen, möchte die Familie anonym bleiben.

Das Martyrium von Sohn Louis habe im Mai des vergangenen Jahres begonnen, erzählen die Eltern. Am Euskirchener Bahnhof, wo ihr Sohn oft den Bus zur Arbeit nehme, habe die besagte Gruppe den 22-Jährigen angesprochen und ihm vorgegaukelt, seine Freunde zu sein. Eine Frau und ein Mann aus der Gruppe hätten sich daraufhin zum Kaffeetrinken mit ihrem Sohn in der Wohnung der Mutter in Euskirchen verabredet.

Polizei ermittelt

„Nach dem Treffen fehlten meinem Sohn zwei Handys und zehn Euro“, so die Mutter. Unmittelbar danach habe sie bei der Polizei in Euskirchen Anzeige wegen Diebstahls erstattet.

Die Euskirchener Polizei bestätigte, dass mehrere Anzeigen der Eltern vorliegen. „Wir wissen, wer für die Taten verantwortlich ist“, sagt Pressesprecher Franz Küpper: „Bei dem Kreis der Tatverdächtigen handelt es sich überwiegend um ein Klientel ohne festen Wohnsitz. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, klauen die jungen Erwachsenen und suchen sich dafür die Schwächsten aus, die sie vielleicht von früher kennen.“ Die Polizei wisse auch von weiteren Opfern dieser Clique.

Fußabdruck gesichert

Wenige Tage nach dem ersten Vorfall hätten zwei Frauen aus der Gruppe ihren Sohn auf dem Handy angerufen und aus dem Haus gelockt. In der Nähe seiner Wohnung soll der 22-Jährige von ihnen so hart ins Gesicht geschlagen worden sein, dass er mit blutigem Gesicht und kaputter Brille nach Hause gekommen sei. „Nach dem Überfall ist unserem Sohn wohl bewusst geworden, dass das keine Freunde sein können“, erzählt die Mutter weiter.

Wenige Tage später soll dann der nächste Schock gefolgt sein: „Als mein Lebensgefährte nach Hause kam, war unsere Haustür eingetreten. Geklaut wurde aber nichts“, so Rita Herzog. Die Polizei habe vor Ort einen Fußabdruck gesichert. Auf dem Handy sperrten die Eltern des Jungen daraufhin sämtliche Kontakte zur Gruppe.

Nach Jugendstrafrecht verurteilt

Für die Clique sei das nach Angaben der Eltern allerdings kein Grund gewesen, den Jungen in Ruhe zu lassen: Im Juli des vergangenen Jahres sollen drei der Jugendlichen ihrem Sohn nach dem Besuch einer Bar in Euskirchen aufgelauert haben. „Die standen um die Ecke, haben ihn festgehalten und ihm sein Portemonnaie und sein Handy geklaut. Das war am Europa-Kreisel“, berichtet die besorgte Mutter.

Eine Mappe voller Anwaltsschreiben und Briefe der Bonner Staatsanwaltschaft haben die Eltern beim Gespräch dabei. Der Pressesprecher der Bonner Staatsanwaltschaft, Dr. Sebastian Buß, bestätigt die Ermittlungen zu den Vorfällen aus 2019. Drei Jugendliche seien wegen des Raubüberfalls am Kreisel im Dezember nach Jugendstrafrecht verurteilt worden. Einer aus der Gruppe müsse in den Jugendarrest. Die Verfahren, die wegen der anderen Vorwürfe bezogen auf Louis geführt wurden, seien wegen des schwerwiegenden Raubüberfalls eingestellt worden. Allerdings ständen noch die Ergebnisse weiterer Verfahren, in denen sich einige Mitglieder der Gruppe verantworten müssten, aus.

Wiederholter Überfall

„Grundsätzlich gilt im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke. Die Strafverfolgung ist deshalb immer bemüht, die in ihrer Persönlichkeit noch nicht so gefestigten Straftäter mit den Maßnahmen des Jugendstrafrechts, wie etwa Sozialstunden oder Jugendarrest, auf den straffreien Weg zu bringen“, berichtet Buß. Und weiter: „Für Jugendliche, bei denen diese Maßnahmen nicht mehr greifen, sind dann natürlich auch Freiheitsstrafen mit und ohne Bewährung möglich.“ Dies sei aber erst der Fall, „wenn es gar nicht mehr anders geht“.

Wenige Monate nach den ersten Überfällen ist Louis Herzog bei seiner Mutter ausgezogen. Er wohnt seitdem in einer eigenen Wohnung in Euskirchen, in der der 22-Jährige regelmäßig von einer Betreuerin besucht und im Haushalt unterstützt wird. „Wir wollen unserem Sohn ein so eigenständiges Leben wie möglich ermöglichen“, sagt die Mutter: „Wegen der Vorfälle überlegen wir nun, ihn doch noch mehr betreuen oder umziehen zu lassen.“ Denn im Mai dieses Jahres soll der Sohn in Euskirchen erneut von der Gruppe angesprochen worden sein, die auch weiß, wo der 22-Jährige nun wohnt. „Wenn die ihn nett ansprechen, kann unser Sohn die Gefahr nicht einschätzen“, berichtet der Vater.

Tipps, wie man bei Gefahr richtig reagiert

Wer auf dem Nachhauseweg Betrunkenen oder Randalierern über den Weg läuft, sollte diesen nach Angaben der Euskirchener Polizei besser ausweichen und einen längeren Weg in Kauf nehmen.

„Einer empfundenen Gefahr aus dem Weg zu gehen, ist niemals ein Zeichen von Feigheit, sondern zeugt von gesundem Menschenverstand“, führt die Polizei aus. Wer dennoch in eine bedrohliche Situation geraten sollte, dem empfehlen die Beamten, sofort auf sich aufmerksam zu machen. Lautes Schreien von Sätzen wie „Fassen Sie mich nicht an!“ oder „Ich werde überfallen!“ kann helfen.

Passanten, die in dieser Situation helfen könnten, sollten aktiv angesprochen und um Hilfe gebeten werden, etwa durch die Aufforderung „Sie mit der blauen Jacke! Ich brauche unbedingt Hilfe!“ So könnten diese die Gefahr erkennen und gleich den Notruf 110 wählen.

Sichere Bereiche, um sich bei Gefahr zurückzuziehen, können laut Polizei ein offenes Geschäftslokal, öffentliche Verkehrsmittel, Tankstellen oder auch Taxen sein. Von dort sollte dann die Polizei angerufen werden. Wichtig sei, dass jede Tat zur Anzeige gebracht werde.

„Auch wenn Sie keine Bedrohung für sich persönlich sehen, sondern grenzüberschreitendes oder bedrohliches Verhalten von Einzelpersonen oder Gruppen gegenüber Ihren Mitmenschen beobachten, zögern Sie nicht, die Polizei zu verständigen“, empfehlen die Euskirchener Beamten weiter. (smh)

Wirkliche Angst habe sein Sohn aber keine. Die Jugendlichen hätten geklingelt, seien in die Wohnung gekommen und hätten einen Lautsprecher, Geld und das Handy des Sohnes gestohlen.

Erneut habe eine Jugendliche aus der Clique dann im Juni bei dem Sohn geklingelt. „An der Gegensprechanlage hat sie gesagt, dass sie von der Polizei ist. Und mein Sohn hat wieder die Tür geöffnet“, so der Vater. In der Wohnung soll der 22-Jährige mit einem Messer bedroht und seine Taschen durchsucht worden sein. Seitens der Betreuung von Louis Herzog räumt ein Verantwortlicher ein, die Vorfälle zu kennen und darüber den Vermieter des Hauses informiert zu haben. Mehr könne man zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu den Geschehnisse sagen. Die Polizei in Euskirchen bestätigt derweil, in dieser Sache weiter zu ermitteln.

Weiterhin Hoffnungsvoll

Für die Eltern bleibt die Hoffnung, dass die Überfälle auf ihren Sohn ein Ende nehmen. „Wir können nachts nicht mehr schlafen, solche Sorgen machen wir uns um unseren Sohn“, sagt der Vater. Durch die Behinderung des 22-Jährigen wüssten die Eltern nie, ob er sich beim nächsten Treffen mit der Clique wieder überreden lasse und den Jugendlichen die Tür öffne. Mehr, als dem Sohn gut zureden, könnten die Eltern nicht.

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Da sie sich vorstellen können, das auch andere von der Gruppe bedroht werden, wollen sie durch die Berichterstattung warnen. „Die Polizei kann sich noch so viel Mühe geben, solange die frei herumlaufen, ist das Risiko da“, so der Vater. „Ich verlange nicht, dass man die Täter wegsperrt. Aber sie müssen mehr an die Hand genommen und kontrolliert werden, sonst machen die so weiter“, so Rita Herzog.

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