Projekt in EuskirchenGeschwister von behinderten Kindern geraten oft aus dem Fokus

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Die Mädchen und Jungen gaben ihrer Gruppe den Namen „Regenbogensternchen“.

Die Mädchen und Jungen gaben ihrer Gruppe den Namen „Regenbogensternchen“.

  • Wenn Kinder krank oder behindert sind, geraten die gesunden Geschwister oftmals aus dem Fokus.
  • Die Diakonie Euskirchen hat deshalb im vergangenen Jahr das Geschwisterkinderprojekt „Jetzt komme ich!“ gestartet.

Euskirchen – Ein behindertes Kind zu haben, stellt Eltern im Alltag vor viele Herausforderungen. Im Fokus steht meist die Bewältigung eines streng durchgetakteten Tages mit Arzt- und Therapeutenbesuchen, häuslicher Förderung, oft intensiver Betreuung und nicht enden wollenden Auseinandersetzungen mit Behörden und Krankenkassen.

Aber nicht nur der Alltag der Eltern ist anstrengend. Geschwisterkinder, die mit einem Bruder oder eine Schwester mit Behinderung aufwachsen, tragen oftmals einen großen Teil der Belastung mit. Sie machen Erfahrungen, die andere Gleichaltrige oftmals noch nicht machen und lernen früh, die eigenen Bedürfnisse, Sorgen und Ängste hintanzustellen.

Es ist okay, wenn einem der behinderte Bruder peinlich ist

Der Titel „Jetzt komme ich!“ sollte deshalb Programm werden bei einem Geschwisterkinderprojekt, das die Diakonie Euskirchen im vergangenen Jahr erfolgreich aus der Taufe gehoben hat. Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 14 Jahren waren eingeladen, an einer Gruppe teilzunehmen, die sich regelmäßig in den Räumen der Diakonie traf, um gemeinsam zu reden, zu lachen und den eigenen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben.

„Wir wussten im Vorfeld nicht, inwieweit die Kinder bereit sind, sich auf emotionale Themen einzulassen“, erzählte Denise Vogel, die die Gruppe gemeinsam mit Kollegin Ramona Krahe anleitete. Doch etwaige Bedenken waren völlig unangebracht: Für die Kinder waren die Treffen eine willkommene Gelegenheit, ganz offen auch über ihre Gefühle zu sprechen.

„Das Eis war schnell gebrochen“, so Vogel. Und beim ersten Treffen, das mit einem Pizzaessen einherging, wurde schnell klar: Alle am Tisch haben etwas gemeinsam. Vogel: „Das Schöne war, dass die Kinder auch ohne Anleitung zeitweise über Tiefgründiges gesprochen haben, im nächsten Moment aber schon wieder über irgendein Youtube-Video lachen konnten.“ Zu merken, dass auch die anderen sich bisweilen ärgern, wenn Menschen den Bruder oder die Schwester anstarren, andere Kinder abfällige Bemerkungen machen oder manch einer mit überbordendem Mitleid auf die Behinderung reagiert, tat den Mädchen und Jungen gut.

Ausflüge, Kinoabende und Kreatives

Das Projekt „Geschwisterkinder – Jetzt komme ich!“ richtet sich an Mädchen und Jungen zwischen zehn und 14 Jahren, die ein Geschwisterkind mit einer Behinderung haben. Im Laufe des Jahres werden regelmäßige offene Treffen angeboten, bei denen Ausflüge, Kinoabende oder Kreatives auf dem Plan stehen. Das Angebot für die Kinder ist kostenfrei (nur Eintrittsgelder müssen selber getragen werden).

2018 war das Projekt mit einer festen Gruppe gestartet worden, in der die Jungen und Mädchen ein dreiviertel Jahr lang regelmäßig ihre Bedürfnisse und Gefühle in den Mittelpunkt rückten und sich mit Gleichaltrigen in ähnlicher Situation austauschen konnten.

Je nach Bedarf wird es bald wieder eine solche feste Gruppe geben. Interessierte Familien können sich an die beiden Diakonie-Mitarbeiterinnen Denise Vogel, Tel. 0 22 51/92 90 17, oder Ramona Krahe, Tel. 0 22 51/92 90 15, wenden.

Oft übernehmen Geschwisterkinder eine Art Beschützerrolle und geraten in einen Gewissenskonflikt, wenn sie sich über ihren Bruder oder ihre Schwester einmal ärgern. Oder schlimmer noch: wenn sie sich für etwas schämen, vielleicht für einen Ausraster ihres Geschwisterkindes in der Öffentlichkeit. „Klarzumachen, dass sich alle Brüder und Schwestern gegenseitig mal ärgern und sich peinlich finden, dass es ganz normal ist und dazugehört, ist für solche Kinder wichtig“, so Vogel.

Zweimal luden die Kinder ihre Geschwister mitsamt der Eltern ein. „Vor allem das Abschlussfest war sehr bewegend“, so Nadine Günther, Diakonie-Geschäftsführerin für den Bereich Behinderten- und Familienhilfe. „Da wurde allen geballt bewusst, was und wie viel bei den zwölf Treffen gemacht wurde.“ Von kleinen Schatztruhen, in die die Jungen und Mädchen Erinnerungsstücke legen konnten, bis zu „Hilfe-Karteikarten“, auf denen jeder für sich festhielt, was hilft, wenn es einem einmal schlecht geht.

Vor allem die bunten „Eigenschaftsgläser“ hätten alle sehr gerührt: Die behinderten Geschwister wurden gebeten, Gläser mit verschieden farbigem Sand zu füllen und jede Farbe mit einer positiven Eigenschaft ihres Bruders oder ihrer Schwester zu verbinden. „Das war für die Kinder wie eine warme Dusche – und es flossen hie und da sogar ein paar Tränen“, so Günther.

Die Rückmeldung seitens der Eltern sei überwältigend gewesen. Alle waren sich einig: Die Gruppentreffen waren Höhepunkte im Alltag ihrer Kinder und hätten Spuren im Familienalltag hinterlassen. „Wir können uns gut vorstellen, wieder so eine angeleitete Gruppe anzubieten, wir wollen aber zunächst den Bedarf ausloten“, erklärte Nadine Günther. Eltern sollen sich gerne melden, wenn sie Interesse oder Anregungen haben. Das Geschwisterkinder-Projekt sei auch erst entstanden, nachdem eine Mutter es angeregt habe.

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