Existenziellen Schicksale und überwältigende HilfeDer 14. Juli veränderte die Region

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Dem Dank an die Helfer wird vielerorts Ausdruck verliehen.

Dem Dank an die Helfer wird vielerorts Ausdruck verliehen.

Kreis Euskirchen – Der Tag, an dem das Wasser kam. So oder so ähnlich wird der 14. Juli 2021 in die Geschichte eingehen. Einen Monat ist dieser Tag nun her, als die Katastrophe über unsere Heimat hereinbrach. Der Tag, der so viele Leben kostete, der so viele Existenzen zerstörte, so viel Arbeit zunichtemachte, so viele Träume wie Seifenblasen zerplatzen ließ.

Schäden lassen sich irgendwann auf Heller und Pfennig genau erfassen. Die Kommunen tragen fleißig zusammen, was alles zerstört ist. Gerechnet wird nur in Millionen, die sich zu Hunderten Millionen summieren, zu Milliarden. Wenn auch die einzelnen Zahlen kleiner sind: Jeder Hausbesitzer, jeder Betroffene macht die gleiche Rechnung auf. Und auch die Summe wird in die Millionen, in die Milliarden gehen.

Viele Menschen sind in dieser Nacht über sich hinaus gewachsen

Nackte Zahlen lassen nur fassungslos vor der Dimension dessen verharren, was verloren ist. Sie lassen die schier unglaubliche Kraftanstrengung, die der Wiederaufbau bedeutet, bestenfalls erahnen. Zahlen sind kalt, Zahlen sind leblos. All die Sorgen, all den Schmerz – all den Mut und all die Tatkraft, die der Tag, an dem das Wasser kam, tatsächlich bedeuten, werden sie nie beschreiben können. Die Geschichten dieses 14. Juli, dieser Nacht, der folgenden Tage, Wochen, Monate und wahrscheinlich Jahre alle zu erzählen, wird nie möglich sein. Jeder einzelne hat seine Geschichte. Und jede einzelne Geschichte ist wichtig.

All die, die in dieser Nacht über sich hinausgewachsen sind, werden nie erfasst werden können. Ist es der Feuerwehrmann, der sich eine Leine hat umbinden und in die Strömung des wütenden Flusses treiben lassen, um einen Hilflosen zu retten, der sich so verzweifelt an einem Brückengeländer festgeklammert hat? Ja! Ist es der Zivilist, der ein Kind aus den Fluten gerettet und dabei selbst sein Leben gelassen hat? Ja!

Sind es diejenigen in den sicheren Höhenorten, die die Evakuierten, die durchnässt Gestrandeten aufgenommen und ihnen in diesen schrecklichen Stunden ein Gefühl der Sicherheit gegeben haben? Ja! Sind es diejenigen, die um ihr Leben gefürchtet haben, sich irgendwie zur Besonnenheit haben zwingen müssen und die sich zuerst in die erste Etage, dann auf den Speicher geflüchtet haben? Ja!

Sind es diejenigen, die ihrem Selbstverständnis, zu helfen, nicht folgen konnten und irgendwie akzeptieren müssen, dass ihnen nur blieb, ohnmächtig vor der Wucht der Katastrophe zu kapitulieren? Ja!

Eine Region rückt zusammen – und erhält Hilfe aus der ganzen Republik

Es folgt die Erkenntnis, als der neue Tag dämmert. Als das Wasser langsam weicht. Als klar wird, dass die Heimat zerstört ist. Als klar wird, dass nichts mehr ist, wie es war. Dass der Schrecken nicht im Dunkel der Nacht bleibt. Als die Menschen sich durch die Trümmer in ihren Häusern kämpfen, knöcheltief im stinkenden, schleimigen Schlamm auf der Straße stehen. Der Unglaube, der Schock. Als sie ihrer Trauer Ausdruck verleihen. Als sie sich in den Arm nehmen, verzweifelt versuchen, sich gegenseitig Kraft und Zuspruch zu geben. Als sie, als all die Einsatzkräfte und Krisenstäbe wissen, dass die echte Herausforderung jetzt erst beginnt.

Als sie die Herausforderung annehmen – jeder für sich, alle gemeinsam. In diesen Stunden des 15. Juli scheint es unmöglich, der Zerstörung Herr zu werden, all den Müll und Schlamm irgendwie aus den Häusern und Orten herauszubekommen: Wo soll man nur anfangen in all dem Chaos? Irgendwo!

Daraus entwickelt sich ein besonderer Geist. Eine Region rückt zusammen – und sie erhält Hilfe aus der ganzen Republik. Dass in solch einer Lage Feuerwehr, DRK, THW, Polizei und Bundeswehr von überall her anrollen, ist in Konzepten verankert. Auch sie sind wichtige Steinchen im großen Mosaik, das diese Katastrophe irgendwann zeigen wird – aber es ist auch ihr Job, sie sind dafür ausgebildet. Auch sie haben nicht lange gefragt, nicht lange diskutiert, sondern einfach angepackt.

Überwältigenden Hilfe von allen Seiten

Es ist unmöglich, einzelne herauszustellen. Wer soll’s denn bitte sein? Der Bürgermeister, der Schlafsack und Decke mit ins Büro bringt, weil er keine Zeit für eine Heimfahrt vergeuden kann und will, kommt infrage. Die ganz jungen Ortsvorsteher, die erst wenige Monate im Amt sind und plötzlich die örtlichen Krisenmanager sind, ebenso. Sowieso all die Landwirte, Lohnunternehmer, Bagger- und Treckerfahrer, die mit großem Gerät anrücken und den Kampf mit den Müllbergen aufnehmen.

Erst recht die ungezählten Helfer mit leichtem Gerät: So viele kommen aus der Region, so viele reisen Hunderte Kilometer an, um mit Schaufel und Eimer anzupacken. Sie bilden eine stattliche Armee, ohne die die unglaublichen Fortschritte ebenfalls nicht denkbar wären. Sie gehen zu den Menschen, räumen Keller um Keller aus, Zimmer um Zimmer. Dass man sich vorher nie gesehen hat, spielt keine Rolle. Es wird gemeinsam angepackt, gemeinsam geweint – und gelacht. Auch das macht den Geist dieser Tage aus. So oft ist zu hören: „Wenn wir den Humor verlieren, muss man sich wirklich Sorgen machen.“

Nicht vergessen werden dürfen all die Spender, die liebevoll Pakete mit all dem bestücken, was die Menschen, die alles verloren haben, gebrauchen können. Nein, nicht gemeint sind die, die tatsächlich denken, mottenzerfressene und dreckige Altkleider als „Spenden“ entsorgen zu können. Hier kommt schon die nächste Gruppe ins Spiel: All die, die in den Ausgabestellen sortieren und dafür sorgen, dass derartiges die Betroffenen nicht beschämen kann.

Keine Zeit für Knurrer und Kleingeister

Sie alle bestimmen den besonderen Geist dieser Tage und Wochen. Es sind die großen Maschinen und Gruppen, die enorme Mengen bewegen können. Und es sind die ganz kleinen Gesten. Derjenigen etwa, die es nicht übers Herz gebracht haben, ein Foto oder ein Album mit Familienbildern auf den großen Müllhaufen zu schmeißen. Die ein über und über schlammverkrustetes Kuscheltier mitgenommen und es gewaschen haben. Die Bilder davon gepostet haben – in der Hoffnung, den Besitzern einen kleinen Lichtblick schenken zu können, wenn sie diese kleinen, so persönlichen Dinge zurückbekommen.

Empathie und Großherzigkeit dominieren diese Zeit. Ja, es gibt auch die Knurrer und Kleingeister – doch eine entscheidende Rolle spielen sie nicht. Dafür ist schlicht keine Zeit.

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Einen Monat nach dem Tag, als das Wasser kam, ist unglaublich viel getan. Nun bricht für viele eine Zeit relativer Ruhe an. Das Auspowern beim Aufräumen ist beendet, die Häuser müssen trocknen, der Wiederaufbau muss geplant werden. Die Gedanken kommen, die Trauer wird sich vielerorts massiv Bahn brechen, viele werden professionelle Hilfe benötigen.

Unglaublich viel ist noch zu tun, Monate und Jahre werden die Menschen mit den Folgen der Katastrophe zu kämpfen haben. Sie werden sie meistern, wenn der Geist der vergangenen Wochen es schafft, die Region weiter zu tragen. Irgendwann wird die Frage gestellt werden: Sollen Orden verteilt werden für Heldenmut, für Tapferkeit, für großartige Leistungen? Ja. Exakt einer. Symbolisch. Für die Eifel. Für eine Region, die sich nicht unterkriegen lässt.

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