HalbjahreszeugnisseNach Flut und Corona haben Noten einen anderen Stellenwert

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An vielen Schulen im Kreis wurden am Freitag die Halbjahreszeugnisse verteilt.

Kreis Euskirchen – Als wäre die Corona-Pandemie nicht schon schwierig genug, hieß es für viele Schülerinnen und Schüler im Kreis nach den Sommerferien: Lernen, während im Nachbarraum der Presslufthammer arbeitet. Auch die 15-jährige Pia Jacobs und ihre Familie aus Euskirchen sind von der Flut betroffen. Das Wasser war am 14. Juli vom Feld gekommen und hatte den Keller, das Erdgeschoss und die Garage geflutet. Mit ihren Großeltern war Jacobs am Abend zunächst allein daheim, versuchte noch zu retten, was zu retten war. „Meine Sommerferien bestanden darin, Schubkarren mit Schlamm wegzubringen“, erinnert sich Jacobs.

Zeugnistelefon

Für Schüler, Eltern und Lehrkräfte hat die Bezirksregierung Köln das sogenannte Zeugnistelefon geschaltet. Experten der Schulabteilung bieten auch noch am Montag, 31. Januar, und Dienstag, 1. Februar, jeweils von 10 bis 12 Uhr und 13 bis 15 Uhr Beratungen, unter anderem bei Fragen zur Notengebung, unter 02 21/1 47 20 00 an. (jes)

Jacobs besucht die zehnte Klasse der Gesamtschule Euskirchen. Nach den Ferien zurück in die Schule zu gehen, sei für die Schülerin einfach gewesen. Die Ereignisse habe sie natürlich im Hinterkopf gehabt, „aber meine Eltern sagten, dass ich mich jetzt auf die Schule konzentrieren soll“. Dadurch sei das erste Halbjahr ganz gut verlaufen. „Nur zuhause zu lernen, war durch den Baustellenkrach etwas schwierig“, erzählt Jacobs.

Schule war Zufluchtsort

Für viele Schülerinnen und Schüler sei die Schule ein Zufluchtsort gewesen, sagt Jacobs. „Wir haben ja alle das Gleiche erlebt. Wir hatten alle keine Ferien. Dadurch haben sich mehr Schüler verstanden gefühlt.“ Das bestätigt auch der Leiter der Gesamtschule Euskirchen, Thomas Müller: „Die Schule war eine vertraute Umgebung und gab ein Sicherheitsgefühl.“ Mit Gesprächsangeboten habe die Schule versucht, die Betroffenen zu unterstützen. „Wir waren da und haben versucht, eine Struktur zu geben“, so Müller. Aber er gibt auch zu: „Ich habe noch nie erlebt, dass Schülerschaft und Kollegium Ferien nötiger hatten als diese Herbstferien.“

„Beide Situationen haben unterschiedliche Schwierigkeiten mitgebracht. Zusammen waren sie aber vor allem für die Betroffenen schwierig“, sagt Anna-Lena Neuß (17) über das vergangene Halbjahr mit Corona und Flut. Die Zehntklässlerin des Johannes-Sturmius-Gymnasiums in Schleiden engagiert sich auch in der Schülervertretung (SV). „Manche sind mit ihren Noten nicht ganz so zufrieden und machen sich Sorgen. Flutbetroffene machen sich doppelt Sorgen“, fährt Neuß fort. „Viele wissen, dass ihnen Stoff fehlt“, bestätigt auch Anna-Lenas SV-Kollege Christian Baran (14).

Wissensschwächen seien fächerabhängig

Besonders Schüler der Abschlussjahrgänge hätten Angst, so Neuß, dass auf den Halbjahreszeugnissen Noten auftauchen, die nicht gut sind. Schließlich müssen sie sich damit meist bewerben. Diesen Sorgen entgegenzuwirken, das versucht Schulleiter Georg Jöbkes mit Förder- und Gesprächsangeboten: „Viele Schüler müssen mehr kämpfen, diese Entwicklung merken wir schon.“ In den Konferenzen vor den Zeugnissen habe es intensive Gespräche gegeben. Aber die Schwächen seien zum Teil fächerabhängig. Ein genereller Trend sei nicht erkennbar.

„Es gab Fälle, da wollten Schülerinnen und Schüler abbrechen, weil sie Angst vor Lücken haben. Dabei sind die Noten gar nicht danach“, sagt Jöbkes. Von einer Abmeldungswelle könne aber keine Rede sein: „Schülerinnen und Schüler gehen bewusster mit der Frage der Schullaufbahn nach der neunten Klasse um. Einige, die nur die Einführungsphase (EF) machen wollten, sind immer noch dabei und machen jetzt ihr Abitur.“ Die Einschätzung des Kollegen in Schleiden kann auch Müller bestätigen: „Es sind in der EF mehr Schülerinnen und Schüler als im Vorjahr. Aber es ist schwer auseinanderzuhalten, was durch die Flut und was durch Corona bedingt wird.“ Jedoch merkt Müller auch an, dass sich das Niveau der Noten geändert habe. „Das erlernen von Fremdsprachen unter Corona-Bedingungen ist der Horror.“

Bernhard Helfer, Schulleiter des St.-Angela-Gymnasiums in Bad Münstereifel, gibt aber auch zu bedenken, dass die Leistungen unter Maßgabe der Umstände zu betrachten seien. Deswegen habe es bei den Zeugniskonferenzen an seiner Schule ein relativ normales Bild gegeben: „Signifikante Ausschläge sind bei den Noten nicht zu erkennen.“ Trotzdem habe er Sorge, wenn er auf die Zeugnisse schaue: „Weniger wegen Leistungsdefiziten, mehr aufgrund der psychologischen Situation.“ Auch wenn es durch Corona Lücken gebe, so der Schulleiter. Der Bedarf an Bildungsgutscheinen vom Land, den die Lehrer regelmäßig ermitteln, sei gestiegen, je näher die Zeugnisse kamen. „Aber das Kollegium weiß, wo es brennt, und hat rechtzeitig die Gießkanne in der Hand.“

Corona und Flut ändern Einstellungen zu Noten

Corona und die Flut hätten aber etwas an der Einstellung der Eltern zu den Noten geändert, so Helfer: „Eltern sehen, dass psychosoziale Folgen vor den Leistungen stehen. Besonders bei den Flutbetroffenen. Da hat die Frage nach den Leistungen einen anderen Stellenwert.“ Allgemein seien Schüler sehr fokussiert und kooperativ. Aber Helfer ist sich auch sicher: „Die langfristigen Folgen werden uns noch lange beschäftigen.“

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„Wir wurden als sicherer Hafen wahrgenommen“, beschreibt Torsten Wanasek, Leiter der Hermann-Josef-Grundschule in Euskirchen, die Wochen nach der Flut. Denn anders als bei vielen Schülern daheim war das Schulgebäude nicht von der Flut betroffen. „,Hier ist alles gut und heile’ war das Thema bei den  Schülern. Es gab Normalität trotz Corona“, so Wanasek. Trotzdem hätten  er und sein Kollegium versucht, den Stundenplan in den ersten Wochen möglichst ruhig anzugehen und die Kinder anders zu fördern.

Kein Leistungstief in Grundschulen

Ein Leistungstief habe es durch die Flut aber an seiner Schule nicht gegeben – und auch nicht durch Corona. „Im vergangenen Halbjahr gab es keinen Wissensverlust“, so Wanasek. Das Wissen sei da, das Problem sei vielmehr, dass das Wissen bei den  Schülern meist nicht fest verankert sei. Die Schule versucht dem mit Hilfsangeboten wie zusätzlichen Stunden oder dem Landesprogramm „Aufholen nach Corona“ entgegenzuwirken und bei Lücken frühzeitig mit den Eltern in Kontakt zu treten. Zusätzlich gebe es bei dem Wechsel in die fünfte Klasse  Übergabegespräche bei Kindern, die „Sorgen im Bauch“ haben, wie Wanasek es ausdrückt.

Ein Vater habe Wanasek erzählt, dass sein Sohn sogar früher aufstehe, um vor der Schule noch zum Test gehen zu können: „Die Kinder tun alles dafür, um in die Schule zu kommen und Freunde zu treffen.“

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