Dunkle Ära im Kloster SteinfeldSo wurden Kinder in der „Besserungsanstalt“ erzogen

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Strenge Zucht und Ordnung herrschte lange Jahre in Steinfeld. Der Aufmarsch dürfte zwischen 1850 und 1873 bildlich festgehalten worden sein.

Strenge Zucht und Ordnung herrschte lange Jahre in Steinfeld. Der Aufmarsch dürfte zwischen 1850 und 1873 bildlich festgehalten worden sein.

Kall-Steinfeld – Wie eine „Oase in der Wüste“ beschrieb 1860 eine Werbebroschüre der Aachener Regierung die Königlich Preußische Erziehungs- und Besserungsanstalt in den Steinfelder Klostermauern. Mit der „Wüste“ war damals Preußisch Sibirien, nämlich die Eifel, gemeint.

Vortrag

Steinfeld ganz anders erleben kann man am Freitag, 16. November, ab 20 Uhr. Helmut J. Kirfel lädt dann zu einem Vortrag in den Hermann-Josef-Saal des Salvatorianer-Klosters ein.

Thematisiert wird eine oft verdrängte Periode des Klosters, nämlich die Zeit von 1853 bis 1923. Damals beherbergte es eine (königlich-) preußische Erziehungs- (und Besserungs-) Anstalt. (pe)

Helmut J. Kirfel, langjähriger stellvertretender Schulleiter des Hermann-Josef-Kollegs, der heute das Pfarrarchiv betreut, versieht diesen Titel allerdings mit einem Fragezeichen. Er hat sich intensiv mit der Geschichte dieser Anstalt befasst, die 70 Jahre lang, von 1853 bis 1923, bestand. Es handele sich um eine oft verdrängte Periode der Geschichte des Klosters Steinfeld, die er in einem Vortrag am Freitag, 16. November, wieder lebendig werden lässt. Und seine Zuhörer sollen selbst beantworten können, ob die Zustände damals wirklich so rosig waren, wie vordem geschildert.

Nach der Säkularisierung von 1802 durch Napoleon und der Versteigerung der Steinfelder Liegenschaften habe die preußische Regierung 1845 die Immobilien zurückgekauft, weil sie dort eine Erziehungs- und Besserungsanstalt für katholische, straffällig gewordene Kinder und Jugendliche gründen wollte.

„Das hat seinen Reiz durch das Verschweigen“, begründet Kirfel sein Interesse an dieser Zeit. Nachdem er im Frühjahr die Geschichte Steinfelds in der Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet hatte, widmet er sich nun diesem gerne verdrängten Thema.

Erschreckend seien damals die zeitweilig geradezu militaristischen Erziehungspraktiken gewesen, auch wenn man fortdauernd behauptet habe, diese seien religiös fundiert. Hinzu kamen die aus heutiger Sicht äußerst schwierigen Lebensverhältnisse: „Es gab relativ bescheidene sanitäre Möglichkeiten und eine manchmal auch problematische medizinische Versorgung“, erläutert Kirfel. Zunächst habe man für die 350 Kinder und Jugendlichen und deren Betreuer noch nicht einmal fließendes Trinkwasser gehabt. Erst ab 1879 habe eine Trinkwasserpumpe aus dem Tal genutzt werden können.

Kinder nicht strafmündig

Aus heutiger Sicht seien die Kinder, die dort gebessert werden sollten, noch gar nicht strafmündig gewesen. Doch nach dem preußischen Strafrecht – insbesondere vor 1871 – wurden auch Kinder, die wegen Bettelei aufgegriffen wurden, in solch einer Besserungsanstalt erzogen.

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„Es gab eine hohe Sterblichkeitsrate unter den Kindern und Jugendlichen“, erläutert Kirfel. In 70 Jahren seien 83 gestorben, darunter fast 80 in den ersten 40 Jahren. Man müsse allerdings bedenken, dass damals noch die Sterberate höher als heute gewesen sei. Und die Kinder seien oft mangelernährt gewesen, verwahrlost, häufig mit ansteckenden Krankheiten infiziert und auch – auf niedrigem Niveau – kriminalisiert gewesen.

Lediglich vier, bisweilen fünf Lehrern für die Schulpflichtigen habe etwa ein Dutzend „Führer und (Handwerks-)Meister“ für die Berufsausbildung der Älteren gegenübergestanden. Von vier Direktoren seien drei völlig überfordert gewesen, darunter war sogar ein schwerer Alkoholiker.

Falsch sei allerdings die oft zu lesende Behauptung, es habe sich komplett um eine klosterlose Zeit gehandelt. 20 Jahre lang, von 1857 bis 1877, habe diese Anstalt eine klösterliche Niederlassung der Trierer Borromäerinnen beherbergt.

Und zwischen 1916 und 1923 hätten in Steinfeld die Salvatorianerinnen ihre erste offizielle Niederlassung in Deutschland begründet. Sie seien auch der Grund dafür gewesen, dass später auch die Salvatorianer kamen, nicht umgekehrt.

Der Vortrag von Helmut J. Kirfel kann nur einen kleinen Ausschnitt seiner Forschungsergebnisse darstellen. In diesem und im nächsten Kreisjahrbuch kann man aber detailliert nachlesen, was der studierte Historiker alles über diese 70 Jahre in Steinfeld herausgefunden hat.

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