„War 30 Jahre Kunde“Abschied vom Kiosk – „Helgas Büdchen“ kommt ins Freilichtmuseum

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Fast 40 Jahre stand der Kiosk hinter dem Hauptbahnhof in Bonn. Bald soll er im Freilichtmuseum Kommern zu besichtigen sein.

Bonn/Kommern – Knapp 40 Jahre stand das blaue unscheinbare Büdchen an der Ecke Meckenheimer Allee/Colmantstraße, gleich hinter dem Bonner Hauptbahnhof. Es versorgte die Nachbarschaft mit Zeitungen und Zeitschriften, diente als Treff- und Anlaufpunkt. Jeder kannte Betreiberin Helga Karsten, und Helga Karsten kannte die Menschen. Seit gestern Mittag ist das Geschichte. Denn das Büdchen ist umgezogen – ins LVR-Freilichtmuseum nach Kommern.

Nach Tod von Helga: Weiterbetreibung vom Bonner „Büdchen“ war keine Option

„Diese Bude funktioniert nur mit meiner Tante Helga“, sagte Herbert Conzen. Im Mai dieses Jahres war Helga Karsten verstorben, seitdem steht der Kiosk leer. Das Büdchen selbst weiterbetreiben, kam für den Schreinermeister deshalb nicht infrage. Umso mehr habe er sich gefreut, als er eines Tages den Anruf vom Freilichtmuseum Kommern bekam, ob das Büdchen in die Eifel umziehen dürfe.

Der Tipp kam von Dirk Wieseler. Er kennt dieses Büdchen seit zehn Jahren, kaufte selbst bei Helga, wie die Besitzerin von allen genannt wurde, ein. Mit seinen Kindern besuche er zudem häufig das Freilichtmuseum, berichtete Wieseler. So sei ihm die Idee gekommen. „Da habe ich einfach eine Mail hingeschrieben“, sagte er weiter.

Ein Kiosk mit Geschichte

Bereits seit 1949 steht an dieser Stelle in Bonn ein Zeitungsverkaufstand, wodurch die Stadt Bonn versuchte, den „wilden Zeitungshandel“ in der Umgebung zu beseitigen. 1979 wurde die kleine Hütte, die es zu Anfang war, durch einen mobilen Verkaufsanhänger ersetzt. Der charakteristische weiße Schriftzug „Frankfurter Rundschau“ auf blauem Grund gehört seit 1959 zum Büdchen und wurde als Dachumrandung auch für den Anhänger genommen.

1984 kaufte Helga Karsten das Büdchen der Vorbesitzerin ab. Sie öffnete es bis zum Mai 2021 fast täglich. Karsten soll eine soziale, interessierte und belesene Frau gewesen sein, erzählen die Anwohner. Oft habe sie im Kiosk gelesen oder geraucht – dafür sei sie aber vor die Türe gegangen, berichten die Anwohner weiter.

Das Zeitungs- und Zeitschriftensortiment sei umfangreich und hochwertig gewesen. Karsten habe versucht, jeden Leserwunsch zu erfüllen, heißt es.

Dr. Josef Mangold, der Leiter des Museums, war zunächst überrascht, freute sich aber sehr: „Wir sind auf Tipps aus der Bevölkerung angewiesen. 90 Prozent der Gebäude erhalten wir so.“

Nachdem die Wurstbraterei aus dem Kölner Tatort im letzten Jahr ebenfalls ins Freilichtmuseum umgezogen ist, soll auch der Kiosk irgendwann den Marktplatz Rheinland ergänzen, so Mangold: „Wir wollen die Veränderungen in den Dörfer zeigen – wie der technische Fortschritt auf dem Land stattfand. Die jüngere Vergangenheit hat sich so rasant verändert, so rasant haben es die vergangenen 500 Jahre nicht getan.“

Patina und Graffiti von „Helgas Büdchen“ bleiben erhalten

Genau wie im echten Leben soll es auch künftig Zeitungen und Süßigkeiten am Kiosk zu kaufen geben. Und da es noch die originalen Zeitungen vom Todestag der Besitzerin gibt, sollen auch die wieder einen Platz im Büdchen finden. „Die Bude ist wichtig, aber die Geschichte um die Bude ist wichtiger“, sagte Mangold.

Die Kleinigkeiten seien das Entscheidende – auch die Graffiti außen und die vom jahrelangen Rauch vergilbte Innenverkleidung. „Der Kiosk wird restauriert, aber die Patina und die Graffiti bleiben erhalten“, versprach Mangold.

Bevor der Kiosk im Freilichtmuseum einen Platz bekommt, musste er erstmal die rund 60 Kilometer lange Fahrt überstehen. Dafür waren bereits seit 7 Uhr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums in Bonn, um das Büdchen reisefertig zu machen. Groß ist der Kiosk nicht, gerade einmal acht Quadratmeter. Obwohl das Büdchen auf einer Achse aufgebaut wurde, hatte es keine Räder mehr, sondern war auf Steinen aufgebockt.

Ein Kiosk zieht um: Ein komplizierter Transport mit dem Tieflader

Ein Tieflader musste das Büdchen daher transportieren. „Da ist doch mehr Rost, als wir annahmen“, sagte Mangold. Im Vorfeld habe er mit seinen Kollegen das Büdchen zwar oft begutachtet, da unten um den Kiosk jedoch eine Verkleidung fest montiert war, wusste das Team nicht, wie es unter dem Büdchen wirklich aussieht. Doch Mangold blieb optimistisch: „Das ist doch das Spannende dabei.“

Die Bude auf den Tieflader zu bekommen, war gar nicht so einfach. Gleich neben dem Büdchen war noch das Gestell eines ehemaligen Zigarettenautomaten, hinter dem Kiosk stand direkt ein Schaltkasten, der das Büdchen mit Strom und auch einem eigenen Festnetzanschluss versorgte. Für die Verantwortlichen bedeutete das Millimeterarbeit. Nachdem die Leuchtreklame vom Dach abgenommen war, konnte der Kiosk als Ganzes in die Luft gehoben werden.

Bevor er sicher auf dem Tieflader für den Transport abgestellt werden konnte, musste zunächst aber noch ein Teil der Verkleidung gelöst werden. Conzen ließ es sich nicht nehmen, das selbst zu tun: „Als Handwerker kann man nicht anders. Und das ist jetzt der passende Abschluss.“

Bonn: Anwohner verabschieden sich vom „Büdchen“

Spannend war es auch für die Anwohner, die normalerweise immer ihre Zeitung im Kiosk gekauft haben. Viele sind am Morgen der Einladung von Anwohner Bernd Martinius gefolgt, um sich von „ihrem“ Büdchen zu verabschieden. Zusammen haben sie belegte Brötchen und Berliner sowie Kaffee vom Bäcker nebenan organisiert. „Es war ein Teil von uns“, sagte Martinius. „Ich war seit über 30 Jahren Kunde. Das war ein Anlaufpunkt“, erzählte er.

Auch Matthias Buchholz wird das Büdchen vermissen, wie er sagte. Der Geschichtsstudent wohnt direkt neben dem Kiosk und ging mindestens einmal am Tag zu Helga Karsten. „Es war wie ein Ritual, mal dauerte der Besuch eine Minute, mal drei Stunden“, berichtete er lachend. „Niemand hörte sich so viel über meine Hausarbeiten an wie Helga.“

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Am späten Mittwochmittag war der Kiosk heile im Freilichtmuseum angekommen und wurde abgeladen. Wann das Büdchen besichtigt werden kann, ist derzeit noch nicht klar. Für die Anwohner und Familie Conzen steht aber jetzt schon fest: Sobald wie möglich fahren sie alle zusammen hin. „Wir organisieren einen Bus“, versprach Martinius.

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