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Physio- und Ergotherapie in der Coronazeit„Der Schmerz ist größer als die Angst“

Lesezeit 4 Minuten
Für Patienten ist eine regelmäßige Therapie wichtig. Bei Ergotherapeutin Ricarda Hilbich spielt Hygiene dabei eine große Rolle.

Für Patienten ist eine regelmäßige Therapie wichtig. Bei Ergotherapeutin Ricarda Hilbich spielt Hygiene dabei eine große Rolle.

  • Viele Patienten sind dankbar, dass sie trotz der Coronakrise weiter behandelt werden.
  • Doch es gibt auch Patienten, die durch die Pandemie so verunsichert sind, dass sie aktuell nicht in die Praxis kommen.
  • Bei Physio- und Ergotherapeuten sind die Zahlen alarmierend.

Kreis Euskirchen – „Bei manchen Patienten ist der Schmerz größer als die Angst vor dem Coronavirus“, sagt Ergotherapeutin Ricarda Hilbich. Die Patienten seien sehr dankbar, dass sie weiter behandelt würden. Doch es gibt auch Kunden, die durch die Corona-Pandemie so verunsichert seien, dass sich aktuell nicht in die Praxis kämen und auch keine Hausbesuche wünschten. Laut Hilbich sagen etwa 70 Prozent der Patienten ihre Termine ab.

Eine Zahl, die sie zum Nachdenken gebracht habe. „Natürlich haben wir über Kurzarbeit diskutiert, uns letztlich aber dagegen entschieden und gesagt, dass wir gemeinsam aus der Krise herauskommen“, sagt die Ergotherapeutin.

Bei Physiotherapeut Ralf Morschhäuser sind die Zahlen ähnlich alarmierend. Privatzahler ohne Rezept bekommen laut dem Euskirchener keine Behandlung mehr. Einrichtungen wie Altenheime, Behindertenwerkstätten und Firmenbetreuungen seien für Physiotherapeuten geschlossen. Auch das übliche Angebot zum Muskelaufbautraining und die Rückenschule seien auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. „Die Mitarbeiter sind verunsichert und manche ängstlich, wie sie mit der Situation umgehen sollen, weil es kaum noch Schutzmaterial gibt. Mundschutz ist kaum noch zu bekommen“, berichtet Morschhäuser: „Kein Wunder, dass ich im Moment manchmal ratlos durch die Wohnung laufe.“ Auch Hilbich habe die eine oder andere schlaflose Nacht gehabt.

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Kampfgeist geweckt

Ein Gespräch mit einem Freund, der bei Ford tätig sei, habe letztlich den Kampfgeist in ihr geweckt. „Er berichtete, dass sie der Krise ausgeliefert seien, nichts machen könnten. Ich kann aber ja etwas machen – auch weil weniger Patienten in die Praxis kommen“, sagt sie: „Wir behandeln diejenigen, die eigentlich in kurzen Abständen eine Behandlung brauchen, wir es aber aus Kapazitätsgründen nicht schaffen, jetzt zwei bis drei Mal pro Woche.“ Das ginge aber nur so oft, wie es auf dem Rezept vermerkt sei.

Ohne dieses Rezept, die sogenannte Heilmittelverordnung, seien keine Behandlungen möglich. Ausnahmen gebe es nicht. „Ein Apotheker verteilt auch keine Medikamente ohne Rezept. Das ist einfach so“, sagt Hilbich: „Auch wenn es beim Großteil unserer Patienten logisch ist, dass sie ein Folgerezept ausgestellt bekommen. Wenn sie es aber nicht vorlegen können, dürfen wir nicht behandeln.“

Rettungsschirm für Therapeuten

Die Politik nehme die Insolvenz von vielen 1000 Heilmittelerbringern in Kauf und gefährde hunderttausende Arbeitsplätze sowie die Gesundheit der Bevölkerung, heißt es vom Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV). Der Verband fordert, „die seit Jahren geringen Vergütungssätze für die Therapiepraxen anzupassen“. Zudem müsse ein Rettungsschirm für Therapeuten gelten, so die SHV-Vorsitzende Ute Repschläger. Der Verband fordert finanzielle Soforthilfen von der gesetzlichen Krankenversicherung in Form von Ausgleichszahlungen.

„Wenn wir keine Leistung erbringen können, entstehen den Krankenkassen keine Kosten. Ganz im Gegenteil: Sie profitieren finanziell von dieser Situation“, seien sich alle SHV-Mitgliedsverbände einig: „Denn die Kosten für Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie sind im Haushaltsplan der Krankenkassen bereits eingeplant. Es bringt sie also nicht in finanzielle Schwierigkeiten, den Heilmittelerbringern eine Soforthilfe auszuzahlen, um deren Umsatzeinbußen auszugleichen. Für die Krankenkassen ist das ein Nullsummenspiel. Den Heilmittelerbringern rettet das aber die Existenz – und darauf kommt es im Moment mehr denn je an. Andernfalls ist die Versorgung gefährdet.“ (tom)

Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Krankenkassen bei den Rezepten ein wenig flexibler agierten. „Normalerweise muss ein Rezept innerhalb von zwei Wochen begonnen werden, sonst wird es ungültig. Dieser Zeitrahmen ist ausgesetzt“, sagt Hilbich.

Rezepte per Fax

Um es den Patienten den Gang zum Arzt zu ersparen, schlägt sie vor, dass dieser das Rezept beispielsweise faxen kann. So sei gewährleistet, dass der Patient weiter behandelt werden könne. Teletherapie sei seitens der Kassen zwar gut gemeint, mit ihren Patienten aber nur sehr schwierig umsetzbar. „Wir müssen die Patienten anfassen, um sie zu behandeln“, sagt die Ergotherapeutin. Beratung sei online möglich, Behandlung aber nicht. Um eine größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, seien in der kleinen Praxis drei Wartebereiche eingerichtet worden. Behandelt wird nur mit Handschuhen und Mundschutz.

Physiotherapeut Morschhäuser merkt an, dass manche Beschlüsse der Regierung für den medizinischen Bereich Unklarheiten hinterlassen. Auf den offiziellen Seiten im Internet bleiben beispielsweise Heilpraktiker unerwähnt. Dürfen Heilpraktiker noch praktizieren? Liegt ein ärztliches Rezept für eine notwendige manuelle Lymphdrainage beispielsweise nach einer Operation vor, dürften sie eigentlich geöffnet bleiben. „An diesen Stellen wird noch Nacharbeit seitens der Regierung und der Behörden erforderlich sein“, sagt Morschhäuser.

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Seine Kollegin Hilbich fügt an: „Unsere Massagen sind kein Wellness-Programm, sondern medizinisch begründbar.“ Sie habe beim Land NRW Soforthilfe beantragt. Der Bescheid sei innerhalb von 24 Stunden eingegangen. „Auch wenn wir uns über vielen Beklagen können, das hat wirklich gut funktioniert“, sagt sie.

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