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Blei im Mechernicher BodenBürger befürchten Gesundheitsgefahren

Lesezeit 6 Minuten
Der lange Emil am Bleiberg: Mit 160 Metern war der Schorstein damals der höchste in Europa. Er ließ die Oxyde in fast 160 Metern Höhe verwirbeln, die dann weitab von Mechernich wieder verdünnt zu Boden gingen.

Der lange Emil am Bleiberg: Mit 160 Metern war der Schorstein damals der höchste in Europa. Er ließ die Oxyde in fast 160 Metern Höhe verwirbeln, die dann weitab von Mechernich wieder verdünnt zu Boden gingen.

  • Es ist die Achillesferse der Stadt Mechernich: Das Blei. Es beschäftigt Politiker und Bürger seit vielen Jahren.
  • Nachdem diese Zeitung Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick um eine Stellungnahme zu der aufkommenden Diskussion gebeten hatte, lud er zu einem ausführlichen Gespräch ins Rathaus ein.
  • Im Artikel lesen Sie Hintergründe, Stellungnahmen und Einschätzungen zum Thema.

Mechernich – Das Thema Blei begleite ihn seit Kindesbeinen, erinnert sich Hans-Peter Schick. „Ich bin in Bescheid aufgewachsen, nahe Bleibuir, das ja nicht ohne Grund seinen Namen trägt“, erzählt der Mechernicher Bürgermeister.

Einige Jahrzehnte später beschäftigt Schick das Thema dienstlich. Gerade in den vergangenen Monaten muss er sich damit befassen, dass die Natur den Boden der Stadt mit dem Schwermetall versehen hat – und eine Reihe Bürger aus diesem Grund gesundheitliche Folgen befürchten. „Ich nehme diese Sorgen ernst“, versichert das Stadtoberhaupt: „Mir ist es aber auch wichtig, dass keine Hysterie entsteht.“

Gespräch im Rathaus

Nachdem diese Zeitung ihn um eine Stellungnahme zu der aufkommenden Diskussion gebeten hatte, lud Schick zu einem ausführlichen Gespräch ins Rathaus ein, zu dem er neben ranghohen Mitarbeitern seines Hauses auch Vertreter der zuständigen Fachbehörde des Kreises gebeten hatte.

Den Verantwortlichen ist bewusst: Das Thema Blei, das bereits Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts für Schlagzeilen gesorgt hatte, liegt wieder auf dem Tisch. Da ist die Strafanzeige eines Kommerners, der der Stadtverwaltung vorwirft, nicht ausreichend kontrolliert zu haben, dass die Baustelle im Baugebiet „Am Wacholder“ ausreichend gewässert wurde, damit bleihaltige Staubbildung vermieden wird.

Da ist der Brief eines Bürgers, der sich sorgenvoll an die Ratsfraktionen wandte, sodass das Thema Blei in Kürze erneut die politischen Gremien beschäftigen wird. Und da ist eine Online-Petition, die sich unter Punkt vier mit der Bleibelastung befasst und die, Stand Donnerstagmittag, 134 Menschen unterschrieben haben.

Gesundheit soll in den Vordergrund

Initiator der Petition ist Simon Wittig. „Ich habe daher Hoffnung, dass nun eine umfassende Aufklärung und ein nachhaltiges Handeln beginnt, das die Gesundheit der BürgerInnen in den Mittelpunkt rückt“, schrieb er dem Bürgermeister und den Ratsfraktionen.

„Mir ist diese Stadt ans Herz gewachsen“, betont Schick. Die Gesundheit ihrer Bürger sei ihm eine „Herzensangelegenheit“. Darum nehme er die Bedenken nicht auf die leichte Schulter.

„Andererseits habe ich den Eindruck, dass das Thema Blei von einigen instrumentalisiert wird, um weitere Baugebiete zu verhindern“, macht Schick aus seinem Herzen keine Mördergrube. Dass Neubürger das Thema beschäftige, könne er nachvollziehen. Doch unter den Protagonisten befinde sich zum Beispiel ein Mann, der in Mechernich aufgewachsen sei. „Ihm müsste die Bleiproblematik nun wirklich bekannt sein“, so Schick.

Diskreditierung der Baupolitik?

Trotzdem habe er für sich und seine Familie ein Haus gebaut, alles sei gut gewesen. Erst als in seiner Nähe ein Baugebiet entstehen sollte, habe er das Thema „Bleibelastung“ aufgebracht.

Wird die Bleibelastung also vor allem hauptsächlich genutzt, um die Baupolitik der Stadt zu diskreditieren? Zielen die Gegner dieser regen Erweiterung von Baugebieten bewusst auf die „Achillesferse der Stadt“, wie Schick die Bleibelastung nennt, weil ihnen Baugebiete in ihrer Nachbarschaft ein Dorn im Auge sind? Der Bürgermeister schließt das zumindest nicht aus.

Dass mehr als 130 Menschen die Online-Petition bislang unterschrieben, verwundere ihn nicht. So werde in der Petition auch die Osttangente genannt, obwohl deren Realisierung faktisch längst vom Tisch sei. Das spreche nicht für die Seriosität der Petition, findet Schick: „Es gibt sicher noch weit mehr Bürger, die unsere Baupolitik kritisch sehen.“ Aber die Entwicklung neuer Wohngebiete sei das Ergebnis eines demokratischen Prozesses: „Wir haben uns bewusst entschlossen“, nimmt er die Politik mit ins Boot, „diese Stadt maßvoll weiterzuentwickeln.“

Dabei setze die Stadt bewusst auf das Einfamilienhaus, weil Familien mit Kindern die Zukunftsfähigkeit Mechernichs sicherten. Erst dadurch sei Mechernich mit derzeit 28.000 Einwohnern wieder zum Demografie-Gewinner geworden. Erst dadurch gelinge es, junge Menschen auf der Scholle zu halten, und erst dadurch könnten die Gebührenrechnungen für die Bürger halbwegs im Rahmen gehalten werden, weil die Kosten für Müll, Wasser und Abwasser zu 80 Prozent aus Fixkosten bestünden, die es gelte, auf viele Schulter zu verteilen.

Wenn Schick das sagt, gerät er ein wenig in Wallung. Der Mann kämpft um sein Konzept, die Stadt weiterzuentwickeln. „Ja“, sagt er, „es geht auch um das Image dieser Stadt.“ Und dieser Kampf führt über die Fakten.

Die Behörden

Die Fachaufsicht in Sachen Blei liegt beim Kreis. „Wir sind im ständigen Austausch mit dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen und dem nordrhein-westfälischen Umweltministerium“, sagt der Leiter des zuständigen Fachbereichs in der Euskirchener Kreisverwaltung, Achim Blindert:„Bisher gibt es keine neuen Erkenntnisse.“

Die Sorgen der Bürger sind bereits bis nach Düsseldorf vorgedrungen. Die zuständigen Stellen beim Land üben sich in Zurückhaltung. Irgendwann werden sich Ministerium und Amt wohl äußern müssen. Der Druck aus der Bevölkerung nimmt zu.

„Wenn es neue Erkenntnisse zum Thema Blei gibt, müssen wir uns damit beschäftigen“, sagt Thomas Schiefer, Stadtplaner der Stadt Mechernich. Als 2006 der Flächennutzungsplan, der festlegt, wo was gebaut werden soll, aufgestellt worden sei, hätten rund 50 Behörden und Verbände Stellungnahmen abgegeben. Von Gefährdungen durch Blei sei dabei aber nicht die Rede gewesen.

Die Messwerte

In keinem Mechernicher Baugebiet seien mehr als 1600 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde gemessen worden, verweist Iris Hanke von der Unteren Bodenschutzbehörde des Kreises auf die Bleikarte. Regelmäßig würden Messungen vorgenommen, auch im Vorfeld der Entwicklung neuer Baugebiete. Wenn teils von 5000 Gramm die Rede sei, könne das für einzelne Stellen stimmen. Diese Messungen flößen in die Gesamtrechnung für das Gebiet ein, seien aber statistische Ausreißer.

Simon Wittig hält dem die Bodenschutzverordnung des Bundes entgegen. Darin ist von Prüfwerten die Rede. Sie liegen für Kinderspielplätze bei 200 und für Wohngebiete bei 400 Milligramm pro Kilogramm Erde.

Dabei handele es sich nicht um Werte, die eine Bebauung ausschlössen, sagt Blindert, sondern um Prüfwerte, die Auflagen für Bauarbeiten und Empfehlungen für Bewohner nach sich zögen.

Darum rate der Kreis den Bewohnern unter anderem in Broschüren zu Grabsperren für Kinderspielplätze, zum Austausch von Sand in Sandkästen und unter Rutschen und Wippen zu einem sorgfältigen Umgang mit dem Gemüse aus den Gärten. „Möhren sollten geschält werden, Wirsing wegen seiner rauen und damit schlecht zu reinigen Haut erst gar nicht angebaut werden“, nennt Hanke einige Beispiele.

Die Informationspolitik

Boris Uenzen wohnt im Baugebiet „Vierwege“. Er wirft Stadt und Vermarkter vor, Bauinteressenten nicht ausreichend über die Bleibelastung zu informieren. „Das stimmt nicht“, antwortet der Beigeordnete der Stadt Mechernich, Thomas Hambach: „Es steht im Bebauungsplan, in den Kaufverträgen, wenn wir als Stadt Grundstücke verkaufen, und in den Baugenehmigungen.“

In den Gesprächen mit potenziellen Neubürgern spiele das Thema sehr wohl eine Rolle, fügt Stadtplaner Schiefer hinzu. Die seien ohnehin in der Regel sehr gut informiert (siehe auch: „Vermarkter...“).

Die Sorge um die Gesundheit

Boris Uenzen fragt: Wenn schon bei Erdarbeiten „Am Wacholder“ mit Werten von 200 bis 400 mg/kg gewässert werden muss, warum lasse es die Stadt dann zu, dass Erdhaufen auf unbebauten Grundstücken im weitaus stärker belasteten Wohngebiet „Vierwege“ stehen dürften. „Da spielen auch Kinder“, so Uenzen. Schiefer zeigt eine Luftaufnahme von „Vierwege“. „Die unbebauten Grundstücke sind bewachsen“, erläutert er. Und die Erdhaufen? „Es gibt bis heute keinerlei Erkenntnisse, dass durch die Bleibelastung in Mechernich Gefahren für die Gesundheit ausgehen“, antwortet Schiefer. Insofern seien keine Maßnahmen, etwa bei Erdhaufen, ergriffen worden. Das sei aber nicht in Stein gemeißelt. Sollte die aktuelle Diskussion zu der Erkenntnis führen, dass von dem Blei im Boden doch Gesundheitsgefahren ausgingen, werde die Stadt schnell handeln, stellt Schiefer klar: „Dann werden auch sehr schnell die Erdhügel abgedeckt werden müssen.“

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